Praxiskolumne Ich arbeite jetzt in einem Startup

Kolumnen Autor: Dr. Nicolas Kahl

Die „Notwendigkeit zum Wachstum“ war dank 
des Investitionsstaus in der Praxis gegeben. Die „Notwendigkeit zum Wachstum“ war dank des Investitionsstaus in der Praxis gegeben. © New Africa – stock.adobe.com

Das Arbeiten in einem Start-up ist für manche der Inbegriff eines coolen Arbeitslebens. Auch ich habe manchmal als Arzt in Weiterbildung, abends um acht, wenn die Chefvisite auf der Privatstation in vollem Gange war, überlegt, ob es außerhalb der Patientenversorgung vielleicht tollere Jobs für mich gibt. Heute bin ich froh, in der praktischen Medizin geblieben zu sein. Ich habe jetzt mit meiner Praxis mein eigenes „Start­-up“.

Ein Start-up wird definiert als eine Unternehmensgründung mit hohem Wachstumspotenzial. Da ich mir für meine Praxisgründung ein Maximalbudget gesetzt hatte, blieb mir angesichts des allgegenwärtigen Investitionsstaus nur die Übernahme einer günstigeren Praxis. Die Notwendigkeit zum Wachstum war also schon einmal gegeben.

Mit meiner „Geschäftsidee“ einer modernen, digitalen Hausarztpraxis habe ich mich dann in einen Markt mit „hohem Wachstumspotenzial“ begeben – den der allgemeinmedizinischen Gesundheitsversorgung. Dieser Markt ist zwar nicht „jung“ oder neu, wie der von Start-ups, sondern alt und gebrechlich, aber er birgt genauso Risiken und Unwägbarkeiten.

Innovationsfähigkeit, Flexibilität, Modernität und flache Hierarchien – die Tugenden von Start-ups habe ich mir in meiner Gründungszeit soweit irgend möglich zu eigen gemacht. Nur das mit der Flexibilität ist in Zusammenarbeit mit den Organen der Selbstverwaltung eine eher schwierige Angelegenheit. 

Ich wollte meine Praxis auf jeden Fall effizient und modern führen – und was das Spektrum und das Team betrifft so, wie es mir Freude bereitet. Sollte mir das Ganze mal keinen Spaß mehr machen, wollte ich es wieder sein lassen. Daher war mir auch ein geringes „Wagniskapital“ wichtig, um mich nicht unter selbstgemachten Druck
zu setzten.

Start-up-Inkubatoren – wie man Gründerzentren nennt, in denen man sich ein Netzwerk aufbauen kann – existieren ebenfalls in der Allgemeinmedizin. Zum Beispiel der positiv-verrückte Haufen an Kolleg:innen, die ihre Erfahrungen im Rahmen des „Werkzeugkasten Niederlassung“ an die nächste Generation weitergeben. Den Ansatz mit der Lektion „Die Angst vor der Niederlassung nehmen“ finde ich besonders gut, weil er einen Gegenpol zum berufspolitischen Dauergejammer unserer Berufsverbände setzt. Klar: Unsere Arbeitsbedingungen müssen sich weiter verbessern und die Vergütung ist teils ein Witz. Aber unterm Strich ist die Niederlassung ein geiler Job, der unglaublich viele Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bietet!

In meiner eigenen Praxis kann ich Arbeitszeiten, Abläufe und Schwerpunkte bestimmen, wie ich will. Das verschafft mir viel Zufriedenheit in meinem Job – so viel, wie ich es vorher in der Klinik nie erlebt habe. Klar hat man wirtschaftliche Zwänge. Die gibt’s aber in den meisten anderen Jobs und Start-ups auch.

Mein persönliches Steckenpferd ist die digitale Ausgestaltung meiner Praxis. Sollte ich mal keine Lust mehr haben, mich damit auseinanderzusetzen, kann ich einen All-in-one-Anbieter in Anspruch nehmen, um mir gedanklichen Freiraum für andere Schwerpunkte zu schaffen. Selbst „Coworking“-Spaces für Praxen werden heute angeboten und bieten neben IT und Personalinfrastruktur passende Räumlichkeiten und Inventar an.

Die Möglichkeiten für Praxis-inhaber:innen werden also immer bunter. Schön wäre, wenn sich die Selbstverwaltung öffnen und den Niederlassungsprozess und die Arbeitszeiten flexibilisieren würde. Aber bürokratische Hürden sind ja auch für Start-ups ein bekanntes Problem.

Ich hatte übrigens überlegt, ganz à la Start-up eine Hängematte in unseren Sozialraum zu montieren. Stattdessen müssen jetzt alle in der Praxis „Viva con Aqua“ trinken. Und ich denke mir bei jedem Schluck: Schon cool, so ein Start-up-Leben!