Praxiskolumne Kompetenz nicht an die Smartwatch abgeben

Kolumnen Autor: Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth

Puls, Schritte, Schlaf, Sauerstoffsättigung, alles minutiös aufgezeichnet. Puls, Schritte, Schlaf, Sauerstoffsättigung, alles minutiös aufgezeichnet. © Fefey - stock.adobe.com (Generiert mit KI)

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht mindestens eine Patientin oder ein Patient mit neuen Datensätzen direkt vom Handgelenk in meine Sprechstunde kommt. Früher brachte man seine Sorgen mit – heute seine Smartwatch.

Puls, Schritte, Schlaf, Sauerstoffsättigung, alles minutiös aufgezeichnet. Mitunter sogar der ernste Hinweis: „Herzrhythmusstörung erkannt!“. Und damit auch die gespannte Erwartung, was nun zu tun sei. 

Nicht immer ist der Alarm berechtigt. Manchmal hat einfach nur der Hund beim Gassigehen zu wild gezogen. Sicher ist: Die Vielzahl an Daten verändert die Dynamik in der hausärztlichen Versorgung und fordert neue Kompetenzen im Umgang mit digitaler Gesundheit.

Was wir erleben, ist eine neue Ära der Selbstbeobachtung. Die Menschen beschäftigen sich intensiver denn je mit ihrer Gesundheit. Die kleinen Geräte machen sichtbar, dass mehr Bewegung nötig ist oder der Schlaf doch nicht so erholsam war wie gedacht. Das kann motivieren. Gesundheitskompetenz zum Umschnallen! Wer seine Zahlen kennt, setzt sich mit dem eigenen Wohlbefinden auseinander – oft ist das der erste Schritt zur Veränderung. Werte, die früher nur hin und wieder in der Praxis gemessen wurden, werden Teil des Alltags, und das Bewusstsein für die eigene Gesundheit wächst. 

Doch mit der Datensammlung wächst auch die Unsicherheit: Ist wirklich jedes Piepen ein Grund zur Sorge? Die Herausforderung für die Praxis liegt darin, Patientinnen und Patienten zu befähigen, ihre Daten richtig zu interpretieren und das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung zu stärken. 

Und die Technik braucht Einordnung und Begleitung: Nicht jeder Alarm ist ein Notfall, nicht jede Messung ein Grund zur Sorge. Je mehr digitale Helfer uns begleiten, desto wichtiger wird die sprechende Medizin in der Hausarztpraxis. Hier zeigt sich, wie sehr Hausarztmedizin Beziehungsmedizin ist. Die Daten allein erzählen selten die ganze Wahrheit – es braucht Erfahrung, Kontext und das persönliche Gespräch, um sie richtig zu interpretieren. 

Die Integration digitaler Gesundheitsdaten in die hausärztliche Versorgung verlangt nicht nur technisches Know-how, sondern vor allem Empathie und Kommunikationskompetenz. Die sprechende Medizin bleibt der Schlüssel, um aus Zahlen und Kurven sinnvolle Handlungsimpulse abzuleiten.

Die Bereitschaft unserer Patientinnen und Patienten, so aktiv an ihrer Versorgung mitzuwirken, ist eine große Chance. Als zertifizierte Medizinprodukte können Wearables neue Möglichkeiten schaffen, gerade auch für chronisch Erkrankte. Sie bieten bessere Daten, mehr Einblick in den Alltag, höhere Therapietreue – und damit oft bessere Behandlungserfolge

Doch es braucht mehr Forschung in diesem Gebiet und vor allem zertifizierte und evidenzbasierte Lösungen für den Einsatz solcher Geräte in der Hausarztpraxis. Manchmal habe ich den Eindruck, unsere Patientinnen und Patienten sind weiter als unser Gesundheitssystem. Die Digitalisierung darf nicht an der Praxistür enden – sie muss in die Versorgungsrealität integriert werden, damit die Vorteile auch wirklich bei den Patientinnen und Patienten ankommen.

Wearables sind tolle Begleiter für alle, die wissen wollen, was im eigenen Körper passiert. Und sie bieten uns in der Hausarztpraxis neue Anknüpfungspunkte für das Gespräch. Es braucht Einordnung, doch die Chancen, die zertifizierte Wearables für die medizinische Versorgung bieten, sind groß. 

Natürlich gilt: Nicht die Uhr behandelt, sondern der Mensch. Die Uhr kann aber Daten liefern, die meine Diagnose und Therapie unterstützen – und davon wünsche ich mir mehr.