Anzeige

G-BA-Chef warnt vor Algorithmen, die ohne Arzt über Therapien entscheiden

e-Health , Apps und Internet Autor: Cornelia Kolbeck

Eine „fast infantile Technik­hörigkeit“ im Publikum. Rechts: Prof. Josef Hecken, Unabhängiger 
Vorsitzender des G-BA. Eine „fast infantile Technik­hörigkeit“ im Publikum. Rechts: Prof. Josef Hecken, Unabhängiger Vorsitzender des G-BA. © Fotolia/nikolas_stock; Georg J. Lopata/Axentis.de
Anzeige

Viele Nutzer von Apps und modernen Medizinprodukten sind über deren Möglichkeiten schlicht entzückt. Der Chef des G-BA nennt aber auch Risiken.

Digitale Anwendungen wie die elektronische Patientenakte oder den eMedikationsplan hält Professor Josef Hecken für wichtig. Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist aber ausgesprochen skeptisch bei Hilfsmitteln, „die die Gefahr in sich bergen, sich als Instrument vom Arzt zu verselbstständigen“.

Hilfsmittel, die Diagnosestellung und Therapie­überwachung erleichtern sowie helfen, die Adhärenz des Patienten zu verbessern, seien ein Segen. Sie würden aber zur Gefahr, wenn sie ärztliche Verantwortung aushebelten, d.h. „wenn sie Entscheidungen treffen können ohne den Arzt.“ Angesichts selbstlernender Algorithmen und der Unklarheit, welcher medizinische Standard den Entscheidungen zugrunde liegt, sei ihm die Bedrohlichkeit der Situation klar geworden, so Prof. Hecken.

Er verwies auf die vom G-BA 2016 als Kassenleistung freigegebene Blutzuckermessung mit Real-Time-Messgeräten (rtCMG). Zweieinhalb Jahre zuvor sei geprüft worden, ob der Sensor den Blutzuckerspiegel genauso gut bestimmen kann wie klassische Technik. „Dennoch gibt es aus unserer Kenntnis bisher kein rtCMG, welches aufgrund seiner Messergebnisse eine verlässliche therapeutische Entscheidung zur Gabe von Insulin zusichert“, sagte Prof. Hecken.

In den Bedienungsanleitungen der Geräte fände sich stattdessen der klare Hinweis, dass ärztliche Entscheidungen nicht auf der Basis dieser Technik getroffen werden dürften, sondern nur aufgrund der herkömmlichen Blutzuckermessung. Das bedeute, so der G-BA-Chef, dass rechtlich betrachtet die Verantwortung entweder beim Arzt bleibt oder beim Patienten.

Verordner ist nicht für die Überwachung verantwortlich

Wie der Jurist weiter erklärte, trägt ein Arzt für verordnete und nicht in seinen Praxisräumen genutzte technische Hilfsmittel keine Überwachungsverantwortung. Auch die Verordnung eines CGM-Geräts, welches selbsttätig aufgrund der Messergebnisse den Insulinspiegel steuert (künstliche Bauchspeicheldrüse), würde nicht notwendigerweise gegen § 15 Abs. 1 SGB V (ärztliche Behandlung) verstoßen. Allerdings müssten auch solche Geräte aufgrund ihrer Zertifizierung als Medizinprodukt für die selbstständige Dosierung geprüft sein. Bei einer erheblichen Abweichung zur bereits anerkannten kontinuierlichen Glukosemessung sei bei einer solchen Variante des CGM sogar eine neue Methode nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V anzunehmen.

Dass er bei einer vorangegangenen Veranstaltung des Aktionsbündnisses Patientensicherheit wegen seiner Haltung zur Sicherheit und Evidenz von Geräten, die die ärztliche Indikationsstellung erleichtern können, als ein „Altforderer“ an den Pranger gestellt wurde, der die medizinische Entwicklung behindert, ärgerte den G-BA-Vorsitzenden noch immer sichtlich. Dem dortigen Publikum bescheinigte er „eine fast infantile Technikhörigkeit“.

Anzeige