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Sprechstunde halten bis zum Umfallen

Autor: Dr. Barbara Kreutzkamp, Foto: fotolia

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Sind Ärzte wirklich gesünder als ihre Patienten? Fehlzeiten sind jedenfalls selten. Doch viele Kollegen haben eine etwas nachlässige Einstellung zur eigenen Gesundheit. Die neu gegründete Stiftung Arztgesundheit beleuchtete jetzt auf ihrer ersten Tagung verschiedene Facetten.

Ein Internist entwickelt während der Sprechstunde Herzinfarktsymptome. Er lässt sich zwar von der Sprechstundenhilfe noch Blut abnehmen und ein EKG schreiben – behandelt aber weiter. Erst sein Zusammenbruch beendet die Sprechzeit. Ein 60-jähriger HNO-Kollege läuft ein Jahr lang mit einem dicken Knie herum. Er hatte bei sich einen erhöhten Rheumafaktor festgestellt und fürchtete die Behandlungskonsequenzen. Eine junge Anästhesistin wird von ihrem Chef schikaniert, Benzos helfen ihr, den Arbeitstag besser zu überstehen – bis ein Patient zu Schaden kommt und der Missbrauch auffliegt.

Kollegen haben Angst vor dem Kontrollverlust

Solche Erfahrungen als auch kleinere Studien zeigen: Ärzte haben eine spezielle Einstellung zur Krankheit. "Ärzte sind anders krank", unterstrich Professor Dr. Jörg Braun, niedergelassener Arzt in Großhansdorf bei Hamburg und einer der Gründungsmitglieder der Stiftung Arztgesundheit. Gründe dafür gibt es viele. Der Hang zur Bagatellisierung, Selbstdiagnostik und -medikation und die Ambivalenz zwischen "ich muss noch nicht" und "es ist eh zu spät" sind einige davon. Zur Krankheit besteht eine Dis­tanz, vor allem wenn sie (scheinbar) nicht oder schwer behandelbar ist.

Prof. Braun: "Überhöhtes Selbstverständnis, die Angst vor Kontrollverlust und der Gedanke‚ von den Patienten gebraucht zu werden, blockieren die Einsicht, dass etwas getan werden muss." Und selbst wenn Krankheitseinsicht da ist – zum Kollegen gehen mag kaum ein Arzt gerne. Dabei muss es ja nicht die "Konkurrenz" um die Ecke sein, bei der man sich ins Wartezimmer setzt.

Vielleicht lässt sich bei einem weiter entfernt praktizierenden Kollegen ein Nebentermin vereinbaren. Die Behandlung sollte dann aber "ganz normal" ablaufen. "Dazu gehört auch die körperliche Untersuchung, kollegiale Diskurse haben dagegen in dieser Situation keinen Platz", so Prof. Braun. Und der erkrankte Arzt versucht, "ein guter Patient zu sein" und sich an die Therapieempfehlungen zu halten.

Nur wenige sind gut in der Patientenrolle

Zahlen darüber, inwieweit verschleppte Erkrankungen Nachteile für Langzeitgesundheit und Sterblichkeit der Ärzte haben, liegen nicht vor, erläuterte Prof. Braun. Eines ist aber sicher: Ärzte haben ein gegenüber der Normalbevölkerung erhöhtes Suchtrisiko. Wichtigste Droge ist der Alkohol, danach kommen Medikamente und BtM – nicht selten nebeneinander genommen.

Ursachen für die deutliche Überrepräsentation von Suchterkrankungen sind wohl in erster Linie die starken Belastungen, denen Ärzte ausgesetzt sind, erläuterte Dr. Klaus Beelmann, geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Hamburg: Lange Arbeitszeiten, überdurchschnittlich hoher emotionaler Druck durch belastende Patientenschicksale, zunehmende Erschöpfung sowie möglicherweise eine schon früh im Berufsleben aufgetretene, nicht diagnostizierte posttraumatische Belas­tungsreaktion bilden Katalysatoren für Beginn und Aufrechterhaltung einer Sucht.

Mediziner können grandios die Wahrheit verdrängen

Angehörige, Kollegen und Praxis­team sowie der Betroffene selbst verdrängen und verharmlosen – zumindest zu Beginn der Erkrankung. Doch selbst wenn die Abhängigkeit sich kaum mehr verheimlichen lässt – die Angst, nach Offenlegen der Krankheit die berufliche Existenz zu verlieren, behindert oft die dringend notwendige Behandlung. Nicht selten entwickeln sich Depressionen bis hin zu Suizidgedanken.

Interventionen greifen meist erst spät, warnte Dr. Klaus Beelmann, Ansprechpartner der Ärztekammer Hamburg bei Suchterkrankungen von Ärztinnen und Ärzten. Erste Hinweise auf mögliche Suchtprobleme eines Kollegen erreichen die Kammer über Patienten, Angehörige oder die Justiz, z.B. nach Trunkenheitsfahrten. Erst in letzter Zeit melden sich vermehrt Betroffene selbst mit dem Anliegen, am Sucht-Interventionsprogramm teilzunehmen, so Dr. Beelmann. Dennoch sei die Dunkelziffer nicht behandelter Suchterkrankungen gerade bei Niedergelassenen noch sehr hoch.

Süchtige Ärzte scheuen die Hürden des Entzugs

Dabei mögen auch die erforderlichen Schritte eine Hürde sein: Für die etwa sechs- bis achtwöchige Entwöhnung in einer Suchtklinik übernehmen zwar Versorgungswerk bzw. Kassen die Kosten, die Praxisvertretung zahlt man aber aus eigner Tasche.

Der Akutentwöhnung folgt ein einjähriges Nachsorgeprogramm: Psychotherapie, regelmäßiger Besuch von Selbsthilfegruppen und monatliche Besprechungen bei der Ärztekammer sollen den Patienten stabilisieren, regelmäßige Laborkontrollen überwachen die Abstinenz. Nicht jeder Arzt unterwirft sich gern diesen Regeln. Aber: Die Maßnahmen dienen in erster Linie dem Schutz der Patienten, die sich dem Arzt anvertrauen.


Quelle: 1. Hamburger Tagung Arztgesundheit der Stiftung Arztgesundheit

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