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Ernährungsverhalten Warum hochverarbeitete Lebensmittel uns nicht loslassen 

Autor: Liesa Regner-Nelke

Wieso haben wir häufig Heißhunger auf Süßes und Salziges? Liesa Regner-Nelke ist in ihrer Kolumne auf Spurensuche gegangen. Wieso haben wir häufig Heißhunger auf Süßes und Salziges? Liesa Regner-Nelke ist in ihrer Kolumne auf Spurensuche gegangen. © Wayhome Studio – stock.adobe.com
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So lange in die Tüte greifen und weiteressen, bis die Tüte leer ist – das passiert oft bei hochverarbeiteten Lebensmitteln. Warum ist das so?

Der Stand-up-Comedian Maxi Gstettenbauer hält die Fähigkeit, nur ein Schoko-Ei aus einer vollen Packung zu essen, für eine wahre Superkraft. Niemand habe eine derartige Willenskraft, und wenn doch, dann könne der sich gleich mit Superman und Co. messen. Eine Bewunderung, die ich beim Blick auf die Packung Oster-Schokolade, die ich im Schrank gefunden habe und die eben noch voll war, gut nachvollziehen kann. Nur eins essen und dann die Packung weglegen? Unmöglich. 

Doch warum kann ich mich so schwer davon abhalten, mir Schoko-Ei für Schoko-Ei in den Mund zu stecken, bis ich mich kaum noch vom Sofa erheben kann? Sollte mich nicht irgendein angeborenes Steinzeit-Verhaltensmuster davor bewahren, über den Hunger hinaus zu essen und so eine leichte Beute für den nächsten Säbelzahntiger zu sein? Und wenn ja, ist dieses Verhaltensmuster vielleicht einfach nicht auf die Herausforderungen eines modernen Lebensmittels wie Schoko-Eier ausgelegt?

Metabolische und hedonische Prozesse bestimmen, wie viel wir essen

Die Nahrungsaufnahme wird von verschiedenen Organen des Körpers reguliert, die eine Rückmeldung über den Zustand des Stoffwechsels an das zentrale Nervensystem geben. Dieser Steuerungsprozess hängt von zwei unterschiedlichen, aber eng miteinander verknüpften Prozessen ab: der homöostatischen (d.h. metabolischen) und der hedonischen (d.h. belohnenden) Komponente. Die homöostatische Regulierung der Nahrungsaufnahme erfolgt durch Informationen, die durch den Stoffwechsel und die Verdauungsorgane an das zentrale Nervensystem übermittelt werden. So nimmt das Nervensystem unter anderem die Zusammensetzung der Nahrung (z.B. viel Fett) und die Dehnung des Magens oder Darms wahr. Diese Informationen werden dann in Signale für den Beginn oder das Ende der Nahrungsaufnahme umgewandelt.

Hedonisches Essen wiederum ist der Prozess, der uns dazu bringt, die Hand immer wieder in die Tüte mit den Schokoladen-Eiern zu stecken, obwohl von Hunger schon lange nicht mehr die Rede sein kann. Der Prozess, ausschließlich zu essen, um angenehme Gefühle hervorzurufen, ohne Rücksicht auf den Stoffwechselstatus oder den Nährwert der verzehrten Lebensmittel. Diese Komponente der Nahrungsaufnahme stützt sich auf bewusst wahrgenommene sensorische Eigenschaften der Nahrung, wie den Geschmack, und einen unbewussten Prozess, der durch Appetithormone aus dem Darm reguliert wird.  

Können hochverarbeitete Lebensmittel süchtig machen?

Die amerikanischen Wissenschaftlerinnen Ashley N. Gearhardt und Alexandra G. DiFeliceantonio haben die These aufgestellt, dass stark verarbeitete Lebensmittel, also Lebensmittel, die viele Verarbeitungsschritte durchlaufen und viele Zusatzstoffe enthalten (z.B. Fertiggerichte oder Süßigkeiten) süchtig machen können. Grund sei die hedonische Komponente der Nahrungsaufnahme: Essen als Belohnung

Doch nicht alle Lebensmittel wirken gleichermaßen belohnend. Gearhardt und DiFeliceantonio argumentieren, dass süße und salzige sowie kohlenhydrat- und fetthaltige Nahrungsmittel besonders wirksam sind. Da Kohlenhydrate und Fette die wichtigsten energieliefernden Nährstoffe sind, liegt es auf der Hand, dass sie bevorzugt werden. Zudem deutet Süße in der Natur auf das Vorhandensein von Zucker hin, was unsere angeborene Vorliebe für Süßigkeiten erklären könnte. Unsere angeborene Vorliebe für Salziges könnte auf die Natriumknappheit in einigen natürlichen Umgebungen zurückzuführen sein.

Es konnte zudem gezeigt werden, dass Lebensmittel, die Kohlenhydrate und Fett kombinieren, besonders bevorzugt werden, im Vergleich mit Lebensmitteln, die die gleiche Menge an Energie entweder in Form von Kohlenhydraten oder Fett enthalten. Grund hierfür könnte ein besseres Energie-Sättigungs-Verhältnis dieser Mischung sein. Dieses Verhältnis ist biologisch wichtig, da Ziel des Essens die Aufnahme von Energie und Nährstoffen ist – nicht satt zu werden. Sättigung schränkt die Nahrungsaufnahme ein. Daher wäre eine Vorliebe für stark sättigende, aber nährstoff- und energiearme Lebensmittel unvorteilhaft.

Hochverarbeitete Lebensmittel erhalten häufig eine Mischung aus Kohlenhydraten und Fetten und regen somit besonders stark das Belohnungssystem an. Hinzu kommt der bewusst wahrgenommene Geschmack, welcher bei diesen Lebensmitteln oft stärker ist als bei natürlicheren Produkten (z.B. einem Apfel). Ein Verhalten, dass das Belohnungssystem anregt, wird wiederum gerne wiederholt und so kommt es zum „Suchtpotenzial“ von hochverarbeiteten Lebensmitteln

Früher drohte Gefahr durch den Säbelzahntiger – und heute? 

In Anbetracht dieser Tatsachen kann es ein tröstlicher Gedanke sein, dass sich seit der Steinzeit neben unseren Nahrungsmitteln auch die Gefahr durch Säbelzahntiger geändert hat. Dennoch bieten hochverarbeitete Lebensmittel nicht unbedingt weniger Risiken. Eine Aufklärung über die Prozesse, die diese Produkte so unwiderstehlich machen, kann dabei helfen, fundierte Entscheidungen über die eigene Ernährung zu treffen. Ich persönlich werde mich von Schoki-Eiern, den Säbelzahntigern unserer Zeit, erst einmal fernhalten.

Literatur:
Rogers PJ. Addiction 2023 Apr; 118 (4): 601-602; doi: 10.1111/add.16089
Gearhardt AN, DiFeliceantonio AG. Addiction 2023 Apr; 118 (4): 589-598; doi: 10.1111/add.16065
Small DM, DiFeliceantonio AG. Science 363:346-347 (2019); doi: 10.1126/science.aav0556

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