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Hausärztetag 2022 Applaus fürs Erreichte, Beifall für die Neuen

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Abb. 1: Sie organisierten den „Generationswechsel“ im Vorstand des Hausärzteverbandes: Ulrich Weigeldt (l.), jetzt Ehrenvorsitzender, und Dr. Markus Beier, der neue Bundesvorsitzende. Abb. 2: Das „Team Beier“. Neu im Vorstand des Deutschen Hausärzteverbandes sind Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth (6. v.l.) als 1. stellv. Bundesvorsitzende und Beisitzerin Dr. Barbara Römer (r.). Abb. 1: Sie organisierten den „Generationswechsel“ im Vorstand des Hausärzteverbandes: Ulrich Weigeldt (l.), jetzt Ehrenvorsitzender, und Dr. Markus Beier, der neue Bundesvorsitzende. Abb. 2: Das „Team Beier“. Neu im Vorstand des Deutschen Hausärzteverbandes sind Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth (6. v.l.) als 1. stellv. Bundesvorsitzende und Beisitzerin Dr. Barbara Römer (r.). © Georg J. Lopata/axentis.de
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Es ist ein Generationswechsel und ein Stilwechsel. Ulrich Weigeldt (72), der zielstrebig und machtvoll den Hausärzteverband weit vorangebracht hat, ist in die Rolle des Ehrenvorsitzenden geschlüpft. Der neue Chef, der Erlanger Allgemeinarzt Dr. Markus Beier (Jg. 1970), setzt auf Teamarbeit.

Mit einem Jahr Vorbereitung  wurde auf dem 43. Deutschen Hausärztetag die Vorstandserneuerung vollzogen. Alternativlos nach Plan und mit viel Applaus. Mit Dr. Beier, Chef des größten Landesverbandes (Bayern), übernimmt ein nach eigener Auskunft „politisch denkender Mensch, der immer Mannschaftssport gemacht hat“, das Ruder. Seinen berufspolitischen Start datiert der Franke auf das Jahr 2007, in den Bundesvorstand des Verbandes gelangte er 2021 als stellv. Vorsitzender.

Hausärztinnen gehören in den Namen des Berufsverbandes

Ähnlich frisch sind die beiden neuen Mitglieder im Vorstand: Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth wurde dieses Jahr zur Vorsitzenden des Hausärzteverbandes Baden-Würt­temberg gewählt. Jetzt ist sie auch die 1. stellv. Bundesvorsitzende. Ihren Vorgänger Dr. Berthold Dietsche – „Vater“ der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) in Baden-Württemberg – ernannten die Delegierten zum Ehrenmitglied.

Auch Dr. Barbara Römer, seit 2019 Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz, gehört zu den Senkrechtstartern im Verband. Sie übernahm den Beisitzerposten, der frei wurde durch die Wahl von Dr. Ulf Zitterbart, Vorsitzender des Landesverbandes Thüringen, zum 2. stellv. Bundesvorsitzenden. Damit wurden – wie von Dr. Beier gewünscht – alle Allein-Kandidaten mit großer Zustimmung und viel Beifall von den Delegierten gewählt.

Die Geschlechterparität ist im Vorstand hergestellt. Der Auftrag für 2023, den Verband so umzubenennen, dass Hausärztinnen und Haus­ärzte sprachlich adäquat abgebildet sind, wurde erteilt. Zwar sind keine hausärztlichen Internisten hinzugekommen, doch Dr. Beier versicherte diesen, dass ihre Heimat in diesem Berufsverband sei. Der Anteil der hausärztlichen Internisten in der HzV entspreche dem Verhältnis der Kollegen im KV-System.

Es sind „große Schuhe“, die sich der Nachfolger von Ulrich Weigeldt anziehen muss, stellte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach bei seiner Laudatio fest. Der SPD-Politiker bedankte sich bei dem Bremer Hausarzt für „20 Jahre vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Weigeldt habe sich nicht nur erfolgreich für die notwendige bessere Vergütung der Hausärzte und ein positives Berufsbild eingesetzt, sondern ebenso zu medizinischen Verbesserungen beigetragen, etwa bei der Einführung der DMP. Auch „die HzV ist eine klare Verbesserung der Versorgung“, so Prof. Lauterbach.

Energiekostenzuschuss, Inflationsausgleich, Geld für den Klimaschutz

„Frechheit, Desaster, blankes Entsetzen“. Mit solchen Worten kommentieren Vertreter von KVen und Ärzteverbänden die Entscheidung des Erweiterten Bewertungsausschusses, den Orientierungspunktwert 2023 um 2 % zu erhöhen. Die Kassen hatten zum wiederholten Mal nur eine Nullrunde angeboten, die KBV hatte 6 % mehr gefordert.

Die 2 % entsprechen laut GKV-Spitzenverband etwa 780 Mio. Euro. Das deckt aber nicht einmal die angehobenen Mitarbeitergehälter, heißt es seitens des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. Inklusive der Zahlungen für die Morbiditätsveränderung der Versicherten und für neue bzw. mehr extrabudgetäre Leistungen wird sich die vertragsärztliche Vergütung im nächsten Jahr um voraussichtlich über 1,4 Mrd. Euro erhöhen, teilt der GKV-Spitzenverband mit. Das seien 11.000 Euro zusätzlich pro Arzt oder Psychotherapeut.

Die Krux ist: Im August lag die Inflationsrate bei 7,9 %. Nach der gültigen Systematik der Orientierungswertbestimmung werden aber für 2023 lediglich die Kostensteigerungen im Jahr 2021 gegenüber 2020 berücksichtigt. Die hohen inflationsbedingten Kosten der Praxen in diesem Jahr können also erst im nächsten Jahr zu Buche schlagen.

KV-Vorstände, aber auch der Hausärzteverband fordern einen Energiekostenzuschuss für die Praxen und höhere Honorare für Hausbesuche bzw. „einen vollumfänglichen Inflationsausgleich“. In seiner Funktion als Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes verlangt Dr. Markus Beier zudem: „Vorhaltepauschale, Ordinationsgebühr und Chronikerzuschläge im EBM und HzV müssen deutlich nach oben angepasst werden. In Analogie zur Vergütung in Apotheken muss künftig jede poststationäre und Post-Reha-Beratung in unseren Praxen, die regelhaft mit einer Medikamentenumstellung verbunden ist, mit 90 Euro extrabudgetär vergütet werden.“ Die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbandes stimmten ferner dafür, dass Investitionen in die klimaneutrale Praxis refinanziert werden müssen. Neue Angebote wie eine Klimasprechstunde seien ebenfalls künftig zu bezahlen.

Für die Versicherung des Ministers, „Die HzV steht nicht zur Disposition!“, gab es ebenso tosenden Applaus wie für den Geehrten selbst.

Unter Weigeldts rund 16-jähriger Ägide (vor und nach seiner Beschäftigung als KBV-Vize) wuchs der Verband dank der HzV auf über 30.000 Mitglieder. 400 Mitarbeiter zählt er heute in seinen Gliedern und Gesellschaften. Die Einführung einer neuen Qualifikation für MFA führte dazu, dass es mittlerweile rund 15.000 Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (Verah) gibt.

Deren Weiterentwicklung zur „akademisierten Verah“ gehört schon zum Leistungsnachweis von Dr. Beier. Im September begann das Bachelor-Studium „Primärmedizinisches Versorgungs- und Praxismanagement“. Wie Prof. Buhlinger-Göpfarth, die seit 2021 Physician Assistance lehrt, macht sich Dr. Beier für die stärkere Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe stark. Die Pforz­heimer Allgemeinärztin hat bereits das Ziel einer Entwicklung der HzV zur Hausarztpraxiszentrierten Versorgung ausgegeben: Die Hausarztpraxis als zentraler Ort der Versorgungssteuerung mit qualifiziertem Personal und weiteren delegierbaren sowie telemedizinischen Leistungen.

Impfungen kombinieren

Der Deutsche Hausärzteverband trommelt für die Grippeimpfung. Das Ziel sollte es sein, zwei Drittel der über 60-Jährigen zu immunisieren. In der Saison 2019/2020 waren es nur 39 %. Mit der geplanten bundesweiten Impfkampagne soll neben der Corona- auch die Grippeschutzimpfung beworben werden. Beide könnten simultan erfolgen. Ein zusätzlicher Impftermin sei gerade für ältere und immobile Patienten schon ein Ausschlusskriterium.

Die von Prof. Lauterbach angekündigte Errichtung von Gesundheitskiosken mit Pflegefachkräften in sozial schwachen Gebieten wird vom Hausärzteverband ambivalent bewertet. Lieber wäre ihm, wenn die hausärztliche Ausbildung und Niederlassung gezielt gefördert wird, statt Parallelstrukturen aufzubauen, die die Versorgung zergliedern. Die Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020 wird angemahnt. Außerdem schlägt der Hausärzteverband vor, dass regional Pools von Sozialarbeitern eingerichtet werden, die mit den Praxen eng zusammenarbeiten. Solche Unterstützungsangebote seien wichtig, aber nicht vom Praxisteam leistbar.

Konzepte entwickeln, um der Politik antworten zu können

Die Entwicklung von neuen Versorgungskonzepten gehört zu den wichtigen Aufgaben des neu aufgestellten Vorstandes. Dr. Beier formuliert es so: „Wenn uns die Politik fragt, was wir uns wünschen, müssen wir Antworten darauf haben.“ Das zentrale Element wird die HzV bleiben. Denn sie bietet den Hausärzten eine Möglichkeit der „Selbstbestimmung“, wie sie der Verband trotz der Mitarbeit in den Körperschaften (KV, Kammer) sonst nicht erreichen kann.

43. Deutscher Hausärztetag

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