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Corona muss für jede Begründung herhalten

Autor: Dr. Günter Gerhardt

Hypothesen, Fake News, Mythen und Horrormeldungen machen die Coronakrise nicht gerade einfacher. Hypothesen, Fake News, Mythen und Horrormeldungen machen die Coronakrise nicht gerade einfacher. © iStock/ilkercelik; MT
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Unser Kolumnist kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Corona muss als willkommene Begründung für Ablehnungen aller Art herhalten.

Von den weltweiten angst­machenden Ereignissen in der Coronapandemie und einem durch das Virus erschwerten Alltag sind alle betroffen. Was uns in den Praxen allerdings besonders belastet, sind nicht Probleme in der medizinischen Versorgung, sondern das Verhalten von Kranken-/Pflegekassen, Jobcentern oder (Renten-)Versicherungen. Sie haben – wahrscheinlich aus Angst vor einer Kos­tenexplosion – umgeschaltet in einen ablehnenden Prüfmodus. Der macht uns und unseren Patienten das Leben schwer. Ich will das hier erläutern.

Namhafte Experten äußern sich zu SARS-CoV-2 in unterschiedlichen Phasen der Pandemie und folglich mit wechselndem Wissensstand. Sätze und Meinungen dieser Experten, oft aus dem Zusammenhang gerissen, heizen die Stimmung auf und stellen sich später als richtig oder falsch heraus – ein normaler Vorgang in einem lernenden System. Allerdings verwirren diese variierenden Einschätzungen, die zu Einschränkungen bis hin zu einem Lockdown führen können, die Gemüter. Werden dann noch Experten von Medien und Kollegenschaft mit zweierlei Maß gemessen, ruft das neue Verschwörungstheoretiker auf den Plan – und die alten fühlen sich in ihrer Ideologie bestätigt und wollen diese verbreiten.

Hierbei scheint jedes Mittel recht zu sein. Da wird z.B. von einem Kollegen eine WhatsApp-Gruppe „Praxisabgabe“ erstellt. Er bietet mit Fotos Geräte zum Abholen an, was auch genutzt wird. Das geht so einige Tage lang, bis plötzlich eine Nachricht zu Coronatests auftaucht. Es folgen Hypothesen und Mythen, immer mit derselben Schlussfolgerung: Die Politik benötigt die zweite Coronawelle für den geplanten zweiten Lockdown, der wiederum gebraucht wird, um die Fehleinschätzung der Politik zu vertuschen und die überzogenen Maßnahmen zu rechtfertigen!

Bei klarem Verstand kann man sich nur an den Kopf greifen. Leider treffen diese Verschwörungsideen auf eine Flut weiterer Meldungen, die schlicht falsch sind oder falsch interpretiert bzw. falsch ein- und zugeordnet werden. So erreichen uns beispielsweise „Nachrichten“ aus Amerika, Brasilien und Belarus, wie die, Lukaschenko seien von der WHO 92 Millionen Dollar für die Umsetzung eines rigorosen Lockdowns angeboten worden.

Allergologen würden von einer Überflutung mit Allergenen sprechen und eine Auszeit an der See oder im Gebirge empfehlen. Aber es kommen immer mehr „Pollen“, also Hypothesen, Mythen, Fake News und Horrormeldungen hinzu – eine Hochzeit für Verschwörungstheorien.

Zurück zu unseren Praxen. Hier kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Corona als willkommene Begründung für Ablehnungen aller Art herhalten muss. Da werden dringend notwendige (Anschlussheil-)Rehabilitationen, Mutter-Kind-Kuren, Pflegegrade und Heil-/Hilfsmittel abgelehnt. Vor allem von Kolleginnen und Kollegen des Medizinischen Dienstes nach Aktenlage am grünen Tisch. Und das, obwohl sowohl Kliniker als auch niedergelassene Haus- und Fachärzte die Maßnahmen für dringend erforderlich eingestuft haben.

Beim leidvollen Thema „Cannabis auf Rezept“, das den Krankenkassen von Anfang an ein Dorn im Auge war, hat jetzt die Staatsanwaltschaft zum bewährten Mittel der Praxisdurchsuchung gegriffen, weil sie mit den Ermittlungen gegen einen Mann, der legal Cannabis konsumierte, nicht so recht weiter kam.

Was meines Erachtens dahinter steckt, ist die Absicht, die Ärzteschaft zu verängstigen und so deren Bereitschaft, Cannabis zu verordnen, weiter zu verringern. Diese frustrierten Ärztinnen und Ärzte werden dann mit offenen Armen von den Verschwörungstheoretikern aufgenommen.

Auch wenn das alles sehr deprimierend und ausweglos klingt, können wir doch etwas dagegen tun, nämlich uns wehren. Wie? Indem wir uns austauschen. Die Coronakrise hat uns gezeigt, wie Online-Fortbildungen funktionieren. Diese Technik ist einfach zu erlernen. Mit ihr ist ein Zusammenschluss, ein Austausch in regelmäßigen Onlinetreffen leicht zu organisieren. So könnte unsere Antwort aussehen auf Verschwörungstheoretiker, deren Ziel es ist, Angst, Panik oder Hass zu verbreiten.

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