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Patienten mit Typ-1-Diabetes berichten über die Suche nach Unterstützung im Alltag

Gesundheitspolitik Autor: Antje Thiel

Die Diagnose Diabetes verändert das Leben. Die Diagnose Diabetes verändert das Leben. © iStock/mthipsorn
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Es ist nicht selbstverständlich, dass bei einer Fachtagung Patienten auftreten und von ihren Erfahrungen mit der Erkrankung berichten. Doch es sollte vielleicht zum Standard werden – denn die Vorträge von Dr. Carola Hecking und Lisa Schütte prägten den Zukunftstag Diabetologie und die folgenden Diskussionen.

Die Internistin Dr. Hecking aus Bad Homburg berichtete beim Zukunftstag Diabetes aus ihrer Perspektive als Mutter, denn ihr Sohn erhielt zu seinem vierten Geburtstag vor ziemlich genau einem Jahr die Diagnose Diabetes mellitus. Die junge Mutter, ihr Ehemann, ihr Sohn und die achtjährige Schwester sind bis heute nicht zur Ruhe gekommen. „Ich bin permanent an meiner Belastungsgrenze – neben dem Diabetes geht einfach nichts mehr“, erzählte sie, „ich habe seit der Diagnose keine Nacht mehr durchgeschlafen.“ Ihr Sohn trägt eine Insulinpumpe und ein CGM-System, und irgendein Gerät meldet sich immer mit einem Alarm.

Dabei haben beide Hilfsmittel ihren Alltag ungeheuer erleichtert. „Anfangs wollte der Kleine nichts mehr essen, weil er Angst vor Nadeln hat. Drei Tage nach der Diagnose bekam er zum Glück die Pumpe“, erläuterte Dr. Hecking. Allerdings habe die Familie lange bangen müssen, ob die probehalber bewilligte Pumpe auch dauerhaft genehmigt würde. „Es ist mir ein Rätsel, warum sich der MDK lange mit so einem Pumpenantrag beschäftigen muss“, kritisierte die Mutter, „die sensorunterstützte Pumpentherapie steht doch in den Leitlinien!“

Der Antrag auf Versorgung mit Insulinpumpe und Sensor war allerdings nur der Auftakt eines nervenzehrenden Papierkriegs. „Nach der Diagnose sagte man mir im Krankenhaus, es sei schwierig, Inklusionshilfe zu bekommen. Deshalb sollte ich am besten meinen Job aufgeben“, berichtete Dr. Hecking, die in einem MVZ arbeitet und sich dort vor allem mit Gerinnungsmedizin beschäftigt. „Dabei mache ich meinen Job gern, wir hatten auch gerade erst ein Haus gekauft – wie soll das gehen, dass ich auf einmal nicht mehr arbeite?“

Zehn Monate dauerte es, bis sich Dr. Hecking bei sämtlichen Ämtern durchgefragt, alle Anträge ausgefüllt und eine Inklusionskraft bewilligt bekommen hatte, die ihren Sohn im Kita-Alltag begleitet. Ihr begegneten Personalmangel und unklare Zuständigkeiten, sie wurde immer wieder an andere Stellen verwiesen. Dabei fühlt sie sich im Vergleich zu anderen Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes durchaus privilegiert: „Ich bin überall auf freundliche und bemühte Menschen gestoßen. Die Erzieherinnen in der Kita sind super. Mein Arbeitsumfeld hat viel geholfen und aufgefangen. Meine Mutter zog nach der Diagnose vorübergehend bei uns ein und unterstützte uns.“ Nur dank dieser Hilfe aus ihrem Umfeld habe sie ihren Arbeitsplatz erhalten können. „Ich frage mich, wie das Leute bewerkstelligen sollen, die nicht über diese Ressourcen verfügen?“

Auch die Studentin Lisa Schütte aus Kassel, selbst von Typ-1-Dia­betes betroffen, berichtete über mangelnde Unterstützung im Alltag. Zum Zeitpunkt ihrer Diagnose war sie zehn Jahre alt. In den ersten Jahren bereitete ihr die Erkrankung kaum Probleme, doch mit Beginn der Pubertät geriet ihre Psyche aus dem Gleichgewicht. Die heute 30-Jährige erzählte von der fehlenden Motivation, sich um ihren Diabetes zu kümmern – und von ihrer Essstörung. Denn um abzunehmen, ließ sie als Jugendliche regelmäßig Insulininjektionen aus.

Dass es mit dem Terminus „Insulin-Purging“ einen Fachbegriff für dieses Verhalten gibt, wusste sie damals nicht. Mit 22 Jahren landete sie mit einem ketoazidotischen Koma auf der Intensivstation, ihr Leben hing tagelang am seidenen Faden. Noch vom Krankenhaus aus organisierte man ihr einen Psychotherapieplatz. „Die Therapeutin war zwar nett, aber sie hatte keine Ahnung von Diabetes. Sie verstand deshalb nicht wirklich, was es für mich bedeutet, mein Insulin wegzulassen“, erzählte Schütte.

Um ihre Erlebnisse zu verarbeiten, begann die junge Frau über ihr Leben mit Typ-1-Diabetes und Insulin-Purging zu bloggen (www.lisabetes.de). Ihr Blog stieß in der Diabetes-Community auf großes Interesse, Schütte erreichen täglich Nachrichten anderer Betroffener. Heute hat sie ihren Diabetes meist gut im Griff – und auch das Verlangen, mit dem Weglassen von Insulin ihr Gewicht zu regulieren, meldet sich nur sporadisch bei ihr. „Doch bis heute habe ich noch nicht die richtige Psychotherapeutin gefunden, die sich mit diesem Thema wirklich auskennt.“ Sie hat den Eindruck, dass nur wenige Ärzte mit Essstörungen wie Diabulimie und Insulin-Purging umgehen können.

Zukunftstag Diabetologie der DDG

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