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Unterfinanziert und budgetiert – immer weniger Hausbesuche

Niederlassung und Kooperation Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

In der HzV werden Hausbesuche deutlich besser vergütet und es gibt weder Budgetierung noch Honorarregresse. In der HzV werden Hausbesuche deutlich besser vergütet und es gibt weder Budgetierung noch Honorarregresse. © Fotolia/Ingo Bartussek
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In vielen KV-Bereichen machen Niedergelassene immer weniger Hausbesuche. Hauptgrund: Im Extremfall können zu viele Besuche sogar die wirtschaftliche Existenz der Praxis gefährden. Aber warum eigentlich?

Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 13,5 % weniger Hausbesuche gemacht als 2009. Das besagen Zahlen, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf Anfrage des Bundesgesundheitsministeriums vom Mai herausgegeben hat. Anlass war eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke an die Bundesregierung.

Zum Teil lässt sich diese Entwicklung vielleicht mit rückläufigen Hausarztzahlen erklären. Doch das ist nicht der einzige Hintergrund. Auch die jüngst öfter mal aus Kassen- und politischen Kreisen vorgebrachte Kritik, die sinkenden Hausbesuchszahlen hätten etwas mit nachlassendem Einsatz der Ärzte zu tun, erklärt die Entwicklung nicht. Fakt ist, dass Hausärzte sich Hausbesuche betriebswirtschaftlich einfach nicht mehr leisten können!

Deutlich mehr Besuche im Saarland und in Hamburg

Denn: Hausbesuche sind im EBM völlig falsch kalkuliert und damit deutlich unterbewertet. In vielen KVen kommt noch eine Budgetierung über zu knapp bemessene Anteile in der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) hinzu. Und obendrauf kommt noch – zuletzt in Hessen – eine Kürzung solcher Leistungen durch die Prüfgremien. Das ist auch ein Teil der Erklärung, warum sich die Entwicklung der Zahlen regional sehr unterschiedlich darstellt.

In Hamburg und im Saarland scheint es das Problem nämlich gar nicht zu geben. In der Hansestadt ist die Zahl der Hausbesuche von 524.053 im Jahr 2009 um 11 % auf 580.000 im vergangenen Jahr gestiegen. Im Saarland waren es sogar +62 % von 333.351 auf 540.000. Besonders die saarländischen Zahlen erscheinen spektakulär: Pro Arzt hat sich die Besuchszahl innerhalb von neun Jahren nahezu verdoppelt.

Förderung der NäPa wirkt sich auf die Besuchszahlen aus

Einschränkend muss man beachten, dass unklar ist, inwieweit das tatsächlich ausschließlich auf ärztliche Besuche zurückzuführen ist, da in der Statistik genauso auch nicht-ärztliche Besuche aufgeführt werden. KVen, bei denen der Einsatz nicht-ärztlicher Praxisassistenten (NäPa) besonders gefördert wird – wie beispielsweise in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern – zeigen auch sichtbare Zuwächse bei der Hausbesuchstätigkeit: In Thüringen von 1.087.733 im Jahr 2009 auf 1.250.000 im Jahr 2017 und in Mecklenburg-Vorpommern von 643.964 auf 660.000 (+2,5 %). Die anderen ostdeutschen Bundesländer zeigen dagegen eine rückläufige Entwicklung. Wie schwer eine Gesamtbeurteilung ist, kann man an den Zahlen aus Baden-Württemberg und Bay­ern erkennen: Dort gingen die Besuche um rund 38 % auf 2.730.000 zurück (Baden-Würt­temberg) bzw. um rund 12 % auf 4.770.000 in Bayern. Das wiederum hängt vermutlich aber mit der hohen Zahl an Patienten zusammen, die in ein Hausarztzentriertes Programm (HzV) eingeschrieben sind. Diese Versicherten tauchen in der KBV-Statistik erst gar nicht auf und die entsprechenden Zahlen würden wahrscheinlich eine ganz andere Sprache sprechen – in der HzV werden Hausbesuche nämlich deutlich besser vergütet, es erfolgt keine Budgetierung und Honorarregresse gibt es überhaupt nicht.

Die Wurzeln der Entwicklung reichen ins Jahr 2008 zurück

Doch warum werden Hausbesuche so schlecht bezahlt? Die Regelungen zur Vergütung der ambulanten ärztlichen Versorgung in der GKV wurden durch das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ im Jahr 2008 grundlegend neu gestaltet. Wesentlicher Bestandteil der Reform war die Einführung eines einheitlichen Punktwerts für ärztliche Leistungen (Orientierungswert) bei gleichzeitiger Einführung einer Mengenbegrenzung durch arzt- und praxisbezogene Regelleis­tungsvolumina. Damit wurde der vorher ausschließlich im Sinne einer relativen Bewertung der einzelnen Leistungen zu verstehende EBM in eine Gebührenordnung mit festen Preisen umgewandelt. Die Berechnung der Leistungsbewertungen des EBM erfolgte im Rahmen eines Kalkulationsmodells mit in Euro bewerteten direkten und kalkulatorischen Kos­ten für ärztliche Leistungen sowie für technische Leistungen mit einem Punktwert von 5,1129 Cent.  Das als Standardbewertungssys­tem (STABS) bezeichnete Verfahren wird bis heute bei der Kalkulation neuer Leistungen zugrunde gelegt. Es geht von einer Brutto-Jahresarbeitszeit von 51 Wochenstunden aus und kommt rechnerisch bei einer Produktivität der ärztlichen Leistung von 87,5 % (wegen zu berücksichtigender Pausen) auf einen Kostensatz von 86,09 Cent pro Arztminute. Als Orientierungswert gilt ein Oberarztgehalt im Krankenhaus. So gesehen müsste ein Hausbesuch nach EBM-Ziffer 01410 bei einer Zeitvorgabe von 20 Minuten mit 28,69 Euro (unbudgetiert) bewertet sein. Tatsächlich sind es aktuell aber nur 22,59 Euro. Denn Hausbesuche sind nicht nach STABS bewertet, ihr Wert wird „gegriffen“. Dass das grundsätzlich möglich ist, hat auch Vorteile. Denn bei Hausbesuchen handelt sich angesichts der Altersentwicklung in der Bevölkerung eindeutig um eine zunehmend notwendige und damit förderungswürdige Leistung.

Nr. 01415 bringt doppelt so viel Honorar wie Nr. 01410

Dort, wo diese Förderungswürdigkeit erkannt wurde, gibt es deshalb auch – ebenfalls in der Bewertung gegriffene – Hausbesuchsleistungen, bei denen man von einer angemessenen Vergütung ausgehen kann. So ist etwa der Hausbesuch nach Nr. 01415 z.B. mit 58,17 Euro und damit mehr als doppelt so hoch bewertet wie der einfache Besuch nach Nr. 01410! Dabei handelt es sich „nur“ um einen in einem Alten-/Pflegeheim angeforderten und am selben Tag ausgeführten Besuch. Das sind Rahmenbedingungen, die quasi auf jeden Besuch zutreffen.

Mitbesuch ist mit 11,29 Euro sehr unattraktiv bewertet

Der oft in solchen Einrichtungen kaum zu vermeidende Mitbesuch nach Nr. 01413 ist mit 11,29 Euro hingegen sehr unattraktiv bewertet. Hat man mit dem Alten-/Pflegeheim einen Versorgungsvertrag, kann man zusätzlich die Nr. 37113 berechnen und erhält exakt das doppelte Honorar. Hinzu kommt, dass sowohl die Leistung nach Nr. 01415 wie auch die nach Nr. 37113 – eben weil in der Bewertung gegriffen – keine kalkulatorische Zeitvorgabe hat. Fazit: Es geht also. Warum dann aber nicht bei allen Hausbesuchsleistungen? Dann würde deren Zahl sicherlich auch wieder ansteigen.
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