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Thema Glutensensitivität heiß umstritten

Autor: Dr. Andrea Wülker, Foto: fotolia

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Immer mehr Menschen in industrialisierten Ländern ernähren sich glutenfrei oder verzichten auf Weizen. Dies, so berichten sie, verbessert bestimmte Krankheitserscheinungen und steigert ihre Lebensqualität. Die Suche nach Zeichen der Weizenallergie oder Zöliakie ergibt: nichts. Ist die nichtallergische Glutensensitivität etwa reine Einbildung?

Die Nachfrage nach glutenfreien Lebensmitteln ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Fast jeder fünfte Amerikaner kauft heute glutenfreie Produkte – obwohl sie deutlich mehr kosten als herkömmliche Nahrungsmittel. Sie tun es, weil sie Bauchweh und Blähungen, Hautausschläge, Gelenkschmerzen oder eine Depression haben. Diese und noch zahlreiche weitere Beschwerden sollen sich unter glutenfreier Kost zumindest subjektiv deutlich bessern.

Die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (NZGS) ist definiert als ein weizen- oder glutenabhängiges Krankheitsbild, das den definierten Kriterien der autoimmunen (Zöliakie) oder allergischen Genese (Weizen- bzw. Getreideallergie) nicht entspricht, schreibt das Team um Professor Dr. Martin Raithel, Waldkrankenhaus St. Marien gGmbH, Erlangen, im "Bundesgesundheitsblatt".

Bei Personen mit NZGS finden sich weder Antitransglutaminase-IgA-Antikörper noch andere zöliakiespezifische Antikörper unter Glutenbelastung, ebenso wenig eine zöliakietypische Histologie. Auch lassen sich keine anderen Sensibilisierungszeichen wie positiver Prick-Test oder spezifisches IgE auf Weizen und Gluten nachweisen.

Menschen mit NZGS berichten über verschiedene intestinale oder extraintestinale Symptome (s. Kasten). Diese Beschwerden treten nicht alle gleichzeitig auf, sondern eher einzeln, und sie wechseln manchmal sprunghaft. Angesichts der unspezifischen Symptome müssen verschiedene Differenzialdiagnosen erwogen werden, z.B. Zöliakie, Weizenallergie, FODMAP-induzierte Beschwerden (s. Kasten), Reizdarm oder Kohlenhydratmalassimilation.

Diagnostisches Vorgehen

Die Pathomechanismen der NZGS kennt man bis dato nicht genau. Es werden verschiedene nichtimmunologische Vorgänge diskutiert, z.B. die Auswirkungen von Frukto- und Galakto-Oligosacchariden, von Amylase-Trypsininhbitoren (ATIs) oder von Weizenlektinen, die alle zu einer Modulation der Darmpermeabilität und/oder zu einer unspezifischen Immun- oder Effektorzellaktivierung im Magen-Darm-Trakt führen können.

Wie geht man diagnostisch vor? Bei getreide-, weizen- oder glutenabhängigen Beschwerden steht an erster Stelle der Ausschluss bzw. Nachweis einer Zöliakie oder einer Nahrungsmittelallergie. Fällt diese Diagnostik negativ aus, kann eine NZGS diagnostiziert werden, wenn:

  • andere Krankheitsbilder mit ähnlichen Symptomen wie Reizdarm, Kohlenhydratmalassimilation und bakterielle Dünndarmüberwucherung abgeklärt wurden,
  • eine Glutenbelastung mit mindestens zwei Scheiben Brot pro Tag erneut Beschwerden hervorruft (Provokation mit Gluten/ Weizen unter ärztlicher Überwachung!),
  • nach einer Karenzphase (sechs bis acht Wochen) die Reexposition über mindestens fünf bis zehn Tage zu den bekannten Symptomen führt.


Vor dem Hintergrund, dass bei Menschen mit angegebener Weizensensibilität/NZGS oft interagierende psychosomatische Krankheitsprozesse vorliegen, kommt es diagnostisch entscheidend auf die Reexposition nach einer Karenzphase an. Studien ergaben eine geringe Reproduzierbarkeit der Beschwerden unter Glutenbelastung – einer der Gründe, warum die NZGS nach wie vor ein umstrittenes Krankheitsbild ist.

Auch an psychosomatische Krankheitsprozesse denken!

Da weizen- und glutenfreie Ernährung hohen Aufwand verursacht, sollte sich die Diagnose NZGS auf mindestens zwei ärztlich überwachte Glutenbelastungstests stützen, fordern die Autoren. Nur bei wenigen Patienten führt die Glutenbelastung zu konsistent nachweisbaren Beschwerden – und nur diese Personen sollten eine glutenfreie Ernährung über ein bis zwei Jahre einhalten.

Anschließend erfolgt ein erneuter Belastungstest. Wichtig zu wissen ist, dass glutenfreie Ernährung über längere Zeit zu einer eingeschränkten Zufuhr an B-Vitaminen und Faserstoffen führt und die Bifidus-Bakterienflora des Darms verändert.


Quelle: Raithel M et al. Bundesgesundheitsbl 2016; 59: 821-826

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