Anzeige

Landarztquote bei Studierenden trotz harter Bedingungen beliebt

Niederlassung und Kooperation Autor: Isabel Aulehla

Die ersten Landarzt-Studierenden werden in rund zehn Jahren als Fachärzte in der Versorgung ankommen. Die ersten Landarzt-Studierenden werden in rund zehn Jahren als Fachärzte in der Versorgung ankommen. © Marco2811 – stock.adobe.com
Anzeige

Fast alle Bundesländer vergeben einen Teil der Medizinstudienplätze inzwischen an Bewerber, die sich verpflichten, später als Hausarzt auf dem Land zu arbeiten. Über die menschliche Eignung der Interessenten entscheiden dabei auch Allgemeinmediziner. Ein 27-Jähriger berichtet, wie er auch ohne Einser-Abi einen Studienplatz bekam.

Viele ärztliche Berufsverbände hegten lange große Bedenken gegen die Landarztquote. Ein Verhängnis für voreilige Abiturienten sei sie, nicht vereinbar mit der freiheitlichen Gesellschaftsordnung.

Doch der Start in Nordrhein-Westfalen zum letzten Wintersemester zeigt: Das Angebot kommt überraschend gut an. Über 1300 Bewerbungen waren für die 145 zu vergebenden Studienplätze eingegangen. Weitere Bundesländer haben inzwischen eigene Quoten beschlossen, vielerorts werden sie zum Wintersemester 2020/21 wirksam. Nur in Hamburg, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein ist derzeit keine Landarztquote in Sicht.

Verpflichtung zu zehn Jahren in unterversorgtem Gebiet

Das Konzept soll dabei helfen, den Ärztemangel auf dem Land abzumildern. Auch Abiturienten ohne Bestnote können über die Quote einen Medizinstudienplatz erhalten, sofern sie sich verpflichten, später für mindestens zehn Jahre als Hausarzt in einer unterversorgten Region zu arbeiten.

Ihre Facharzt-Weiterbildung müssen sie dementsprechend in den Bereichen Allgemeinmedizin oder Innere Medizin (ohne Schwerpunkt) machen. Je nach Bundesland ist auch die Weiterbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin zulässig. Wer diesen Vertrag bricht, zahlt eine Strafe von 250.000 Euro – einer der Gründe, weshalb die Quote heftig umstritten ist. In den meisten Bundesländern sind zwischen 5 % und 8 % der Studienplätze für die entsprechenden Bewerber reserviert.

Auch Lucas Rasche hat sich dafür entschieden, den Landarztvertrag zu unterschreiben. Der 27-Jährige machte zunächst einen Hauptschulabschluss und holte dann das Abitur nach.

Da die Abschlussnote von 2,6 nicht reichte, um direkt Medizin zu studieren, absolvierte er erst eine Ausbildung zum Notfallsanitäter und arbeitete anschließend drei Jahre im Rettungsdienst und in der Klinik. Gerade, als er seine 14 Wartesemester zusammen hatte, entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Wartezeit nicht unbedingt ein zulässiges Kriterium sei, um zum Medizinstudium zugelassen zu werden. Die Einführung der Landarztquote in Nordrhein-Westfalen kam ihm daher gelegen.

Anders als bei der herkömmlichen Vergabe der Medizinstudienplätze kommt es bei der Vergabe nach Landarztquote vor allem auf die sozial-kommunikativen Fähigkeiten der Bewerber und ihre medizinische Berufserfahrung an.

So errechnet das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen anhand von Abiturnote, Berufserfahrung und gegebenenfalls aus den Ergebnissen des Tests für Medizinische Studiengänge eine Rangliste der Interessenten. Rund 100 von ihnen werden zu einer zweiten Phase eingeladen, in der sie über vier Stunden hinweg ausgiebig auf ihre menschliche Eignung getes­tet werden. Dabei kommen auch professionelle Schauspieler zum Einsatz: In Gruppen betreten die Bewerber zehn Räume, in denen sie auf bestimmte Situationen reagieren müssen.

„In einem Raum trifft man zum Beispiel auf eine junge Frau, die vom Pferd gefallen ist und nach Hilfe ruft“, erinnert sich Rasche. Obwohl sie über Schmerzen im Bein klagt, gehe es aber nicht darum, sie zu untersuchen oder eine Diagnose zu stellen. Vielmehr werde Wert darauf gelegt, dass man sie beruhigt, fragt, was passiert ist und Hilfe anbietet. Das Verhalten der Bewerber wird von Juroren beurteilt, unter denen sich auch Hausärzte befinden. Medizinisches Wissen spielt in der Bewertung keine Rolle. „In den Szenarien kann man keine Fassade aufrechterhalten. Man muss einfach man selbst bleiben und möglichst authentisch reagieren“, erzählt der Student.

Verzweiflung verleitet zu waghalsigen Versprechen

Als er den Landarztvertrag unterschrieb und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sein Studium aufnahm, wusste der 27-Jährige, was er tat. Ihm war aufgrund seiner Berufserfahrung klar, dass er ohnehin nicht sein ganzes Leben hindurch in einer Klinik arbeiten möchte, auch die schwierigen Seiten des Arztberufs kennt er bereits: „Ich habe schon Reanimationen mitgemacht und Menschen beim Sterben begleitet. Das ist nichts Neues.“ Der hausärztliche Bereich ist ihm durch ein Praktikum vertraut, zudem schätzt er die ländlichen Strukturen.

Bei Bewerbern, die frisch von der Schule kommen, darf bezweifelt werden, dass ihnen das volle Ausmaß ihrer Entscheidung für den Landarztvertrag bewusst ist. Die Medizinstudierenden im Hartmannbund sowie die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland lehnen die Landarztquote daher ab. Sie fürchten, dass viele junge Menschen sich „zu gewagten Versprechen hinreißen lassen könnten, nur um einen Studienplatz zu bekommen“. Auch der Marburger Bund und das Bündnis Junge Ärzte kritisieren das Vergabeverfahren.

In einer gemeinsamen Stellungnahme der vier Verbände heißt es, die Quote widerspreche der freiheitlichen Gesellschaftsordnung und negiere, dass sich Interessenschwerpunkte während des Studiums ändern können. Vielmehr sei eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erforderlich, zudem eine gezielte Unterstützung der Niederlassung im ländlichen Raum, eine intensivere Förderung der ambulanten Weiterbildung sowie attraktive Stipendienprogramme für Studierende.

Deutscher Hausärzteverband bewertet Quote nun positiver

Der Deutsche Hausärzteverband sah die Quote ebenfalls lange skeptisch, änderte seine Meinung jedoch nach dem überraschenden Erfolg in Nord­rhein-Westfalen. „Die große Anzahl an Bewerbern gibt ihr jedenfalls recht“, kommentiert der Vorsitzende Ulrich Weigeldt. Insgesamt könne die Landarztquote sicherlich helfen, die Versorgung auf dem Land langfristig zu stärken – auch wenn die Wirkung erst in rund zehn Jahren spürbar sein werde.

In manchen Bundesländern versucht man, Studierende auch durch freiwillige Angebote für eine Zukunft auf dem Land zu begeistern. So hat man in Baden-Württemberg das Fach „ländliche Hausarztmedizin“ geschaffen.

Neigungsfach ländliche ­Hausarztmedizin

Auch in Baden-Württemberg wurde eine Landarztquote beschlossen. Da sie jedoch nur langsam wirkt und auf Verpflichtung beruht, hat das Gesundheitsministerium ergänzend ein freiwilliges Wahlfach im Studium geschaffen: Das Neigungsfach „ländliche Hausarztmedizin“ steht allen Medizinstudierenden ab dem kommenden Wintersemester offen. Der Kurs soll sie für den Beruf des Hausarztes begeistern und ihnen einen klaren Karriereweg eröffnen. Auch Gespräche mit regionalen Akteuren wie Hausärzten, Bürgermeistern, Landräten, Gemeinden und Versorgungszentren sind geplant.

Lucas Rasche weiß noch nicht, ob er am Ende wirklich eine eigene Praxis führen möchte. Der Landarztvertrag lässt auch eine Anstellung in einem MVZ zu. Sobald er sich für eine unterversorgte Region entschieden hat, kann er diese Präferenz melden und auf lokale Praxen oder Versorgungszentren zugehen. In Rheinland-Pfalz ist man inzwischen noch einen Schritt weitergegangen: 1,5 % der Medizinstudienplätze werden an Bewerber vergeben, die sich dazu verpflichten, später im Öffentlichen Gesundheitsdienst zu arbeiten. Auch hier übersteigt das Interesse die Zahl der Studienplätze deutlich.

Medical-Tribune-Bericht

Anzeige