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Auch mein Bauch zweifelt an der Krebsvorsorge

Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

„Ich glaube, ich warte noch ein wenig mit der nächsten Vorsorge und genieße mein Dasein.“ „Ich glaube, ich warte noch ein wenig mit der nächsten Vorsorge und genieße mein Dasein.“ © iStock/robertprzybysz
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Der Tod von Freunden und Bekannten stimmt so manchen nachdenklich. Manchmal lässt er dann auch zeitweilig an eigentlich hilfreichen Untersuchungen wie der Krebsvorsorge zweifeln.

„Die Einschläge kommen immer näher – so würde es ein Angehöriger der Kriegsgeneration ausdrücken“, schrieb mir eine gute Freundin. In ihrem Brief teilte sie mir den Tod ihrer beiden ältesten Cousins mit. Gut, die beiden waren ein Stück älter als wir, aber das Wort „Cousins“ bedeutet ja doch, dass die beiden zu unserer Generation gehörten. Und da rücken tatsächlich Krankheit und Tod immer näher. Und werden dann auch noch in etwa gleichaltrige Kolleg(inn)en oder womöglich Studienfreunde aus dem gleichen Semester krank und sterben, erinnert uns das zwangsläufig an die eigene Sterblichkeit.

So ein Mist, schimpfe ich dann manchmal. Da studiert man Medizin und ist noch nicht mal vor Krankheit und Tod geschützt! Ja, ich weiß, auch Richter und Anwälte werden in Prozesse verwickelt, in denen sie als Kläger oder Angeklagte dabei sind und auch Ingenieuren bricht mal ein Auto oder eine Maschine zusammen. Aber im Ernst, ein bisschen Wunschtraum darf erlaubt sein.

Nun habe ich fast gleichzeitig mit dem Brief der oben genannten Freundin die Nachricht erhalten, dass eine Studienkollegin ziemlich schnell verstorben ist. Sie arbeitete gleichfalls als Hausärztin, und mit ihr tauschte ich mich auf einer sehr vertrauten Basis immer wieder fachlich aus. Bei Unsicherheiten oder Fragen zu einem Prozedere oder zu einer Therapieform konnten wir uns jederzeit telefonisch „kurzschließen“. Wenn wir uns auf Kongressen trafen, war es, als hätten wir uns erst am Tag zuvor verabschiedet. Wir führten private Gespräche über „Gott und die Welt“ und diskutierten frisch und frei die Seminare und Vorträge. Mit dem Tod dieser Freundin und Kollegin ist mir ein großes Stück meines Lebens weggebrochen.

Das Fatale daran ist, dass sie endlich etwas für ihre Gesundheit hatte tun wollen und sich deshalb nach längerem Zögern für die Darmkrebsvorsorge mittels Koloskopie entschied. Im Sigma wurde eine Auffälligkeit entdeckt, die sich histologisch nicht eindeutig zuordnen ließ. Man riet zur Operation, die sie ganz schnell hinter sich brachte. Sie starb postoperativ an einer Sepsis, wohl auf dem Boden einer Aspirationspneumonie.

Ein trauriges Schicksal. Was wäre gewesen, wenn sie nicht zur Vorsorge, nicht zur Darmspiegelung gegangen wäre? Vermutlich hätte sie noch einige Jahre gut gelebt, Befund hin oder her. Vielleicht hätte sie sogar ihren Ruhestand noch ein wenig genießen können. Alles Spekulation, versteht sich.

Natürlich kenne ich aus meiner ärztlichen Praxis genug andere Fälle, in denen eine Darmspiegelung zu einem früheren Zeitpunkt vermutlich hätte lebensrettend sein können. Und wie oft hat ein Patient nicht auf meinen Rat gehört, wenn ich ihn zu dieser Untersuchung schicken wollte. Aber so ein Schicksal wie das meiner Studienkollegin macht mich schon nachdenklich. Und traurig.

Ich habe sofort in meinen Unterlagen gekramt, um herauszufinden, wann ich wieder zur Vorsorge gehen müsste. Ich glaube, ich warte noch ein wenig und genieße mein Dasein. Der Aufschub wird sicher nicht lange andauern. Aber auch für Vorsorgeuntersuchungen gilt der Slogan „Choose wisely“.

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