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Palliativmedizin „Wir segeln hart am Wind“

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Palliativversorgung bietet Schwerstkranken ohne Heilungschancen ein breites Hilfespektrum. Die Palliativversorgung bietet Schwerstkranken ohne Heilungschancen ein breites Hilfespektrum. © Chinnapong – stock.adobe.com
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Die Palliativbetreuung ist ein wichtiger Baustein in der Versorgung schwer kranker Krebspatienten. Doch während noch vor Jahren die Angebote ausgebaut wurden, stagniert der Prozess mittlerweile.

Palliativmediziner machten beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) auf die Defizite im Betreuungsbereich aufmerksam. „Wir segeln hart am Wind“, bringt es Kongresspräsidentin Prof. Dr. Anne Letsch, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, mit Blick auf das Kongressmotto auf den Punkt. Man habe sich mit vielen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Deshalb sei die Frage zu klären, wer Palliativversorgung und wer möglicherweise spezialisierte Palliativversorgung brauche und welche Behandlungsstandards dabei eingehalten werden müssen. Das gelte für Tumorpatienten, aber natürlich auch für Betroffene anderer chronisch lebenslimitierender Erkrankungen. 

„Wir als DGP sehen die Politik in der Pflicht, eine flächendeckende palliative Versorgung im Krankenhaus zu gewährleisten“, betont auch DGP-Präsidentin Prof. Dr. Claudia Bausewein, LMU Klinikum München. Wie sie erklärt, sind die Palliativmediziner wegen zweier aktueller Signale beunruhigt: 

  • Erstmals nach über 25 Jahren des stetigen Aufbaus ist die Anzahl an Palliativstationen auf rund 340 bundesweit zurückgegangen. Seit 2020 ist es zu Schließungen, strukturellen Verschiebungen und Rückentwicklungen überwiegend infolge der Coronapandemie und des Personalnotstands gekommen. 
  • Gleichzeitig sind die ergänzenden multiprofessionellen spezialisierten Palliativdienste an Krankenhäusern längst nicht in dem im Hospiz- und Palliativgesetz vorgesehenen Maß an- und ausgebaut worden. „Grund dafür ist nach wie vor eine uneinheitliche und unsichere Finanzierungssituation“, so Prof. Bausewein. 

Aus Sicht der DGP sollte jedes Krankenhaus, das mehr als 200 Betten hat, einen auskömmlich finanzierten eigenen Palliativdienst vorhalten müssen und diesen auch finanziert bekommen. 

„Stagnation und Rückschritte sind ebenso im ambulanten Bereich alarmierend“, bemerkt Prof. Letsch. Für lebensbegrenzend erkrankte Menschen sei eine abgestimmte Koordination von Klinikaufenthalten und der Versorgung im Hospiz, Pflegeheim oder zu Hause essenziell: „Diese ist aktuell sehr erschwert.“ 

Auch Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe, sieht die aktuellen Entwicklungen mit großer Sorge. Die Coronapandemie habe nachweislich zu signifikanten und anhaltenden Defiziten geführt: „Es erscheint uns zwingend, dass die durch die Pandemie verursachten Probleme und auch der aktuelle Pflegenotstand gesundheitspolitisch ernst genommen werden und hier zeitnah gehandelt wird.“

Die Experten sind sich einig, dass es nicht nur darum geht, gemeinsam Versorgungslücken zu schließen, sondern auch darum, neue Strukturen zu etablieren. Unter anderem sei es notwendig, an allen Universitäten Lehrstühle für Palliativversorgung zu unterhalten. Und in der Forschung sollte es da­rum gehen, wie man den Bedarf von schwer kranken Patienten und ihren Angehörigen besser einschätzen und dann auch entsprechend maßgeschneiderte Konzepte entwickeln kann. Die Forschung ist aus Sicht der DGP rund um die Palliativversorgung in den letzten Jahren schon enorm gewachsen. 

Mit Grenzerfahrungen von Patienten umgehen lernen

Es gebe zunehmend qualitative, aber auch quantitative Forschungsprojekte sowie Institutionen, die sich zwecks multizentrischer Studien zusammenschließen würden – wie bei der „PallPan-Initiative“ zur Versorgung von alten, schwer kranken und sterbenden Menschen während der COVID-19-Pandemie. Die Frage sei, wie man Betroffene, die sich in einer schwierigen Situation befänden, in Forschungsprojekte einbeziehen könne, so Prof. Letsch. Es wäre aber zugleich gut zu wissen, was den Expertinnen und Experten zugemutet werden könne.  Kongresspräsidentin Prof. Dr. ­Henrikje Stanze, Hochschule Bremen, lobt die Akademisierung in der Pflege. Man benötige aber auch entsprechende Stellen in der Praxis, damit die Pflege für sich selbst argumentieren könne. Pflegefachkräfte seien durch die Nähe zum Patienten im interprofessionellen Teamaustausch besonders wichtig. Sie sollten aber für sich selbst sprechen und aus pflegerisch-therapeutischer Sicht Forderungen stellen. Mit fast 30 % der Mitglieder sei die Pflege deshalb auch in der Fachgesellschaft vertreten. 

„Segeln hart am Wind bedeutet auch, mit Grenzerfahrungen und Herausforderungen der Begleitung und Versorgung von Menschen am Lebensende umzugehen“, so die Professorin. Hierzu gebe es Angebote in der im August gestarteten Online-Ringvorlesung. Die Vorträge seien im DGP-YouTube-Kanal verfügbar.

Prof. Bausewein betont, dass die Auseinandersetzung mit den Themen Sterben, Tod und Trauer in der Öffentlichkeit weiter gefördert werden müsse, denn: „Sterben gehört zum Leben.“ Der frühzeitige Zugang zu Palliativversorgung fördere das Lindern von Symptomen und steigere die Lebensqualität bei chronischen unheilbaren Erkrankungen. Deshalb habe die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin vor Kurzem die Kampagne „Das ist palliativ“ gestartet. In deren Fokus steht die Aufklärung über Palliativmedizin und -versorgung.

Themen der DGP sind zugleich Suizidprävention und -assistenz. Gemeinsam mit 40 weiteren Institutionen und Fachgesellschaften wird in einem Eckpunktepapier für ein Suizid-Präventionsgesetz geworben. Veröffentlicht sind auch Empfehlungen zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in der Hospiz- und Palliativversorgung. 

Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung

Das seit Ende 2015 geltende Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG) sieht mit zahlreichen Maßnahmen vor, dass die Folgen einer Erkrankung zu lindern sind, wenn keine Aussicht auf Heilung mehr besteht. Ein flächendeckender Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung sei zu fördern, heißt es. Mit dem Gesetz wurde die Palliativversorgung auch zur Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Sterbebegleitung ist zudem ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungsauftrags der sozialen Pflegeversicherung.

Suizidhilfe: die Not hinter der Anfrage verstehen

Laut Prof. Bausewein wird das Thema Suizidassistenz in der Palliativmedizin zwar kontrovers diskutiert, aber die Zahl direkter Anfragen nach Suizidassistenz sind aus ihrer Erfahrung eher gering. 

Was aber im klinischen Alltag regelmäßig vorkomme, seien Gespräche über Sterbe- oder Todeswünsche. Ein Patient sage beispielsweise: „Ich mag nicht mehr, lassen Sie mich sterben“, „Ich möchte diese weiterführende Therapie nicht mehr“, „Ich möchte nicht mehr auf die Intensivstation, weil mein Leben nicht verlängert werden soll.“ Oder jemand bittet: „Können Sie mir nicht was hinstellen, das ist doch jetzt möglich.“ 

Man müsse aber die Not hinter solchen Anfragen verstehen und heraus­finden, was das Leben beeinträchtige oder welche Ängste es gebe. „Mit der Palliativversorgung haben wir ein sehr breites Angebotsspektrum, sodass die Erfahrung ist, dass nahezu alle Todeswünsche deutlich in den Hintergrund treten“, so die Ärztin.

Quelle: Pressekonferenz zum 14. DGP-Kongress
 

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