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Kommentar TI kostet Zeit, Geld und Nerven

Aus der Redaktion Autor: Michael Reischmann

© MT
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Elektronische AU und eRezept – jetzt wird es ernst mit den TI-Anwendungen. Bevor es losgeht, haben allerdings schon viele Ärzte die Nase voll davon. Die TI erscheint dennoch alternativlos. Ein Kommentar.

Notfalldatensatz, Medikationsplan, elektronische Patientenakte – das waren alles freiwillige Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI). Und sie sind noch kein Massengeschäft. Mit der elektronischen AU-Bescheinigung und dem elektronischen Rezept wird das anders. Das sind elementare Anwendungen in täglicher Millionenauflage. Dafür muss die notwendige Technik ausreichend vorhanden sein und reibungslos funktionieren. So ist es aber nicht, wie Niedergelassene und KV-Vertreter kritisieren. Das Verlangen der KBV-Vertreterversammlung, die Pflicht zur eAU und zum eRezept auszusetzen, ist deshalb nachvollziehbar.

Eine Diabetologin schilderte jüngst, wie es ihr ergeht: Neben dem Ärzte- und Fachkräfteteam bedarf es einer Praxismanagerin, die sich um alle logistischen Dinge kümmert, einer Sekretärin, eines externen Datenschutzbeauftragten, einer externen Arbeitssicherheitsfirma und eines Hard-/Softwareanbieters, um die Praxis am Laufen zu halten. Ständig seien neue Anforderungen zu erfüllen, die Zeit, Geld und Nerven kosten. Doch wenn man mit Fragen oder Problemen die ausführenden Stellen kontaktiere, werde keiner konkret oder die Einschätzungen seien widersprüchlich, klagt die Ärztin. Weder Softwarehaus noch KV, KBV oder gematik würden schlüssige Antworten geben. Die Praxis muss selber sehen, wie sie klarkommt. Dass das Frust erzeugt, vor allem wenn sanktions­bewehrte Fristen gesetzt sind, leuchtet jedem ein.

Kann Deutschland keine Großprojekte mehr? Die TI erinnert an Stuttgart 21, den BER oder den Fehmarnbelttunnel. Die Zeit vergeht, die Kosten steigen; Schweizer und Dänen zeigen, dass es besser geht. Vertreter der gematik, die auf den TI-Ärger angesprochen werden, bitten um Verständnis. In den letzten zwei bis drei Jahren sei es doch vorangegangen. Deutschland baue ein digitales Netz für 83 Mio. Bürger, 150.000 (Zahn-)Arztpraxen, 19.000 Apotheken und 1.900 Krankenhäuser mit rund sechs Mio. Fachkräften und Ärzten auf. Und das mit technischen Lösungen diverser Anbieter. Dazu kommen die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten.

Das grundsätzliche Argument pro TI lautet: Wenn Deutschland nicht selbst eine solche Struktur aufzieht und sicher betreibt, werden Konzerne wie Google, Apple oder Amazon das Feld besetzen. Dann erscheint die Kommerzialisierung unabwendbar. Es ist also von nationalem Interesse, im solidarisch finanzierten Gesundheitswesen die staatliche bzw. selbstverwaltete Daseinsfürsorge hochzuhalten und für eine funktionierende Bürokratie zu sorgen. Angesichts der sonst üblichen Privatisierungspolitik und mancher kaputtgesparten öffentlichen Verwaltung klingt das gut. Allerdings muss das zentrale Versprechen, dass die Digitalisierung mehr Zeit für eine bessere Behandlung der Patienten schafft, auch erfüllt werden.

Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik

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