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Diabetes in der Politik K(l)eine Bewegung in Sicht?

Gesundheitspolitik Autor: Angela Monecke

Es scheint, als käme die Politik hinsichtlich des Themas Diabetes langsam in Schwung. Es scheint, als käme die Politik hinsichtlich des Themas Diabetes langsam in Schwung. © dkimages – stock.adobe.com
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Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel, „gesunde Mehrwertsteuer“, verbindliche Ernährungsstrategie. Die DDG stellte zentrale Forderungen, die Politik schweigt dazu seit Monaten. Oder bewegt sich endlich doch etwas Gesundheitspolitiker*innen der Bundestags­fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP geben sich zumindest verhalten optimistisch.

Vier Fragen an die Politik

  1. Wann rechnen Sie mit der Umsetzung des Verbots für an Kinder gerichtete Werbung? 
  2. Wie stehen Sie zu der geforderten „gesunden Mehrwertsteuer“ und der Steuerentlastung bei Obst und Gemüse sowie einer Steuererhöhung für stark gesüßte Erfrischungsgetränke? 
  3. Wie geht es mit der geplanten Ernährungsstrategie für Deutschland voran? 
  4. Haben Sie in Ihrem persönlichen bzw. beruflichen Umfeld schon Erfahrungen mit Diabetes gemacht? 

»Werbeverbot zügig umsetzen!«

1. Rita Hagl-Kehl: Ein Verbot von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder richtet, das war vor allem uns als SPD ein Anliegen. Das war nicht für alle Koalitionspartner leicht, aber wir haben uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass erstmals das Verbot von an Kinder gerichteter Werbung als Arbeitsauftrag im Koalitionsvertrag verankert ist. Wir wollen eine möglichst zügige Umsetzung noch in diesem Jahr, sind dazu in engem Austausch mit dem Ernährungsministerium, aber einen genauen Termin gibt es noch nicht.

2. Peggy Schierenbeck: Die SPD hat sich Ende 2020 in unserem Positionspapier zur Bekämpfung von Ernährungsarmut für eine Preisbildung ausgesprochen, die die Umwelt- und Folgekosten ungesunder und nicht nachhaltiger Lebensmittel stärker einbezieht und eine gesunde, umwelt- und klimafreundliche Ernährungsweise finanziell attraktiver macht. So könnte z.B. die Überschreitung eines Zucker-Grenzwertes von 5g/100ml bei Süßgetränken mit einer Zuckerabgabe für die Hersteller belegt werden (Beispiel GB). Das Mehrwertsteuersystem im Lebensmittelbereich setzt bisher falsche Akzente. Aus meiner Sicht könnte eine „gesunde Mehrwertsteuer“ ein Beitrag zu fairen und gesunden Ernährungsumgebungen sein. Insgesamt sind Änderungen am Mehrwertsteuersystem aber ein heikles Thema, das immer sofort Begehrlichkeiten weckt und innerhalb der Ampel sehr unterschiedlich bewertet wird.

3. Schierenbeck: Eine nachhaltige Ernährungsstrategie wird bis 2023 verabschiedet. Uns Sozialdemokratinnen ist wichtig, dass diese Strategie von Anfang an gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und dem Ministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet wird, denn die gesundheitlichen und die sozialen Aspekte sind in der Ernährungspolitik der Vergangenheit viel zu wenig berücksichtigt worden. Ich wünsche mir, dass wir mit der Entwicklung der Ernährungsstrategie schnell vorankommen. Durch den Krieg in der Ukraine hat sich die Arbeitsbelastung natürlich für alle verschärft, aber bisher haben wir keine Hinweise darauf, dass der Zeitplan nicht eingehalten werden könnte.

4. Schierenbeck: Meine persönlichen Erfahrungen mit Diabetes gehen vor allem auf meine drei Schwangerschaften zurück. Denn bei jeder Schwangerschaft hatte ich Schwangerschaftsdiabetes und musste streng Diät halten, teils auch unter ärztlicher Aufsicht. Für mich war das ein Wendepunkt, da ich zum ersten Mal am eigenen Körper erfuhr, welche Auswirkungen unsere Ernährung auf den Körper hat. Seitdem – seit nunmehr 26 Jahren – habe ich mich intensiv mit Ernährung beschäftigt und viel lernen können. Umso mehr freue ich mich, die Ernährungspolitik nun aktiv gestalten zu können.

»Befürworte höhere Steuern für stark Zuckerhaltiges«

1. Wir haben uns mit den Koalitionspartnern u.a. darauf verständigen können, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben soll. Darüber hinaus haben wir weitere verbindliche Maßnahmen in Richtung Ernährungswende verabschiedet, wie z.B. zielgruppenabgestimmte Reduktionsziele für Zucker, Fett und Salz, die wissenschaftliche Weiterentwicklung eines EU-weiten Nutri-Scores und die verbindliche Reduzierung der Lebensmittelverschwendung. Außerdem wollen wir im Jahr 2023 eine umfassende Ernährungsstrategie verabschieden, die weitere Bausteine für eine Ernährungswende enthält. Auf die Verankerung dieser konkreten Maßnahmen bei den Koalitionsverhandlungen, die ich mit geführt habe, bin ich stolz. Die Vorhaben wird das Ministerium nun abarbeiten. Derzeit liegt der Schwerpunkt aufgrund des Ukraine-Krieges allerdings verständlicherweise auf einem anderen Thema – der Ernährungssicherung.

2. Ich persönlich habe steuerliche Entlastungen für gesunde sowie steuerliche Erhöhungen für stark zuckerhaltige Lebensmittel immer befürwortet. Bei den Koalitionsverhandlungen waren diese Maßnahmen für die Koalitionspartner leider keine Option. Aber das kann ja eines Tages noch kommen. 

3. Ein abschließender Beschluss über die Strategie erfolgt, wie im Koalitionsvertrag benannt, im Jahr 2023. Das Ziel ist eine umfassende und durchdachte Ernährungsstrategie, die mit den relevanten Akteuren erarbeitet werden soll, um eine gesunde Umgebung für Ernährung und Bewegung zu schaffen. Ich erwarte ehrgeizige Maßnahmen, die auch über diese Legislaturperiode hinausgehen. Und die hoffentlich einen Schub in der Vernetzung der Akteure bringen. Ich werde mein Bestes dazu geben, denn es geht hier um zentrale soziale und gesundheitliche Fragen. 

4. Ja, ich hatte im meinem persönlichen und beruflichen Umfeld schon viel insbesondere mit der ernährungsassoziierten Form der Dia­beteserkrankung, dem Typ 2, zu tun. In manchen Fällen mit wirklich schrecklichen Entwicklungen. Wir haben eindeutig zu wenig Ernährungsbildung. Aber das individuelle Verhalten ist es eben nicht allein. Unser Ernährungsumfeld verlangt manchmal fast Heldentum, um den Angeboten für ein angeblich besonderes tolles Leben und Essen zu widerstehen. Hochverarbeitete Lebensmittel sind überall und ständig vor unseren Augen und ebenso die Werbung dafür. Ob am Bahnhof, auf der Straße oder im Supermarkt, überall finden wir Snacks und Fertiglebensmittel, die zu viel Zucker, Fett und Salz enthalten. Viele davon suggerieren den Verbraucher*innen sogar, sie würden etwas Gesundes zu sich nehmen, wie z.B. sogenannte Frühstückscerealien, die häufig mehr Zucker enthalten als die WHO für den ganzen Tag empfiehlt.

»Gesundheitskompetenzen frühzeitig vermitteln«

1. Als FDP-Politiker tue ich mich mit Verboten grundsätzlich schwer. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit es schädlich ist, Werbung für Fehlernährung im Kinder-Programm zu senden. Kinder unterliegen ja einem besonderen Schutzbedürfnis. Hier kann es sinnvoll sein, regulierend einzugreifend. Ansonsten ist es besonders wichtig, bereits frühzeitig Gesundheitskompetenzen zu vermitteln. Dies kann im Kindergarten spielerisch erfolgen und später dann zum Beispiel in den Biologieunterricht integriert werden. Wichtig ist dabei, weniger auf Abschreckung zu setzen, sondern mehr auf Aufklärung. Jeder sollte selbst erkennen und verstehen, warum es gut ist, sich gesund zu ernähren und Junkfood zu vermeiden. 

2. Die Senkung der Mehrwertsteuer wäre keine gezielte Maßnahme. Ich bezweifle, dass eine reine Mehrwertsteuersenkung zu einem gesünderen Kaufverhalten führen würde. Eine zusätzliche Besteuerung von zuckerhaltigen Getränken sehe ich kritisch. Für eine Verhaltensänderung sind Aufklärungskampagnen mit flächendeckender Gesundheitskompetenzvermittlung wichtiger.

3. Das Konzept zur inhaltlichen Ausrichtung und zur Gestaltung des Prozesses insbesondere mit Blick auf die Einbeziehung der Akteure befindet sich momentan noch in Arbeit, wird aber, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, bis 2023 fertig sein und vorgestellt werden. Bei der Beteiligung aller Akteure sehen wir Hersteller und Akteure gleichermaßen beteiligt.  
Die Ernährungsstrategie wird ein wesentlicher Baustein sein, die Gesundheitskompetenz weiter zu stärken, denn nur so ist eine langfristige Krankheitsprävention umsetzbar. Auch ohne eine fertige Ernährungsstrategie ist es bereits jetzt möglich, die Initiative zu ergreifen und sich beispielsweise im Elternbeirat dafür einzusetzen, dass das Schulessen den DGE-Standards entspricht oder dass es neben gesüßten Softdrinks auch gesunde Alternativen gibt. Viele Schulen machen das bereits.

4. Auch ich kenne im privaten Umfeld Menschen mit Diabetes. Die Wahrscheinlichkeit, dass jeder Mensch in Deutschland jemanden kennt, der Diabetes hat, ist hoch. Wir erleben dadurch hautnah, welche Fortschritte es in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Behandlung von Diabetes gab. Ein solcher Fortschritt ist zum Beispiel das Konzept „Scannen statt stechen“. Viele Leser*innen werden es kennen. Mit einem Oberarmsensor wird der Blutzucker gemessen. Anschließend wird dann über eine App automatisch die Empfehlung gegeben, welches Insulin und in welcher Menge zu spritzen ist. Wenn solche Therapien im privaten Umfeld ankommen, dann weiß man um die Kraft der Innovationen. 

Medical-Tribune-Interview

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