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Seltene Erkrankungen Mit Genanalyse Klarheit erlangen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

2021 nutzten 66 Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK) das Angebot, 2022 waren es 236. 2021 nutzten 66 Versicherte der Techniker Krankenkasse (TK) das Angebot, 2022 waren es 236. © Stockfotos-MG – stock.adobe.com
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Dass Versicherte ihr Erbgut auf seltene Erkrankungen untersuchen lassen können, soll Regelversorgung werden, sagt der G-BA. Ein erfolgreiches Innovationsfondsprojekt spricht dafür. Einige Kassen übernehmen bereits die Kosten.

In Deutschland leiden etwa 4 Mio. Menschen an einer seltenen Erkrankung. Etwa 80 % dieser über 8.000 Leiden sind genetisch beeinflusst. Für Versicherte von Techniker Krankenkasse (TK), Barmer, DAK-Gesundheit, KKH, hkk und HEK, bei denen ein Verdacht auf eine seltene Erkrankung vorliegt oder keine klare Diagnose möglich ist, hat der Verband der Ersatzkassen (vdek) mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) einen Versorgungsvertrag über eine spezielle Diagnostik geschlossen. Ziel ist es, den langen Leidensweg der Patienten zu verkürzen.

In Fallkonferenzen am Martin Zeitz Centrum für seltene Erkrankungen im UKE tauschen sich Experten der Humangenetik mit Kollegen aus den relevanten Bereichen wie Kinderheilkunde, Neurologie, Innere Medizin und Psychosomatik aus. Gelangen sie zu keiner fach­übergreifenden Beurteilung bzw. Diagnose kann eine sog. Exom-Dia­gnostik durchgeführt werden. In dieser wird durch eine gleichzeitige Sequenzierung von knapp 20.000 Genen des Menschen nach der Ursache für die Erkrankung gesucht. In 25 bis 50 % der Fälle können die Experten auf diese Weise eine eindeutige Diagnose stellen und ggf. zielgerichtete therapeutische Maßnahmen einleiten, erklärt der vdek. „Hier sind wir Vorreiter, denn die Exomsequenzierung ist bisher keine Kassenleistung“, sagt Susanne Klein, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Hamburg.

Nach einem halben Jahr bei 30 % eine gesicherte Diagnose

Ausgangspunkt der Gentestfinanzierung sind die guten Ergebnisse des vom Innovationsfonds geförderten Projekts „Translate-Namse“. Die Konsortialführung hatte die Berliner Charité inne. Konsortialpartner waren neben AOK Nordost und Barmer diverse Universitätskliniken und die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen. 

In dem Projekt wurden neun universitäre Zentren für seltene Erkrankungen und vier universitäre humangenetischen Institute miteinander vernetzt und strukturierte Patientenpfade zur Versorgung etabliert. Vier der Zentren führten die innovative Diagnostik (Next-Generation-Sequencing) durch, meist als Exom-Sequenzierung. In fast 15.000 Fallkonferenzen berieten Ärzte, Genetiker und Therapeuten standort­übergreifend und interdisziplinär Fälle. Lotsen übernahmen die Koordination der Leistungen. 

Bei Patienten ohne gesicherte Diagnose dauerte der gesamte Diagnostikprozess nach Erstvorstellung in der Klink nur ein halbes Jahr, während Kinder zuvor im Mittel vier und Erwachsene zuvor acht Jahre lang wegen ihrer Symptome in diversen Einrichtungen behandelt worden waren. Insgesamt wurden laut Evaluationsbericht 9.707 Fälle bearbeitet. Die Zuweisung von Kindern erfolgte in 96 % durch Haus- oder Fachärzte, bei Erwachsenen waren 42 % der Patienten Selbsteinweisende. Bei 1.682 Patienten (rd. 30 %) konnte eine gesicherte Diagnose gestellt werden. In jedem vierten Fall handelte es sich um eine seltene Erkrankung.

Im April 2022 bewertete der Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss die Evaluationsergebnisse. Er bescheinigte dem Projekt, eine neue Versorgungsform erfolgreich erprobt zu haben, und empfahl die Überführung in die Regelversorgung. Allerdings waren die Ersatzkassen schon vorher aktiv geworden. Im März 2021 hatten sie die spezielle Diagnostik per Versorgungsvertrag mit der Charité Berlin, dem Universitätsklinikum Bonn und dem Universitätsklinikum Tübingen vereinbart. 2021 nutzten z.B. 66 TK-Versicherte das Angebot, 2022 waren es 236. Wie eine Sprecherin mitteilt, wird für die Leistung nicht explizit geworben. Die Initiative geht von den behandelnden Ärzten oder von Patienten aus, die sich direkt an ein Zentrum wenden. Seit 2022 können auch Versicherte mehrerer AOK das Angebot der spezialisierten Gen-Diagnostik wahrnehmen. 

Medical-Tribune-Bericht

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