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Mein Gewissen ist rein: ich nutze es nie

Autor: Erich Kögler

Legal, illegal, scheißegal? Legal, illegal, scheißegal? © fotolia/Artem
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Die Big Player stecken sich die Steuergelder in die Tasche – in unserer Meinungskolumne "Mit spitzer Feder".

Der moralische Verfall zeigt sich allerorten. Ist es da ein Wunder, dass die Menschen den Glauben an die Demokratie, an den fürsorglichen Staat, der die Gesellschaft ordnend zusammenhält, verloren haben?

Die Fakten sind bekannt: Die 62 Reichsten besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, das Rentenniveau sinkt, Menschen können von einem Job nicht mehr leben und Kinderarmut ist im reichen Industrieland Deutschland an der Tagesordnung. Währenddessen erhalten Vorstandsvorsitzende Millionenvergütungen, auch nachdem zweifelsfrei deren kriminelle Machenschaften bspw. bei VW nachgewiesen wurden.

Uli Hoeneß hat die Hinterziehung von 28,5 Millionen Euro Steuern schon nach weniger als zwei Jahren abgesessen – ein Familienvater, der zum Kleinkriminellen wird, weil er mit seinem Job seine Kinder nicht mehr ernähren kann, hat eine höhere Strafe zu erwarten. Banken werden mit Milliarden Steuergeldern gerettet, während die Privatinsolvenzrate nie höher war.

Der Aufschrei der Empörung war zunächst laut, dem deutschen Fernsehen waren die „Paradise Papers“ kürzlich gar mehrstündige Sondersendungen wert. Seitdem jedoch ist das Thema rasch wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Und die Menschen sind nicht verwundert, denn man weiß: Die Recherche-Ergebnisse von 382 Journalisten aus 67 Ländern förderten keineswegs den Tatbestand der Steuerhinterziehung zutage, sondern dokumentierten lediglich den Einfallsreichtum cleverer Anwälte und Berater, die ihren Klienten den Weg zu den diversen Schlupflöchern der Gesetzgebung gewiesen hatten.

So verpuffte auch die willkürliche Enthüllung prominenter Namen von U2-Frontmann Bono bis zu Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton. Sogar Queen Elizabeth soll Teile ihres Vermögens auf diese Art und Weise vor den heimischen Finanzämtern in Sicherheit gebracht haben. Dass die 91-jährige Monarchin mit ihrem Geldköfferchen höchstpersönlich in die Karibik gereist ist, darf als unwahrscheinlich gelten. Wie zahlreiche multinationale Konzerne von Apple bis Nike wird auch die britische Königin „Fachleute“ beschäftigen, die mit ihren Ratschlägen verhindern, dass sich der Fiskus allzu großzügig bedient. Das Schweigen und die Folgenlosigkeit dieses Skandals sind gruselig. „Moralisch widerwärtig“, beschrieb der ehemalige britische Chancellor George Osborne manche Steuermodelle; „nicht fair und nicht richtig“, ergänzte Premier Cameron. Getan hat sich nichts.

Es ist längst nicht nur der „Fluch der Karibik“, denn die Briefkästen der Steuervermeider hängen längst auch vor unserer Haustür in Europa: Die Isle of Man in der Irischen See, die Kanalinseln Jersey und Guernsey, Malta, Zypern und Irland locken mit entsprechenden Spezialangeboten interessierte Unternehmen und Privatleute ins Land. Das mag man verwerflich finden – illegal aber ist es nicht!

Sind Schulen und Straßen hierzulande in oftmals marodem Zustand, weil sich einige Reiche ihrer Verpflichtung fürs Gemeinwohl entziehen? Manchmal sind die Zusammenhänge gar nicht so kompliziert, wie sie scheinen. Vermögen vor dem Staat zu verstecken, um möglichst wenig davon der Gesellschaft zurückzugeben, ist Betrug – und schlicht schäbig und unmoralisch.

Eliten demaskieren sich als asoziale Lumpen und der „kleine Mann“ wird zum „Bono“

Es demaskiert die Eliten, die Vorbilder, an denen sich Menschen orientieren, als das, was sie sind: asoziale Lumpen ohne Verantwortungsbewusstsein. Mein Gewissen ist rein, ich benutze es nie, könnte der Leitspruch dieser Bagage sein. Noch schlimmer ist es freilich, wenn der Staat ein solches Verhalten nicht unterbindet, sondern fördert. So wundert es nicht, dass in Anbetracht der frei jeglicher Moral agierenden Elite auch der „kleine Mann“, der längst den Glauben an Gemeinschaft, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit verloren hat, den „kleinen Bono“ in sich entdeckt. Jeder von uns will seine Abgabenlast minimieren.

Die Gilde der Steuerberater lebt exakt davon, Fachliteratur mit schlauen Tipps gibt es in Hülle und Fülle. Ein System, das exakt von dem Solidaritätsprinzip lebt, das es unentwegt ad absurdum führt, schafft sich ab.

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