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Die Rache der Neandertaler

Aus der Redaktion Autor: Dr. Susanne Gallus

© MT
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Mittlerweile hat uns die zweite Corona-Welle voll erwischt. Doch weiterhin wollen einen Leute davon überzeugen, dass man sich gegen die Schutzmaßnahmen wehren muss. Ein Kommentar.

Wer sich derzeit umsieht, kann nicht glauben, dass wir alle der Spezies Homo sapiens angehören. Mensch ja, aber klug oder vernünftig? Diese Attribute möchte ich den Maskenverweigerern und Verbreitern von Verschwörungs­mythen gerne absprechen. Erst neulich hatte ich einen Flyer von Ihrem Sinsheimer Kollegen Bodo S. im Briefkasten, der mich davon überzeugen wollte, dass es Zeit ist, mich gegen die derzeitigen Maßnahmen zu wehren. „Corona ist vorbei!“ stand da, gefettet und extra unterstrichen. Verstand und Vernunft suchte ich auf diesem Zettel vergebens. Auch wenn man sich sehr bemühte und für die Argumentation nicht nur „Tausende Ärzte“ sondern großzügig sogar das RKI heranzog.

Der Text ließ mich mit zwei großen Fragen zurück – abgesehen von der, wer das Ding eingeworfen hatte. 1. Warum sind die RKI-Wissenschaftler bisher nicht selbst auf die Idee gekommen, ihre eigenen Daten so wie Bodo S. zu interpretieren? Und 2.: Da ich ja unbedingt für meine Grundrechte eintreten soll – für welche denn? Das Grundrecht auf Ballermann? Das Grundrecht auf freie Virenverbreitung? Vor meinem geistigen Auge sah ich in diesem Moment „Tausende Ärzte, Wissenschaftler und Anwälte“ in einem Fackelzug für das Grundrecht auf „Ich will aber!“ vorüberziehen. Immerhin sind diesen Menschen der aufrechte Gang und die Fähigkeit, Feuer zu nutzen, nicht auch noch abhanden gekommen ...

SARS-CoV-2 wirft uns scheinbar weit in die Vergangenheit zurück – nicht nur gedanklich. Etwa zur gleichen Zeit, als Bodos orangefarbenes A5-Memo den Weg in meinen Briefkasten fand, veröffentlichten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und des Okinawa Institute for Science and Technology in der Zeitschrift Nature, dass die Anfälligkeit gegenüber COVID-19 wohl z.T. ein genetisches Überbleibsel des Neandertalers ist.1 Genauer gesagt, handelt es sich um ein etwa 50 000 Jahre altes Abschiedsgeschenk auf Chromosom 3, das die Wahrscheinlichkeit, bei einer COVID-19-Erkrankung künstlich beatmet werden zu müssen, für Träger der Genvariante um den Faktor 3 erhöht. Übergeben wurde es damals vermutlich auf einer ausschweifenden Party im heutigen Kroatien, als Neandertaler und moderne Menschen sich vermischten – ja, auch Urzeitmenschen hatten schon Feier-Grundrechte!

Dr. Susanne Gallus
Redaktion Medizin

Quelle: 1. Zeberg H, Pääbo S. Nature 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2818-3

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