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Praxiskolumne Am besten gleich zum Facharzt?

Autor: Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth

Ungesteuerte Inanspruchnahme zu vermeiden, ist elementare hausärztliche Aufgabe. Ungesteuerte Inanspruchnahme zu vermeiden, ist elementare hausärztliche Aufgabe. © NINENII – stock.adobe.com; MTD
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Quartalsanfang. Ich stehe am Empfang und unterschreibe das angeforderte Ramipril- und Metforminrezept für Frau L. Kurz muss ich noch überlegen, da ich die Patientin noch nicht so gut kenne, sie ist kürzlich aus Hamburg hergezogen: Hypertonus und Diabetes – also eine Dauermedikation.

Frau L. hat auch um Überweisungen zur augenärztlichen Kontrolle und zur gynäkologischen Vorsorge gebeten, zweifellos alles wichtige Vorhaben. Und eine weitere Überweisung liegt mir zum Unterschreiben vor, adressiert an eine Rheumatologin. Gelenkschmerzen und Verdacht auf Rheuma findet sich im Text, den die Medizinische Fachangestelle vorbereitet hat. Bei Frau L. besteht Rheumaverdacht? Das wäre mir neu. Auf Nachfrage bei meiner leitendenden MFA nur Schulterzucken, das habe die Patientin angefordert. 

Ich überlege, das Wartezimmer ist krachend voll, Frau L. wartet im Treppenhaus auf ihre Formulare. Es hilft nichts, das geht ja so nicht. „Frau L.“, rufe ich energisch, „schön sie zu sehen. Ich weiß, sie haben erst einen Termin in einigen Wochen, aber kommen Sie doch bitte kurz ins Sprechzimmer.“ 

Ich falle gleich mit der Tür ins Haus und frage Frau L., was sie denn bei der Rheumatologin wolle. „Na, mir tun überall die Gelenke weh, hier der Finger, der ist ganz geschwollen und überhaupt tut mir seit Neuestem alles weh. Meine Schwägerin hat jetzt auch Rheuma und da dachte ich, ich lasse lieber mal schauen. Man bekommt so schlecht einen Termin, sagt meine Schwägerin, aber es ist ja jetzt ein neues Quartal.“ Frau L. schaut mich erwartungsvoll an, was ich zu ihrem Plan meine. 

Ich zähle bis fünf, um nicht der Versuchung anheim zu fallen, sofort in eine politische Diskussion über unser Gesundheitssystem einzusteigen. Über die ungesteuerte Inanspruchnahme von Fachärzt:innen, die wegen völliger Überlastung durch Beratungsanlässe, die nichts mit ihrem Fachgebiet zu tun haben, keine Termine mehr frei haben, für Patient:innen, die diese dringend benötigen. 

„Liebe Frau L., ich glaube, das müssen wir nochmal besprechen“, beginne ich. „Rheuma ist eine sehr spezifische Erkrankung, nur ca 1 % der Bevölkerung erkranken daran. Es gibt sehr typische Kriterien, die für diese Krankheit sprechen, und wir sollten erst einmal sehen, welche bei ihnen überhaupt zutreffen. Gehen Sie doch nochmal an die Anmeldung und lassen Sie sich einen Labortermin geben, dann sehen wir weiter. Wir besprechen dann die Ergebnisse und ich untersuche Sie.“ Frau L. blinzelt: „Aber sollte das nicht besser die Rheumatologin machen?“

„Nein, das sollten wir uns besser primär anschauen, Sie blockieren nämlich sonst dort einen Termin, den vielleicht jemand anderes, der wirklich Rheuma hat, dringend benötigt und das wollen Sie doch nicht, oder?“ „Nein, natürlich nicht, ich dachte nur, Sie haben doch auch immer so viel zu tun und mit Rheuma geht man doch zum Facharzt. In Hamburg bin ich mit sowas immer gleich zum Facharzt, jetzt muss ich ja erst zu Ihnen kommen wegen diesem Hausarztvertrag.“

Ich seufze, schlage nochmals vor, zunächst ein Labor zu machen und rate, die Gelenkschmerzen auch mal beim Gynäkologen anzusprechen, da diese in den Wechseljahren häufig sind. Auf der Überweisung notiere ich die Arthralgien ebenfalls. „Das habe ich ja gar nicht gewusst Frau Professorin,“ meint Frau L. „Es ist gut, dass Sie mir das sagen, ja dann spreche ich mal mit meinem Frauenarzt. So kann das jedenfalls nicht bleiben, ich fühle mich wie eine alte Frau. Sonst muss ich mal zum Orthopäden …“ 

Leider ist dieser Dialog nicht frei erfunden. Er hat in etwa so stattgefunden und spiegelt exemplarisch die Anspruchshaltung vieler Patient:innen, für die die hausärztliche Steuerung im Rahmen der HZV Neuland ist. Ungesteuerte Inanspruchnahmen zu vermeiden, ist elementare haus­ärztliche Aufgabe. Wir konnten wissenschaftlich belegen, dass wir das im Rahmen der HZV auch schaffen, insgesamt kam es nämlich zu 1,2 Mio. weniger unkoordinierten Facharztkontakten bei einer Million Versicherten.

Zeit, dass Politik und Kostenträger endlich eine Bonierung in der HZV für teilnehmende Patient:innen vorsehen, die bereit sind, sich steuern zu lassen. Nur so kann das Gesundheitssystem wirksam entlastet werden.  

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