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Rechte und Pflichten „Ist ein Arzt an Bord?“

Niederlassung und Kooperation Autor: Isabel Aulehla

Urlaubsstimmung verflogen? Urlaubsstimmung verflogen? © iStock/ansonsaw
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Im Flieger ertönt die berüchtigte Durchsage: „Ist ein Arzt an Bord?“ Was ist jetzt zu tun? Und wer haftet für Behandlungsfehler? Drei Kollegen erzählen von ihren Erfahrungen, ein Jurist informiert über die Rechtslage.

Gilt für deutsche Mediziner auch über den Wolken deutsches Haftungsrecht?

Rainer Kuhlen: Laut dem Chicagoer Abkommen aus dem Jahr 1944 gilt in einem Flugzeug – sofern es sich in der Luft befindet – bezüglich der Luftverkehrsvorschriften das Recht des Staates, der gerade überflogen wird. Während eines Fluges durch Europa wäre demnach z.B. zunächst portugiesisches Recht, dann spanisches, später französisches und schließlich deutsches Recht anwendbar. Über dem offenen Meer ließe sich keine staatliche Zugehörigkeit definieren. Da das natürlich nicht sehr praktikabel ist, greift die internationale Luftfahrt gerne auf das „flag right“ zurück. Demnach ist das Rechtssystem des Landes anwendbar, unter dessen Flagge das Flugzeug bzw. die Luftfahrtgesellschaft registriert ist: Bei United Airlines also das Recht der USA, bei Lufthansa das Recht der Bundesrepublik.

Müssen Mediziner sich zwingend melden, wenn die Crew einen Arzt ausruft?

In vielen Ländern gelten Gesetze, die zur Nothilfe verpflichten. Wer in Deutschland eine medizinisch notwendige Hilfeleistung nach einem Unglücksfall verweigert, macht sich nach § 323c des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Ärzte und medizinische Fachkräfte – aber auch gewöhnliche Mitreisende – müssen daher nach ihren Fähigkeiten, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren, diejenige Hilfe leisten, die den Eintritt weiterer Schäden verhindert. Das Gesetz sieht andernfalls eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor. Ähnliche Gesetze zur Notfallhilfe gelten im Übrigen auch in Frankreich, Australien, vielen asiatischen Ländern oder dem Mittleren Osten.

Es gibt aber auch eine Reihe von Ländern, deren Gesetze nicht zur Notfallhilfe verpflichten. So sind Ärzte z.B. nach britischem, kanadischem und US-amerikanischem Recht nur dazu verpflichtet, wenn eine vorbestehende Arzt-Patienten-Beziehung vorliegt. Folglich sollten medizinisch ausgebildete Personen darauf achten, mit welcher Fluggesellschaft sie fliegen, und prüfen, ob eine Pflicht zur Notfallhilfe besteht.

Müssen Ärzte für Behandlungsfehler an Bord haften?

In den USA wurde bereits 1998 der Aviation Medical Assistance Act beschlossen. Dieser schützt Passagiere, die Hilfe leisten, vor Haftungsansprüchen – davon ausgenommen sind Fälle grober Fahrlässigkeit oder bewusster Fehlbehandlung.

Zahlreiche Fluggesellschaften, auch die Lufthansa, haben Ärzte und sonstige Hilfeleistende als Mitversicherte in ihrer Haftpflichtpolice einbezogen. Hieraus ergibt sich im Falle einer Klage, dass die Haftpflichtversicherung der Fluggesellschaft Prozessführung, -kosten und eventuelle Schadensersatzleistungen übernimmt, sofern kein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln des Hilfeleistenden vorliegt. Bei anderen Fluggesellschaften wird häufig eine sog. „Enthaftungserklärung“ von der Crew ausgehändigt, wodurch der handelnde Arzt bei Durchführung seiner Tätigkeit versichert ist – vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln sind ausgenommen.

Was gilt, wenn Mediziner Alkohol oder Beruhigungsmittel konsumiert haben?

Ärzte müssen selbst beurteilen, ob sie unter dem Einfluss von Alkohol oder Beruhigungsmitteln in der Lage sind, Hilfe zu leisten. Auch, wie weit die ihnen zumutbaren Pflichten konkret reichen, kann variieren. So wird von einem praktizierenden Facharzt für Kardiologie bei einem Herzinfarkt sicher mehr erwartet als z.B. von einem Psychologen, Pathologen oder pensionierten Dermatologen. Dagegen kann von diesen wiederum mehr erwartet werden als von einem Medizinstudenten.

Wann muss zur Landung geraten werden? 

Je nach Diagnose, Schwere der Erkrankung, verbleibender Flugstrecke und medizinischer Expertise an Bord kann eine Zwischenlandung notwendig erscheinen. Hierüber berät der Kapitän mit dem anwesenden Arzt. Abzuklären ist insbesondere, ob neben der technischen Möglichkeit einer Landung auf einem geeigneten Flugplatz auch die zu erwartende medizinische Infrastruktur am Boden und ggf. Transportmodalitäten zu einem adäquaten Versorgungszentrum gegeben sind. Es kann sein, dass die Versorgungslage und Ausstattung an Bord besser ist als die Ausrüstung am nächstgelegenen Flugplatz, weshalb eine Zwischenlandung immer im Hinblick auf die weitere Versorgung des Patienten abgewogen werden sollte. Zudem ist zu bedenken, dass es etwa 30 Minuten dauert, eine Maschine von ihrer maximalen Flughöhe auf den Boden zu bringen. Eine große Zeitersparnis wird somit zumindest auf Kurzstrecken nicht erreicht.

Und wenn die Landung doch nötig gewesen wäre? Haften Ärzte für eine Fehlentscheidung? 

Naturgemäß hat der Rat eines helfenden Arztes an Bord ein erhebliches Gewicht. Die Entscheidung für oder gegen eine Zwischenlandung wird aber ausschließlich durch den Kapitän getroffen und von diesem auch verantwortet. Ein Haftungsrisiko für einen helfenden Arzt besteht insoweit nicht, da die endgültige Entscheidung allein der Kapitän trifft. 

Erstmal eine Homöopathin aus dem Weg gescheucht

Ich wurde schon dreimal ausgerufen. Der spektakulärste Fall ereignete sich auf dem Weg nach Spanien, zu einer Zeit als im Flieger noch geraucht werden durfte. Ein kleiner Junge, etwa acht Jahre alt, hatte einen Asthmaanfall. Ich bin direkt zu ihm gegangen, allerdings war dort schon eine homöopathisch orientierte Kollegin am Werk. Statt eine Spritze zu geben, hatte sie ihre Globuli aufgereiht. Ich habe im Gespräch herausgefunden, dass sie erst Ärztin im Praktikum war – und überzeugte sie, dass es wohl besser ist, wenn ich übernehme.

Im Notfallkoffer habe ich fast alles gefunden, was ich brauchte: Cortison, ein Theophyllin-Präparat, nur ein Stauschlauch hat erstaunlicherweise gefehlt. Der Junge war etwas korpulent und hatte schlechte Venen. Ich musste mir also etwas einfallen lassen. Zuerst habe ich versucht, mit der Blutdruckmanschette zu stauen. Da das nicht funktioniert hat, habe ich dann nur die Schläuche der Manschette genommen. So konnte ich dem Jungen die Spritze geben, es ging ihm schnell besser.

Inzwischen habe ich über 5.000 Live-Vorträge gehalten, bin entsprechend viel geflogen und habe bei Lufthansa den sogenannten „Senatoren-Status“. Dadurch bin ich namentlich bekannt und werde schon beim Betreten des Fliegers gefragt, welche Art von Doktortitel ich habe und ob ich ggf. bereit wäre, im Notfall zu helfen. Künftig kann ich also davon ausgehen, dass ich der Einzige am Patienten bin.

Kollegen haben sich aus dem Staub gemacht

Ich hatte es mir auf einem Flug nach Los Angeles gerade in der Business Class gemütlich gemacht, als auch schon die berühmte Durchsage kam. Außer mir waren noch eine Gynäkologin und ein Augenarzt an Bord. Da es um einen allergischen Schock ging, ist der Fall bei mir gelandet. Ich muss sagen, es hat mich schon sehr verwundert, wie schnell sich die beiden Kollegen wieder verdünnisiert haben! Das würde ich heute nicht mehr zulassen – man weiß schließlich nie, wie weit sich solche Fälle ausweiten. Falls wir hätten reanimieren müssen, hätte einer drücken, einer zählen und einer beatmen können.

Der Patient litt unter Luftnot, seine Lippen waren geschwollen. Die Maschine – es war ein Flug mit der KLM – war super ausgerüstet. Im Notfallkoffer waren die Medikamente alphabetisch nach Wirkstoff sortiert und auf einer Liste verzeichnet. Die Flugbegleiterin konnte mir das gewünschte Präparat anreichen. Nur eines störte mich: Sie hat geradezu aufdringlich immer wieder gefragt, ob wir landen müssen. Sie gab keine Ruhe, bis ich verneint habe. Erst später ist mir klar geworden, warum sie so hartnäckig war: Wären wir erst über dem Atlantik gewesen, hätten wir für viele Stunden nicht mehr landen können. Vertieft in meinen Fall war mir das nicht bewusst. Die Situation im Flugzeug ist eben doch eine sehr spezielle. Einige Kammern bieten Fortbildungen dazu an – vor einem langen Flug ist das sicher keine schlechte Idee.

Tod des Papstes machte einen Novizen krank

Ich musste während eines Fluges mit Alitalia Hilfe leisten, einer etwas chaotischen italienischen Airline, die mittlerweile in der Form nicht mehr existiert. Als die Durchsage der Crew kam, bin ich als Notärztin sofort aufgestanden. Es ging um einen jungen Mann, dem schlecht war und der sehr aufgeregt wirkte. Ein Blutdruckmessgerät war an Bord nicht vorhanden, stattdessen reichte mir die Flugbegleiterin einen Koffer, in dem verschiedenste Medikamente lose herumflogen. Worum es sich jeweils handelte, war beim besten Willen nicht zu identifizieren. Ich habe dem Patienten deshalb lieber eine Cola bestellt und ein wenig mit ihm geredet. Es stellte sich heraus, dass er eine Art Novize war, auf dem Weg ins Kloster. Und sein Unwohlsein hatte wohl einen psychischen Grund: Zwei Tage zuvor war Papst Johannes Paul II. gestorben.

Der Flug dauerte nur ca. 40 Minuten, der junge Mann fühlte sich schnell wieder besser. Seitens der Crew wurde ich trotzdem gefragt, ob eine Zwischenlandung nötig sei oder ein Rettungswagen fürs Flugfeld bestellt werden sollte, was ich verneinte. Abschließend baten sie mich dann, meine Personalien zu notieren – auf einer Serviette.

Medical-Tribune-Interview

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