Anzeige

Hauptstadt-Koalition Weitermachen mit hehren Zielen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Koalitionsspitze besteht aus Bettina Jarasch (Grüne), Franziska Giffey (SPD) und Klaus Lederer (Linke). Die Koalitionsspitze besteht aus Bettina Jarasch (Grüne), Franziska Giffey (SPD) und Klaus Lederer (Linke). © iStock/TheArtist
Anzeige

Wer Berlin kennt, kennt auch die Problemfelder in der Stadt: Kriminalität, Obdachlosigkeit, Drogenszene, ein marodes Netz von U- und S-Bahn, horrende Mieten, zu wenige freie Wohnungen. All diesen und weiteren Problemen will die neue Hauptstadt-Koalition 2021 bis 2026 begegnen.

Das Motto von SPD, Grünen und Linke lautet: „Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark.“ Die ehemalige Bundesfamilienministerin und künftige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) betonte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, man wolle „eine Arbeit leisten, die die Berlinerinnen und Berliner stolz sein lässt auf ihre Stadt“. Berlin soll eine klimaneutrale Hauptstadt werden.

Der rot-grün-rote Senat (bisher rot-rot-grün) strebt erhebliche Veränderungen an. So sollen z.B. zwei stark befahrene Teile der Stadtautobahn schrittweise zurückgebaut werden, um Schlüsselprojekte des sozialen und ökologischen Stadtumbaus umzusetzen. Stadtquartiere sollen nach Möglichkeit so geplant und gestaltet werden, dass es den Verzicht auf das eigene Auto fördert.

Die Koalition will ein Höchstmaß an Gesundheit, Lebensqualität und Wohlbefinden aller erreichen – „egal welchen Alters oder Geschlechts, welcher sexuellen Identität und Orientierung, unabhängig von der Herkunft, dem sozialen Status, ob vorerkrankt oder nicht, ob mit oder ohne Behinderung oder anderen Voraussetzungen – vom Lebensanfang bis zum Lebensende“.

Im Rahmen eines „Zukunftsprogramms Krankenhäuser“ soll das Gesamtfördervolumen für die Kliniken angehoben werden. Finanzierungsinstrumente würden geprüft, heißt es. Die Investitionen sollen auch dem Klimaschutz im „Green Hospital“ dienen. Die Koalition blickt über die Stadtgrenze: In enger Abstimmung mit Brandenburg soll die gemeinsame Krankenhausplanung ausgebaut werden.

Mehr Mitsprache des Landes im Zulassungsausschuss

Es gelte aber weiterhin der Grundsatz ambulant vor stationär, ist im Koalitionsvertragsentwurf zu lesen. Die Gesundheitsversorgung soll in Abstimmung mit niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern weiterentwickelt werden. Ziel sind sektorenübergreifende Kooperationen, auch unter Einbeziehung anderer Akteure des Sozial- und Gesundheitswesens.

Die Ungleichverteilung von Versorgungsangeboten soll reduziert werden, indem z.B. das Land Berlin bei der Arbeit der Zulassungsausschüsse von KV und Krankenkassen stärker beteiligt wird. Ebenso wird eine verbesserte Transparenz über die Angebote angestrebt sowie über die Betreiberstrukturen von Medizinischen Versorgungszentren. Vo­­r­angetrieben werden soll der Kampf gegen Pflegemangel, u.a. durch die Einrichtung eines Studienzweiges „Community Health Nurses“. Ein Ausbildungscampus soll zeitnah an den Start gehen.

Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus sollen auch eine Pflegeausbildung erhalten können. Und für das gemeinsame Landesgremium nach § 90a SGB V ist mehr Mitsprache seitens der Pflege ge­plant. Dem besonderen Nachwuchs- und Fachkräftemangel an Ärzten im Öffentlichen Dienst will man mit einer Quote für Medizinstudienplätze gegensteuern. Die Prüfung hierzu laufe, heißt es.

Niedrigschwellige Angebote in Brennpunktregionen

Aus der letzten Legislatur will die Koalition einiges übernehmen, z.B. die Erfahrungen aus Gesundheitszentren mit niedrigschwelligen Angeboten wie im sozialen Brennpunktbezirk Neukölln oder aus Kombi-Praxen mit Sozialberatung in Lichtenberg. Das Gesundheitskollektiv Berlin und das Stadtteilgesundheitszentrum Neukölln begrüßen das.

Besonders in der ­Pandemie habe sich gezeigt, dass regionale Angebote, nahe an der Bevölkerung, eine bessere Versorgung ermöglichten, bemerkt Kirsten Schubert, Allgemeinärztin im Stadtteilgesundheitszentrum. Was die Partner anmahnen ist jedoch eine stabile und planbare Finanzierung und eine enge Zusammenarbeit mit der künftigen Senatorin, um die Erfahrungen für ganz Berlin nutzbar zu machen.

Den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) sehen die Koalitionäre als wichtigen Bestandteil der Daseinsvorsorge. Er soll personell und materiell gestärkt werden, u.a. mit einem bereits begonnenen IT-Projekt, das die Gesundheitsämter der Bezirke und andere Bereiche des ÖGD konsequent digitalisiert und vernetzt. „Um den ÖGD in allen Bereichen zukunftsfest zu machen, wird das Mustergesundheitsamt weiterentwickelt“, heißt es. Alle Gesundheitsämter sollen anbieten, Famulaturen und ein Tertial des Praktischen Jahres bei ihnen zu absolvieren. Es würden sämtliche tariflichen Spielräume geprüft, um Ärzte für den ÖGD zu gewinnen und zu halten.

Einige weitere Vorhaben:

  • Mit Blick auf die geplante Cannabisfreigabe durch die Ampel im Bund wird auf eine „akzeptierende Drogenpolitik“ gesetzt. Der Fokus werde auf einen selbstbestimmten Verbraucherschutz gelegt, der durch den kontrollierten Cannabisverkauf an Erwachsene überhaupt erst möglich werde.
  • Förderprogramme wie das „Aktionsprogramm Gesundheit“ und das Programm „Berlin bewegt sich“ werden weiterentwickelt. Dabei werden Synergien mit anderen Landesprogrammen und dem Breitensport genutzt.
  • Der Schutz vor Passivrauchen im öffentlichen Bereich wird ­gestärkt, Kontrolldefizite werden abgebaut. Das Tabakwerbeverbot wird konsequent umgesetzt.
  • Katastrophenvorsorge und Instrumente des Krisenmanagements im Katastrophenfall sollen weiterentwickelt werden. Das betrifft auch Folgen der Klimakrise oder sog. Blackouts. Die Koalition wird den Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) „Der Klimawandel – eine Herausforderung für das deutsche Gesundheitswesen“ auf Landes- und Bezirksebene zügig umsetzen, unter anderem durch die Entwicklung von Hitzeaktionsplänen und den Bau von Trinkbrunnen.

Überlastete Bürgerämter, blamable Wahlorganisation

Der Koalitionsvertrag beinhaltet etliche interessante Aspekte. Viele der Vorhaben sind notwendig, weil sie zwar schon in der letzten Legislatur vorgesehen, aber noch nicht konsequent umgesetzt wurden, wie z.B. die ausreichende hausärztliche Versorgung. Es ist ein hehrer Plan von drei Parteien, die in anderer Konstellation einen vom Bundesgerichtshof abgeschmetterten Mietendeckel, überlastete Bürgerämter, Streit um Pop-up-Radwege und zuletzt erhebliche Probleme am Wahltag im September hinterlassen haben. Über Nachwahlen in einzelnen Bezirken wird noch entschieden. Die Landeswahlleiterin hat beim Verfassungsgerichtshof des Landes eine Prüfung beantragt.

Medical-Tribune-Bericht

Anzeige