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Minderwertige Krebsmittel „Was hier passiert, ist eine Katastrophe“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Für große Teile der Welt ist der Zugang zu hochwertigen Asparaginasen unerfüllter Bedarf. Für große Teile der Welt ist der Zugang zu hochwertigen Asparaginasen unerfüllter Bedarf. © Tinnakorn – stock.adobe.com
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Insbesondere Kinder sind bekanntermaßen von der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) betroffen. Gute Therapieoptionen bietet der Wirkstoff Asparaginase – vorausgesetzt, die Wirkstoffqualität der Zytostatika ist gesichert. Das ist jedoch nicht immer der Fall.

Laut der Webseite gesundheitsforschung-bmbf.de erkranken etwa 600 Kinder und Jugendliche in Deutschland jährlich an akuter lymphoblastischer Leukämie. Damit ist ALL die häufigste Krebs­erkrankung in dieser Altersgruppe. „Um die Leukämiezellen im Körper zu vernichten, ist eine intensive Chemotherapie nötig“, heißt es. Mit der Therapie könnten heute über 80 % der Kinder und Jugendlichen dauerhaft geheilt werden. Im Jahr 1960 lag die Überlebensrate mit ALL gerade einmal bei 10 %. 

Die Basis für den Fortschritt bilden hochwertige qualitätsgeprüfte Asparaginase-Medikamente. Es handelt sich hierbei um Biotherapeutika. In Deutschland werden vor allem das Präparat Oncaspar® von Servier bzw. bei allergischen Reaktionen die Erwinase® von Clinigen verwendet, wie Prof. Dr. Bernhard Wörmann­, Medizinischer Leiter der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), berichtet. 

Für Europa gelten hohe Zulassungshürden

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) antwortet auf Nachfrage, ihm lägen zu den genannten Fällen in Europa keine Informationen vor. Welche Arzneimittel im EU-Markt zugelassen würden, sei auch behördlich reguliert: „Das heißt, dass pharmazeutische Unternehmen im Rahmen des Arzneimittelgesetzes agieren, welches ein Inverkehrbringen von Arzneimitteln nur gestattet, wenn es die zuständigen Behörden genehmigen.“ Grundlegend gelte, dass pharmazeutische Unternehmen in Deutschland der Verantwortung unterliegen, Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität ihrer Arzneimittel sicherzustellen – erst dann dürfe ein Arzneimittel überhaupt in die Versorgung. Unterstützt würden die Unternehmen dabei von den lokalen Überwachungsbehörden sowie den Bundesoberbehörden (BfArM/PEI), welche unter anderem die zu Teilen im Ausland befindlichen Produktionsstätten inspizierten. Dabei würden auch Proben genommen und die Ergebnisse unternehmenseigener Kontrollen überprüft.

Die Kontrollen betreffen laut BPI auch Großhändler, Apotheken und Parallelimporteure. Solche Kontrollen würden auch von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA, der US-amerikanischen Behörde FDA und weiteren Behörden weltweit durchgeführt – auch in Produktionsstätten außerhalb der EU und USA. „Arzneimittel, die außerhalb der EU hergestellt werden, müssen denselben Anforderungen entsprechen, die auch innerhalb der EU gelten, bevor sie nach Deutschland importiert werden dürfen“, betont der BPI. Hierbei müssten pharmazeutische Unternehmen insbesondere die GMP-Standards und Vorgaben zur Dokumentation der Qualität und Sicherheit eines Arzneimittels einhalten.

Produkte wurden teils trotz Mängel weiter verkauft

In anderen Regionen der Welt haben betroffene Kinder aber weniger hohe Heilungschancen, weil die eingesetzten Asparaginase-Produkte qualitativ minderwertig sind. Das non-profit „Bureau of Investigative Journalism“ macht ausgehend von Brasilien das Problem im Detail deutlich. Mindestens ein Dutzend Asparaginase-Marken seien nachweislich von schlechter Qualität, zehn seien sogar noch auf dem Markt, kritisieren die Reporter. 

Mindestens sieben Hersteller hätten ihre Produkte weiter verkauft, obwohl sie wegen Nichteinhaltung der Mindeststandards für die Herstellungsqualität gewarnt worden seien. Laut dem Rechercheteam wurden minderwertige Marken in den letzten fünf Jahren in mehr als 90 Länder geliefert, vor allem in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen und ohne strenge Regulierungsbehörden. Es seien viele Verunreinigungen in den Produkten enthalten, auch für Menschen schädliche Bakterien. Verwiesen wird auf Expertenschätzungen, nach denen etwa 70.000 Kinder weltweit durch kontaminierte und unwirksame Asparaginase gefährdet sein könnten. 

„Was hier passiert, ist eine Katastrophe“, wird Prof. Vaskar Saha, Abteilungsleiter für translationale Krebsforschung zu Kinderkrebs der Universität Birmingham und ehemals Direktor des Tata Translational Cancer Research Center in Kalkutta, im Artikel zitiert. Die überwiegende Mehrheit der Kinder mit AL lebe in armen Ländern, so der Wissenschaftler: „Hier geht es um Geld, Ressourcen und Gerechtigkeit.“

Eine „unbefriedigende Qualität von E.-coli-Asparaginase-Biogenerika in Indien“ zeigt die Arbeit eines Autorenkollektivs, zu denen neben Prof. Vaskar Saha u.a. auch Jasmeet Sidhu, Forscherin bei Amnesty International, gehören. Nachzulesen ist der Artikel seit 2021 in der „Pediatric Blood & Cancer – Wiley Online Library“. Berichtet wird über Evaluationen des in Indien weitverbreiteten Einsatzes von EcASNase, der ursprünglich nativen, aus Escherichia coli stammenden Asparaginase. 

Die therapeutische Aktivität der verabreichten Dosis (10.000 IE/m2/Dosis, intramuskulär, alle 72 Stunden) wurde während der Induktionstherapie überwacht, die arzneimittelbezogenen Toxizitäten wurde aufgezeichnet und alle Ergebnisse wurden mit Referenz-EcASNase verglichen. Festgestellt wurde dabei nicht nur bei 46 von 70 Mess­ergebnissen eine subtherapeutische Asparaginase-Aktivität. Alle generischen Produkte enthielten auch Verunreinigungen, mit Schwankungen von Charge zu Charge. Dazu kamen hohe Konzentrationen an Proteinaggregaten und Kontamination mit Wirtszellenprotein

Die Autor:innen sehen damit weitverbreitete Bedenken hinsichtlich der unbefriedigenden Qualität und therapeutischen Aktivität von nativen EcASNase-Biogenerika, die in LMICs (Low and Low Middle Income Countries) vermarktet werden, bestätigt. „Die angemessene Verwendung dieser Produkte erfordert überwachte Studien, um die klinische Eignung zu ermitteln und eine angemessene Dosierung und einen angemessenen Zeitplan festzulegen“, mahnen die Wissenschaftler:innen. Für große Teile der Welt bleibt nach ihrer Einschätzung der gesicherte Zugang zu qualitativ hochwertigen Asparaginasen unerfüllter Bedarf

Das Problem einer ineffektiven Asparaginase sei durch Kontakte mit anderen Ländern gut bekannt, das Thema sei also nicht neu, erklärt Prof. Wörmann. Kritisch sei ein umfangreiches, aber eben auch teures Drug Monitoring zur Überprüfung der Asparaginase-Aktivität. „Nach meinem Wissen wird das fragliche Produkt in Deutschland bei (pädiatrischen) Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie nicht eingesetzt“, so der DGHO-Experte. Bestätigt hatte ihm das auch Versorgungsforscher Prof. Dr. Matthias Schrappe, selbst Onkologe und Autor des „APS-Weißbuch Patientensicherheit“ des Aktionsbündnisses Patientensicherheit (APS).

In mehreren Fällen seien die minderwertigen Asparaginase-Produkte auch nach Westeuropa gelangt, auch Erkrankte in Italien seien sie verabreicht worden, schreiben die Journalisten. Um welche Asparaginase-Anbieter es sich in Europa handeln soll, dazu werden allerdings keine Angaben gemacht.

Medical-Tribune-Bericht

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