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KV-Eigeneinrichtung Willkommene Unterstützung oder unnötige Konkurrenz?

Gesundheitspolitik Autor: Angela Monecke

Hausärztin Dr. Christiane Vargas (Mitte) mit den MFA Beatrix Brockmeyer (l.) und Ronja Andresen (r.). Hausärztin Dr. Christiane Vargas (Mitte) mit den MFA Beatrix Brockmeyer (l.) und Ronja Andresen (r.). © Angela Monecke
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Mangelndes Interesse an der Niederlassung, älter werdende Ärzte, Fachkräftemangel: Die Probleme im niedergelassenen Bereich verschärfen sich, selbst in der Großstadt. „Der Ärztemangel hat Berlin eingeholt“, so Günter Scherer, Vorstandsvize der KV Berlin. Im Februar hat die Körperschaft in einem der östlichen Berliner Randbezirke eine eigene Praxis eröffnet, die zweite schon.

Früher kamen die Karlshorster hier für eine neue Föhn­frisur vorbei, heute sind es Patienten wegen Hustenreiz, Fieber oder Rückenschmerz. Der frühere Friseursalon im Erdgeschoss eines Seniorenstifts in Karlshorst, Bezirk Lichtenberg, ist der neuen KV-Praxis für hausärztliche Versorgung gewichen. Eine angestellte Ärztin und zwei medizinische Fachangestellte kümmern sich in den renovierten Räumen nun um viele Kranke, die zum nächsten Hausarzt sonst vielleicht eine Stunde oder länger mit Bus und Bahn unterwegs wären und dazu oft nicht mehr in der Lage sind. 

Mit ihren eigenen Einrichtungen will die KV Berlin die hausärztliche Versorgung sichern – in Stadtteilen, wo sich sonst keine Ärzte mehr niederlassen wollen. In Berlin sind die Bezirke Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick besonders davon betroffen, allein dort sind derzeit 135 offene Hausarztsitze registriert. Aber nicht nur im Berliner Osten fehlt es an Allgemein­medizinern, mittlerweile kranken auch die Westberliner Bezirke Reinickendorf und Spandau an akutem Ärztemangel.

Ähnliches Konzept in Thüringen: die Stiftungspraxen

In Thüringen gibt es ebenfalls Vorstöße der KV, Hausärzten in unterversorgten Regionen die Niederlassung zu erleichtern (kv-thueringen.de), hier über die eigene Stiftung zur Förderung der ambulanten ärztlichen Versorgung. Die erste Praxis als KVT-Eigeneinrichtung wurde 2005 in Ohrdruf eröffnet, insgesamt elf Hausarztpraxen und eine Augenarztpraxis folgten (zwei der Stiftungspraxen wurden jedoch nicht übernommen).

Ärzte können in den Eigeneinrichtungen der KV Thüringen für eine geplante Regelzeit von zwei Jahren oder länger angestellt arbeiten und die Praxis zu einem späteren Zeitpunkt übernehmen. Möglich ist auch ein unbefristetes Anstellungsverhältnis. Im Rahmen dieses Modells lassen sich zudem Gemeinschaftspraxen oder Praxisgemeinschaften realisieren.

Zwar könne die KV „die aktuellen Probleme etwas abmildern“, hieß es seitens des Vorstands, aber „nicht auffangen“. Schuld an der Misere habe eine Politik, die nicht verlässlich sei und zu sehr auf den stationären Bereich blicke. Zwei Aspekte stören die Kassenärzte dabei am meisten: die versprochene Entbudgetierung und die weggefallene Neupatientenregelung. War Erstere noch im Koalitionsvertrag für Hausärzte vorgesehen, ist sie nun für Kinderärzte gedacht, mit noch unklaren Vorgaben. Die Streichung der Neupatientenregelung wiederum hat Leistungskürzungen zur Folge: Das mache es einem jungen Hausarzt immer schwerer, „das wirtschaftliche Risiko“ der Niederlassung einzugehen, erklärte Scherer.

Das Modell der Niederlassung habe sich auch insgesamt geändert, sagte Susanne Hemmen, Geschäftsführerin der KV Praxis GmbH, die für den Betrieb der Eigeneinrichtungen gegründet wurde. Nicht mehr nur finanzielle Aspekte, auch die Nähe zum Arbeitsplatz spiele für die heutige Medizinergeneration eine große Rolle. Bestes Beispiel: „Wenn jemand in Mitte wohnt, fährt er nicht über eine Stunde nach Berlin-Hellersdorf, um dort tätig zu sein“, erläuterte sie, bei den jungen Ärzten seien vielmehr wohnortnahe Arbeitsstellen gefragt.

Erste KV-Praxis: Patienten standen Schlange 

Ihre erste Eigeneinrichtung hat die KV Berlin im Juli 2022 ebenfalls in Lichtenberg, im Stadtteil Hohenschönhausen, eröffnet – mit einem angestellten Arzt und einer MFA. Eine weitere angestellte Ärztin ergänzt inzwischen das Team, eine zweite MFA soll noch folgen. 

„Schon während der Umbau­arbeiten, als wir sozusagen den Pinsel noch in der Hand hatten, kamen die ersten Patientinnen und Patienten in die Räumlichkeiten und wollten beim Hausarzt aufgenommen werden“, erinnert sich Hemmen. „In den ersten drei Tagen standen zu Spitzenzeiten über 40 Patientinnen und Patienten vor der Praxis“, im ersten Halbjahr konnten schon knapp 2.000 Personen dort behandelt werden. „Unser Angebot wird also gebraucht“, meint sie. Nach drei bis fünf Jahren könnten die Praxen dann von den Ärzten gekauft werden. Der größte Anreiz, in eine KV-Praxis einzusteigen: der Druck der Gewinnmaximierung entfällt, so die KV. Alle personellen Entscheidungen trifft letztlich die Geschäftsführerin.

Bis zu 60.000 Euro Investitionsförderung

Neben den Praxen im Eigenbetrieb gibt es von der KV Berlin seit Januar 2022 auch ein umfassendes Förderprogramm für Praxen, Ärzte und den ärztlichen Nachwuchs der Berliner Hausarztversorgung. Für die meisten Maßnahmen zur Neuniederlassung als Vertragsarzt oder bei Praxisübernahme ist die Förderung (z. B. bis zu 60.000 Euro bei Neuniederlassung für Investitionskosten) auf die Bezirke Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick beschränkt.

Dass Kassenärztlichen Vereinigungen auch mit Eigeneinrichtungen die Sicherstellung bewerkstelligen wollen, stößt nicht überall auf Gegenliebe. Mancherorts fürchten die niedergelassenen Kollegen sogar unerwünschte Konkurrenz. In Bayern etwa hagelte es Kritik seitens der Fachärzte, deren Verband zur Eröffnung der bayernweit ersten KV-eigenen Hautarztpraxis von einem „Hilfsprogramm für Lauterbachs Sparorgie“ sprach.

Auch in Berlin gab es rund um den geplanten KV-Eigenbetrieb die ein oder andere „kritische Stimme“, so Hemmen. Die Vertreterversammlung der KV habe der Gründung der KV Praxis GmbH jedoch einstimmig zugestimmt. „Wir sehen uns hier nicht in Konkurrenz, sondern als Unterstützung.“ Am Standort der ersten Berliner KV-Praxis am Prerower Platz sei zum Beispiel auch ein Ärztehaus mit fünf weiteren Hausärzten ansässig, führt sie an. 

Im Vorfeld der Eröffnung habe man intensive Gespräche geführt, ob es Einwände gebe. Das Gegenteil war der Fall: „Die Ärzte sagten: Patienten sind genügend für alle da. Wir verzichten auf unseren Konkurrenzschutz“, berichtet Hemmen.  

Dr. Burkhard Ruppert, Vorstandsvorsitzender der KV, spricht von Anreizen, die geschaffen werden müssten, damit sich auch jüngere Ärzte an den Rändern Berlins ansiedeln. „Wir müssen zeigen: Es lohnt sich, hierherzugehen und eine eigene Praxis zu gründen.“ Konkurrenz durch die KV? Davon könne keine Rede sein. „Wir versorgen, wozu im Moment niemand bereit ist.“ In wenigen Monaten soll auch schon die nächste, die dritte KV-Praxis, öffnen, diesmal in Marzahn-Hellersdorf. 

Medical-Tribune-Bericht

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