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Ernährung Bei softer Textur ist es schwer, mit dem Essen aufzuhören

Autor: Dr. Karin Kreuel

Für die Industrie ist es sehr profitabel, hochverarbeitete Lebensmittel herzustellen. Für die Industrie ist es sehr profitabel, hochverarbeitete Lebensmittel herzustellen. © yanadjan – stock.adobe.com
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Hochverarbeitete Lebensmittel sind schmackhaft, sehr bequem, weit verbreitet und werden intensiv beworben. Die Kehrseite: ein schlechtes Nährwertprofil, eine hohe glykämische Last – und nach aktueller Datenlage eine verkürzte Lebenszeit mit allerlei Morbiditäten. 

Inwieweit hochverarbeitete Lebensmittel (Ultra-Processed Foods, UPF) Bestandteil der täglichen Ernährung sein dürfen, ist nicht nur unter Ernährungsexpert*innen ein stark umstrittenes Thema. Professorin Dr. Dr. Anja Bosy-Westphal vom Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde in Kiel sieht ein großes Problem in der abnehmenden Agrobiodiversität.1 „Wir erleben einen dramatischen Verlust an Kulturpflanzen.“ 

Ein typischer Supermarkt biete etwa 4.000 Produkte an, die Mais bzw. extrahierte Maisbestandteile enthalten. Man könne eine große Vielfalt an Lebensmitteln aus einer einzigen Nahrungspflanze generieren, aber dabei gehe die Vielfalt der Nahrungsmittel verloren, betonte die Wissenschaftlerin. Inzwischen stammten fast 50 % der in Deutschland verzehrten Kalorien aus hochverarbeiteten Lebensmitteln. Der Ursprung dieser Zutaten ist zumeist nur noch eine Handvoll ertragreicher Pflanzenarten, während tierische Zutaten häufig von Tieren stammen, die mit den gleichen Pflanzen gefüttert werden.

Viele Lebensmittel mit Nutri-Score A sind stark verarbeitet 

Anhand des Klassifikationssystems NOVA lassen sich Lebensmittel in vier Gruppen einteilen, von unverarbeitet bis hin zu hochverarbeitet. In NOVA-Klasse 4 gehören unter anderem Fast Food, gezuckerte Limonaden, Snacks, Naschereien, Kekse, gesüßte Milchprodukte, Fertigsoßen und Dressings. Für Verbraucher*innen sei es nicht leicht, den Durchblick zu bewahren, denn: „40 % der Lebensmittel mit Nutri-Score A gehören in NOVA-Kategorie 4“, erklärte Prof.  Bosy-Westphal. Die Definition der NOVA-Gruppen sei zwar sehr schwammig und daher leicht angreifbar. Mithilfe dieser Einteilung lasse sich dennoch gut darstellen, wie sehr Convenience-Produkte sich bereits weltweit verbreitet haben und dabei sind, traditionelle Ernährungsweisen zu verdrängen. Ihren Siegeszug verdankten die für die Lebensmittelindustrie sehr profitablen, schmackhaften und meist sehr lange haltbaren UPF auch ihrer intensiven Bewerbung und attraktiven Verpackung. 

Weiteressen – bis der Bedarf an Proteinen gedeckt ist 

Eine weitere Hypothese für die höhere Gesamtenergiezufuhr durch UPF lautet: „Von Nahrungsmitteln, die wenig Protein enthalten, essen wir mehr, bis der Bedarf an Proteinen gedeckt ist“, erklärte Prof. Bosy-Westphal, die diesen Ansatz derzeit mit ihrer Arbeitsgruppe weiter erforscht. Ganz eindeutig könne man heute bereits sagen: „In UPF sind kaum sekundäre Pflanzenstoffe enthalten, während die Zufuhr von gesättigten Fetten mit der UPF-Zufuhr steigt.“ Mögliche kanzerogene Einflüsse durch Prozesskontaminanten der UPF-Herstellung werden weiterhin untersucht, ebenso wie die Auswirkungen endokriner Dysruptoren aus Verpackungsmaterialien und eine durch Zusatzstoffe ausgelöste Dysbiose der Darmmikrobiota. 

Mittlerweile belegen viele Studiendaten, wie ungesund diese Entwicklung ist. So zeigte eine prospektive Kohortenstudie mit fast 20.000 Teilnehmer*innen über einen Zeitraum von 15 Jahren einen 62%igen Anstieg der Gesamtmortalität im Zusammenhang mit hohem UPF-Verzehr (> 4 Portionen/Tag). Dabei stieg die Rate der Gesamtmortalität mit jeder zusätzlichen UPF-Portion/Tag um 18 %.2 Ein systematisches Review inklusive Metaanalyse ergab für Erwachsene nicht nur eine erhöhte Gesamtmortalität durch UPF-Verzehr, sondern auch ein erhöhtes Risiko für diverse Erkrankungen, darunter Typ-2-Diabetes, Reizdarmsyndrom, Depression und Krebs.3 

UPF steigern die tägliche Kalorienzufuhr

Der Zusammenhang mit dem Metabolischen Syndrom und Übergewicht wird umso deutlicher, wenn man sich die Ergebnisse einer Cross-over-Studie anschaut: Durch UPF-Zufuhr stieg die tägliche Kalorienzufuhr der 20 Proband*innen um fast 500 kcal (versus wenig verarbeitete Speisen), bei drei definierten Ad-Libitum-Mahlzeiten pro Tag, jeweils über 14 Tage, die hinsichtlich Makronährstoffgehalt, Kalorien, Zucker und Ballaststoffen fast identisch waren.4 Die höhere Energiezufuhr in der UPF-Gruppe wurde durch die Textur der UPF erklärt, die zu einer höheren Essgeschwindigkeit führe: „Bei softer Textur isst man immer mehr als bei harter Textur“, erklärte Prof. Bosy-Westphal. Und: „UPF enthält pro Gramm Lebensmittel mehr Kalorien.“ Diese Erkenntnis wurde durch eine weitere Studie im Cross-over-Design mit 50 normalgewichtigen Personen bestätigt.5

DGIM 2023 

Literatur:

  1. Leite FHM et al. BMJ Glob Health 2022; 7(3): e008269; doi: 10.1136/bmjgh-2021-008269
  2. Rico-Campà A et al. BMJ 2019; 365: l1949; doi: 10.1136/bmj.l1949
  3. Lane MM et al. Obes Rev 2021; 22(3): e13146; doi: 10.1111/obr.13146
  4. Hall KD et al. Cell Metab 2019; 30(1): 67-77.e3; doi: 10.1016/j.cmet.2019.05.008
  5. Teo PS et al. Am J Clin Nutr 2022; 116(1): 244-254; doi: 10.1093/ajcn/nqac068