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Hausarzt möchte keine Impfverweigerer mehr behandeln – und wird Zielscheibe von Coronaleugnern

Niederlassung und Kooperation Autor: Isabel Aulehla

Zum Schutz seines Praxisteams und vulnerabler Patienten stellte der Arzt die Behandlung hartnäckiger Impfgegner ein. (Agenturfoto) Zum Schutz seines Praxisteams und vulnerabler Patienten stellte der Arzt die Behandlung hartnäckiger Impfgegner ein. (Agenturfoto) © kues1 – stock.adobe.com
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Personen, die die Coronaimpfung auch nach geduldiger Aufklärung noch ablehnen, gefährden vulnerable Menschen, findet ein niedersächsischer Mediziner. Er möchte sie nicht mehr behandeln. Seit die Presse dies aufgriff, wird der Arzt massiv bedroht.

Den Hausarzt Dr. Florian Balkau erreichen dieser Tage abscheuliche E-Mails. Die anonymen Verfasser schildern detailreich, wie sie in seine Praxis im niedersächsischen Wallenhorst eindringen und ihm und seinem Team grauenhafte Gewalttaten antun. „Es ist nicht zu glauben, auf was für Fantasien die Leute kommen, wie man Menschen quälen und töten kann“, erzählt der Mediziner fassungslos. „Ich bin gestandener Internist und Palliativmediziner. Aber ich musste bei einigen Mails einfach abbrechen, weil mir so schlecht wurde von diesen Gewaltdarstellungen.“

Der Grund der Hassbotschaften: Dr. Balkau möchte zum Schutz seiner Mitarbeiterinnen und seiner Palliativpatienten keine Personen mehr behandeln, die die COVID-19-Impfung auch nach vielfachen Aufklärungsgesprächen ablehnen. Da zwei seiner Angestellten schwerbehindert und auch viele der Patienten vulnerabel sind, wäre ein Ausbruch des Coronavirus in der Praxis fatal. Gegenüber den Medien bekräftigte der Arzt seine Position zu Impfgegnern. Seitdem entlädt sich deren Hass in seinem Posteingang. „Auf mich projiziert sich gerade die ganze Debatte der Coronaleugner, weil sie jetzt ein Ziel haben.“

Viel Unterstützung durch die Behörden

Rund 300 strafrechtlich relevante Mails habe er bislang erhalten, berichtet Dr. Balkau – oft kommen sie von Absendern wie „hinrichtungskommando@...“. Gegen jede einzelne davon geht er juristisch vor. „Am armseligsten sind irgendwelche Vergleiche mit Mengele oder Auschwitz. Das verharmlost den Holocaust und gehört absolut gesühnt!“ Seitens der Behörden erfahre er viel Unterstützung. „Ich bin unendlich dankbar, dass Staatsanwaltschaft und Polizei so unglaublich tolle Arbeit leisten.“

Klein beizugeben kommt für den Mediziner nicht infrage, auch wenn er sich manchmal mulmig fühle, meint er. „Ich bin nicht bereit, mich in den Schlaf zu heulen. Genau das wollen diese Leute ja.“ Auch sein Team reagiere äußerst tough und wimmele drohende Anrufer am Praxistelefon konsequent ab. Bundesweit haben zwar zahlreiche Ärzte verschiedenster Fachgruppen ihre Solidarität bekundet – jedoch immer mit der Bitte, öffentlich nicht als Unterstützer genannt zu werden. Auch viele Patienten stehen auf der Seite von Dr. Balkau. Außer einer Patientin habe niemand die Praxis gewechselt, berichtet er.

Bundesweit haben zwar zahlreiche Ärzte ihre Solidarität bekundet – oft jedoch mit der Bitte, öffentlich nicht als Unterstützer genannt zu werden. Anders der Bremervörder Hausarzt Dr. Marc Hanefeld: „Ich erkläre volle Solidarität mit dem Kollegen, der im Landkreis Osnabrück wegen seiner Weigerung, Impfgegner zu behandeln, Morddrohungen erhält. Auch ich sage Impfgegnern klipp und klar, dass ich für sie höchstwahrscheinlich der falsche Hausarzt bin“, schreibt er auf Twitter.

Auch Haus­ärztin Dr. ­Cornelia Werner aus Erbach (Donau) meint, sie könne die Überlegungen von Dr. Balkau gut verstehen. Sie schätzt es ebefalls als potenziell gefährlich für andere Patienten ein, wenn sich vehemente Impfgegner nicht vor einer Coronainfektion schützen und trotz Symptomen in die normale Sprechstunde kommen. „Impfverweigerer generell der Praxis zu verweisen, würde ich aber aktuell ausschließen“, erklärt die Medizinerin. „Auch, da man manchmal mit viel Geduld doch noch überzeugen kann.“ Die Politik habe ihre Bringschuld diesbezüglich nicht ansatzweise erfüllt.

Hausärzteverband und KV erschüttert

Der Hausärzteverband Niedersachsen zeigt sich erschüttert vom Geschehen: „Egal, ob man das Vorgehen eines Kollegen nun als geeignet oder kontraproduktiv einschätzt: Anfeindungen, Beleidigungen oder sonstige Übergriffigkeiten sind ein absoluter Tabubruch! Da kann es keine zwei Meinungen geben,“ sagt Jens ­Wagenknecht, der stellvertretende Vorsitzende. Jeder Hausarzt müsse am Ende selbst entscheiden, wo er seine Grenzen ziehe. Wann die nötige vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung nicht mehr gegeben sei, liege im Ermessen des behandelnden Arztes – oder im umgekehrten Fall beim Patienten.

Die KV Niedersachsen prüft aufgrund einer Patientenbeschwerde, ob Dr. Balkau gegen das Vertragsarztrecht verstößt. Die Körperschaft stellt sich jedoch entschieden gegen die „unerträgliche Vorverurteilung“ des Mediziners. Wenn ein Arzt unter Polizeischutz gestellt werden müsse, weil er eine begründete, aber umstrittene Gewissensentscheidung vertrete, offenbare sich darin eine bestürzende Verrohung der politischen Kultur. „Mit seinem kompromisslosen Eintreten für die Corona-Impfung steht Dr. Balkau letztlich für die Ziele ein, die auch die Gesundheitspolitik weltweit verfolgt. Der Hass, den er damit auf sich gezogen hat, findet Parallelen in der Randale von Coronaleugnern und Querdenkern, die seit Monaten eine rationale Diskussion in der Pandemiebekämpfung erschweren“, betont die KV. „Wir alle sind aufgerufen, an den Grundsätzen von Toleranz und Dialogbereitschaft auch in Grenzfragen festzuhalten.“

Auch die Ärztekammer Niedersachsen prüft das Vorgehen des Arztes. Seine Entscheidung werfe Fragen auf. Allerdings sei es grundsätzlich erlaubt, das Patientenverhältnis zu beenden, wenn das Vertrauen zerrüttet sei.

Patienten aufgefordert, eigene Recherchen mitzubringen

Dr. Balkau betont, es gehe ihm nicht darum, jemanden auszuschließen. Im Gegenteil: Impfskeptiker seien sogar sehr willkommen. „Genau diese zweifelnden Patienten möchte ich doch erreichen“, erklärt er. „Es macht mir richtig Spaß, mit ihnen zu sprechen. Ich habe schon bis zu zwei Stunden damit verbracht, zu diskutieren. Am Ende überzeuge ich sie fast immer.“ Um die Patienten dort abholen zu können, wo sie stehen, beschäftigt sich der Mediziner ausgiebig mit Verschwörungserzählungen und Falschinformationen über das Coronavirus. Er habe sogar fast jeden Post von Attila Hildmann gelesen, berichtet er.

Der Hausarzt fordert seine Patienten explizit dazu auf, mitzubringen, was sie im Internet über das Virus recherchiert haben. Dann analysiert er mit ihnen gemeinsam die Quellen, um sie darauf hinzuweisen, dass es sich um Fehlinformationen handelt. „Wir leben in einer Welt, in der irgendeinem hochwahrscheinlich ahnungslosen anonymen Foristen im Internet mehr geglaubt wird als einer Berufsgruppe, die gesetzlich verpflichtet ist, sich auf dem neuesten Stand zu halten“, resümiert der Arzt.

Von sich aus hat der Mediziner die Öffentlichkeit nicht gesucht. Vielmehr habe eines Tages ein Presseteam vor der Praxis gestanden und während der Sprechstunde durch das Fenster gefilmt. Also habe er sich entschieden, die gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sein Handeln zu erklären. „Ich würde lieber wieder als unbedeutender Hausarzt leise, still und heimlich meinen Job machen. Aber jetzt bin ich erstmal Mittelpunkt der Debatte.“ Bis die Hasswelle der Impfgegner und die mediale Aufmerksamkeit abgeflaut sind, macht der Mediziner vorerst eine Auszeit mit seiner Frau und seinen Kindern.

Medical-Tribune-Bericht

aktualisiert am 10.08.2021 um 09:45 Uhr

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