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Fehlverhalten im Gesundheitswesen Ganze Herden von schwarzen Schafen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Nahezu in allen Sektoren der gesundheitlichen Versorgung finden laut Kiefer Abrechnungen statt von Leistungen, die teils nicht erbracht werden. Nahezu in allen Sektoren der gesundheitlichen Versorgung finden laut Kiefer Abrechnungen statt von Leistungen, die teils nicht erbracht werden. © Lumeez Ismail/peopleimages.com – stock.adobe.com
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Fehlverhalten im Gesundheitswesen gerät immer wieder in den Blick der Öffentlichkeit. Aufgedeckt wird Fehlverhalten nicht zuletzt durch Prüfstellen. Die GKV feierte jetzt den 20. Jahrestag der Einrichtung der institutionalisierten Kontrolleinrichtungen. 

Die Einrichtung der Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen basiert auf §197a SGB V. Ihre Aufgabe ist es, eventuelle „Unregelmäßigkeiten“ oder eine „rechtswidrige Nutzung von Finanzmitteln“ im Bereich der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung aufzudecken, insbesondere Abrechnungsbetrug und Korruption. Es sei keine Selbstverständlichkeit gewesen, dass der Deutsche Bundestag eine solche Aufgabenstellung einst verabschiedet habe, sagte Gernot Kiefer, Stellv. Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, in der Veranstaltung GKV-live rückblickend: „Ich kann mich noch sehr lebhaft erinnern an verdiente Präsidenten der Ärztekammer, die immer mit dem Bild des schwarzen Schafes agierten. Da sahen die gesetzlichen Krankenversicherungen allerdings schon Herden von schwarzen Schafen im Gesundheitswesen sich herumbewegen.“

Nahezu in allen Sektoren der gesundheitlichen Versorgung finden laut Kiefer Abrechnungen statt von Leistungen, die teils nicht erbracht werden. Es gebe inzwischen auch Hinweise und Belege, dass sich teilweise korrupte Strukturen im Gesundheitswesen gebildet hätten. Somit wäre auch nach 20 Jahren das Problem weiter relevant, zumal man sich im Bereich der gemeinschaftlich von Arbeitenden und Versicherten finanzierten Sozialversicherung und der Gesundheitsversorgung bewege. Alles, erinnerte der Verbandsvize, was nicht aus medizinischen Gründen verordnet und veranlasst, nicht nach den kollektiv beschlossenen Regeln dann auch finanziert und abgerechnet werde, schädige das deutsche Gesundheitswesen.

Eine Dunkelfeldstudie könnte mehr Klarheit zu Fallzahlen bringen

Konkrete Zahlen zum Fehlverhalten finden sich im Tätigkeitsbericht zur Arbeit der Fehlverhaltensstellen, veröffentlicht im Mai dieses Jahres. Die Ergebnisse aus 96 Mitgliedskassen sind hier zu einer GKV-Gesamtsicht zusammengeführt. 23.341 Neufälle wurden demnach für 2020/2021 verzeichnet, 17 % weniger als 2018/2019. Der GKV-Bericht geht jedoch davon aus, dass der Rückgang auf erschwerte Kontrollen aufgrund der Coronapandemie zurückzuführen ist. Verwiesen wird darauf, dass die Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen des Medizinischen Dienstes ausgesetzt worden waren und die Hinweisprüfung und die Ermittlung von Neufällen länger gedauert haben. 
Die Mitgliedskassen berichten außerdem von einer längeren Dauer der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Durchsuchungsbeschlüsse und Vernehmungen hätten wegen der Pandemie aufgeschoben werden müssen, ebenso Gerichtstermine. 

Die Kassen konnten nur einen Teil des Schadens zurückholen

Insgesamt zeigte sich 2020/2021 ein Schaden für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung von rund 132 Millionen Euro, von dem nur weniger als die Hälfte von den Kassen erfolgreich zurückgeholt werden konnte. Die Höhe der gesicherten Forderungen sei dennoch weit überdurchschnittlich und erreiche mit nahezu 59,60 Mio. Euro den zweithöchsten Wert seit dem Beginn der Berichterstattung (2018/2019: 62.012.385 Euro). 

Vermutet wird, dass es sich bei den 132 Millionen nur um einen Bruchteil des tatsächlichen Schadens handelt. Ein realistisches Bild könnte eine Dunkelfeldstudie ergeben. „Wir appellieren an die Bundesregierung, eine kriminologische Dunkelfeldstudie zu veranlassen, wie es die Justizministerkonferenz bereits im letzten Jahr einstimmig beschlossen hat“, forderte dazu Gernot Kiefer.  Internationalen Studien zufolge könnte der durchschnittliche monetäre Dunkelfeldschaden durch Abrechnungsbetrug und Korruption im Gesundheitswesen zwischen 5 und 10 % der Gesamtausgaben betragen. Das entspräche in Deutschland einem zweistelligen Milliardenbetrag.

Pro Dunkelfeldstudie sprachen sich auch der Kriminologe und Strafrechtler Prof. Dr. Kai-D. ­Bussmann, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sowie Oberstaatsanwalt Torsten Haase, Stellv. Leiter der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen, aus. Es sei inzwischen Standard, zu Kriminalitätsthemen Dunkelfeldstudien durchzuführen, so Prof. Bussmann. Der Einsatz von Personal und Sachmitteln im Bereich der Strafverfolgung hänge natürlich erheblich davon ab, wie groß dieses Phänomen tatsächlich sei, meinte Thorsten Haase zustimmend.  

Eine schwierige Frage von Zuständigkeitskonflikten

Franziska Weidinger, Ministerin für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt, erinnerte daran, dass sich auch die Justizministerkonferenz für eine Dunkelfeldstudie ausgesprochen hat. Wer sie letztendlich beauftragen soll, dazu gibt es jedoch bisher keine klare Aussage in der Bundesregierung. 

„Es ist natürlich eine schwierige Frage von Zuständigkeitskonflikten zwischen Bundesressorts“, erklärte dazu Johanna Sell, Abteilungsleiterin im Bundesgesundheitsminis­terium. Sie sprach sich dafür aus, zunächst „Maßnahmen voranzutreiben, die tatsächlich helfen, Versichertengelder effizienter einzusetzen, um die Qualität der Versorgung zu verbessern“. Denn mit dem Wissen um den Umfang von Fehlverhalten sei ja noch kein Fehlverhalten bekämpft. 

Daten auch von anderen Stellen würden zu mehr Erkenntnissen führen

Optimal läuft das Aufdecken von Fehlverhalten nach Ansicht von Dr. Susanne Wagenmann, Vorsitzende des Verwaltungsrates des GKV-Spitzenverbandes, noch nicht. So sei es nötig, die datenschutzrechtlichen Übermittlungsbefugnisse an andere Sozialversicherungsträger auszuweiten, da z.B. der Rentenversicherung Erkenntnisse zu Kliniken vorlägen. Zudem sollte der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bei Plausibilitätsprüfungen ermöglicht werden.

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