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Mehr Regulation für mehr Apps: Gesetzliche Hürden für Gesundheitsanwendungen im Wandel

Gesundheitspolitik diatec journal Autor: Dr. Winfried Keuthage

Gesetzliche Hürden erschweren es kleinen Anbietern zukünftig, ihre Apps auf den Markt zu bringen. Gesetzliche Hürden erschweren es kleinen Anbietern zukünftig, ihre Apps auf den Markt zu bringen. © AA+W – stock.adobe.com
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Apps sind aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken – rund um die Gesundheit ist das Angebot groß. Der Gesetzgeber versucht, Aspekte wie Sicherheit und Finanzierung zu regulieren. Was ist der aktuelle Stand?

Die Bedeutung von Apps in der Dia­betologie hat stetig zugenommen, z.B. von Apps, welche sich mit mit anderen Geräten („Wearables“) mittels Bluetooth verbinden. In diesem Jahr und in den Folgejahren wird das am 1. Januar 2020 in Kraft getretene „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG)1 die Landschaft der medizinischen Apps in der Diabetologie verändern.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verfolgt nach eigenen Angaben mit dem DVG das Ziel, die rechtlichen Bedingungen in Bezug auf die Digitalisierung anzupassen und die Versorgung von Patienten zu verbessern. Um digitale Gesundheitsanwendungen für Ärzte und Patienten bekannter und finanziell attraktiver zu machen, möchte das BMG die gesetzlichen Krankenversicherungen zur Kostenübernahme von Apps bewegen.

Bereits vor Inkrafttreten des DVG übernahmen gesetzliche Krankenkassen die Kosten von einzelnen Gesundheits-Apps, ohne dass diese das aufwendige Verfahren im Sinne des DVG durchlaufen haben. Die Veröffentlichung einer App erfolgt in den meisten Fällen durch Start-up-Unternehmen, Hersteller von Medizinprodukten oder durch Krankenkassen. Der Betreiber der App-Plattform (Google Play Store, App Store iOS) prüft die App lediglich auf deren technische Anwendbarkeit. Eine Überprüfung der Funktionalität und insbesondere des Inhalts erfolgt durch den Plattform-Betreiber nicht.

Das DVG sieht die Überprüfung von Apps durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor. Wie dauerhaft eine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen erreichbar ist, wird in der dazugehörigen Digitalen-Gesundheitsanwendungen-Verordnung ­(DiGAV) geregelt.

DVG: Das Verfahren im Überblick

Verfahren zur Aufnahme einer App in das Verzeichnis „Digitale Gesundheitsanwendungen”
  1. Antrag des Herstellers einer App beim BfArM
  2. BfArM prüft die App auf Datensicherheit, Datenschutz, Funktionalität und Versorgungseffekt
  3. Wenn ein positiver Versorgungseffekt belegt ist, erfolgt die Aufnahme in das Verzeichnis der digitalen Gesundheitsanwendungen
  4. Wenn ein positiver Versorgungseffekt (noch) nicht belegt ist, erfolgt eine auf zwölf Monate befristete Aufnahme in das Verzeichnis
  5. In dieser Zeit hat der Hersteller die Gelegenheit, einen positiven Versorgungseffekt nachträglich zu belegen
  6. Der Preis wird zwischen Hersteller und dem GKV-­Spitzenverband verhandelt

So fordert der aktuelle Referentenentwurf der DiGAV unter anderem Studien zum Nachweis positiver Versorgungseffekte. Der Hersteller solle zum Nachweis solcher positiven Versorgungseffekte eine vergleichende Studie vorlegen, welche zeige, dass die Anwendung der digitalen Gesundheitsanwendung besser ist als deren Nichtanwendung. Dies sei durch Studien mit mittlerem Evidenzniveau und auch retrospektiv möglich. Aktuell ist nicht bekannt, dass eine App den Kostenübernahmenachweis im Sinne der DVG erbracht hat.

Was ändert sich mit der neuen Verordnung?

Weitere Voraussetzung für die im Sinne der DVG mögliche Kostenübernahme einer App durch die gesetzlichen Krankenkassen ist die Zulassung der App als Medizinprodukt. Aktuell sind zahlreiche Gesundheits-Apps auf dem Markt, bei denen der Status als Medizinprodukt ungeklärt ist. Nach der aktuell noch geltenden Medizinprodukte-Richtlinie (Medical Device Directive/MDD) hat der Hersteller einen weitgehenden Ermessensspielraum, ob eine App als Medizinprodukt eingruppiert und zertifiziert wird. Das ändert sich grundlegend.

Viele Diabetes-Apps fallen in Risikoklasse IIa oder höher

Ursprünglich sollte am 26. Mai 2020 die MDD ihre Gültigkeit verlieren und die bisher parallel gültige Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation/MDR)2 allein maßgeblich sein. Aufgrund der Coronapandemie wurde auf europäischer Ebene vor Kurzem eine einjährige Verlängerung dieser Frist beschlossen. Zahlreiche Gesundheits-Apps werden dann als Medizinprodukt mit der Risiko­klasse IIa oder höher eingestuft und ein aufwendiges Zertifizierungsverfahren durchlaufen müssen. Regel 11 der neuen MDR besagt in Bezug auf die Risikoklassifizierung: „Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden, gehört zur Klasse IIa“ [Anh. VIII Kapitel III MDR]. Darüber hinaus legt die MDR fest, dass Apps, die zum Tod oder zu einer irreversiblen Verschlechterung führen könnten, in Risikoklasse III eingestuft werden müssen. Aufgrund der höheren Klassifizierung muss ein Qualitätsmanagement aufgebaut werden, welches einen höheren finanziellen und zeitlichen Aufwand für Entwickler bedeutet. Folglich wird es vor allem für Start-Ups und kleinere Hersteller immer schwieriger, Apps zu entwickeln und auf den Markt zu bringen3. Die Zertifizierung eines Medizinproduktes in die Risikoklasse IIa und höher hat durch eine zugelassene Zertifizierungsstelle (z.B. TÜV Süd) zu erfolgen. Aktuell stehen nur wenige geeignete Zertifizierungsstellen zur Verfügung.

Verordnung möglich, doch es kommen neue Hürden

Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) wird ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung in der Diabetologie gemacht. Demnach können Gesundheits-Apps, die als Medizinprodukte anerkannt sind, von Ärzten verordnet und die Kosten von den Krankenkassen erstattet werden. Das ursprünglich für den 26. Mai 2020 geplante und auf 2021 verschobene Inkrafttreten der MDR wird das Inverkehrbringen von Gesundheits-Apps erschweren. Darüber hinaus wären auch Langzeitstudien zur Belegung der Evidenz für die Nutzung von Apps wünschenswert. Aufgrund der dynamischen Entwicklung im Bereich von digitalen Gesundheitsanwendungen wird dies nur schwer umzusetzen sein.

Quellen:
1. Bundesärztekammer: Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit: Entwurf eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG). Bearbeitungsstand 15.05.2019

2. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Beratung durch das BfArM.

3. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (Hrsg.): Gesundheits-Apps. Bonn, 2019

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