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Schulgesundheitsfachkräfte Diabetologen fordern bundesweites Angebot statt wackeliger Modellprojekte

Praxismanagement , Team Autor: Angela Monecke

Eine Schulgesundheitsfachkraft nimmt vor allem den Eltern ihre Sorgen. (Agenturfoto) Eine Schulgesundheitsfachkraft nimmt vor allem den Eltern ihre Sorgen. (Agenturfoto) © FatCamera/gettyimages
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In Großbritannien, Australien und den USA sind „School Nurses“ schon länger erfolgreich im Dienst. Auch hierzulande gibt es vereinzelt „Schulkrankenschwestern“. Für ihren vermehrten Einsatz fordern Ärzte und Pädagogen bundesweite Regelungen.

Schürfwunde am Knie, Bauchschmerzen vor der Mathearbeit oder ein Corona-Schnelltest: Karen Kreutz-Dombrofski, gelernte Krankenschwester, ist seit fünf Jahren an der Ernst-Reuter-Schule II in Frankfurt am Main als Schulgesundheitsfachkraft im Einsatz. Dort ist sie für knapp 1.200 Kinder und Jugendliche zuständig. Das betrifft nicht nur „kleine Wehwehchen“. Die frühere Kinderkrankenschwester betreut auch junge Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Asthma, Allergien oder Epilepsie, die in ihrem Schulalltag  besonders unterstützt werden müssen. Mindestens jedes sechste Kind, das in Deutschland zur Schule geht, ist chronisch krank. Allein rund 3.500 Kinder und Jugendliche pro Jahr erkranken neu an einem Typ-1-Diabetes, immer mehr davon bereits im Vorschulalter.

Kreutz-Dombrofskis Aufgaben reichen von der Prävention bis zur Akutversorgung. Für ihre Arbeit an der Gesamtschule bietet sie Hilfe­suchenden einen eigenen Raum. „Das ist der erste Anlaufpunkt, den kennen alle.“ An ihre Tür klopfen aber nicht nur Schüler mit spontanen Gesundheitsbeschwerden, sondern auch Lehrkräfte, die eine Antwort auf ein akutes gesundheitliches Problem eines chronisch kranken Kindes suchen. Eltern müssen dank der Fachkraft nicht mehr wie früher „mit wehenden Fahnen“ zur Schule hetzen. Auch seien weniger Rettungseinsätze – etwa wegen der Akutversorgung eines epileptischen Anfalls oder einer schweren Unterzuckerung eines Schülers – notwendig, berichtet Kreutz-Dombrofski. 

Flächendeckende Maßnahmen zur Inklusion fehlen weiterhin

Junge Patienten mit Typ-1-Diabetes müssen auch im Schulalltag auf ihre Ernährung achten, sich regelmäßig den Blutzucker messen, Insulin spritzen sowie körperliche Bewegung und Insulindosis aufeinander abstimmen. „Zumindest im Grundschulalter sind Kinder damit häufig überfordert“, betont der Tübinger Kinderdiabetologe und Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Prof. Dr. ­Andreas Neu. Allein die Interpretation der Blutzuckerwerte sei eine große Herausforderung: „Kann ich problemlos zu Mittag essen, wenn mein Blutzucker zuvor bei 167 mg/dl liegt? Welche Insulindosierung passt zu diesem Blutzuckerwert?“

Auch Lehrer seien in der Regel nicht in der Lage, solche Fragen zu beantworten. Diese Lücke können Schulgesundheitsfachkräfte schließen, so Prof. Neu. Bislang gebe es aber „noch keine ausreichenden und flächendeckenden Maßnahmen zur Inklusion und Integration von Kindern mit der Diagnose Diabetes Typ 1 in Bildungseinrichtungen“. 

Dies führe ferner dazu, dass junge Patienten immer wieder vom Regelschulbesuch ausgeschlossen werden. Die Eltern, meist die Mütter, schränkten dann ihre Berufstätigkeit ganz oder teilweise ein, um ihren Kindern zu helfen. Fast die Hälfte der betroffenen Familien klagt über relevante finanzielle Einbußen. Die zusätzlichen täglichen Aufgaben könnten zu emotionalen und körperlichen Belastungen führen und die Eltern überfordern. 

Fast ein Viertel der Kinder benötige „eine weitergehende medizinische oder therapeutische Unterstützung“, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Dies zeige auch eine Begleitstudie zum Modellprojekt „Schulgesundheitsfachkräfte“ der Arbeiterwohlfahrt Potsdam (siehe Kasten). „Wir sprechen also nicht von Einzelfällen, die Förderbedarf in einem oder mehreren Förderschwerpunkten haben oder Assistenz bei der Medikamentengabe benötigen.“

Eine Frage des Geldes?

Schulgesundheitsfachkräfte sind inzwischen in Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen im Einsatz. Das 2016 in Brandenburg gestartete Modellprojekt wurde Ende 2021 – mit zuletzt 18 Schulkrankenschwestern an 27 Schulen – von der Landesregierung aus finanziellen Gründen beendet: Die Kosten für alle 900 Schulen wurden auf insgesamt 28 Mio. Euro geschätzt. 13 Kräfte sind allerdings weiterhin an Schulen tätig, da die Kommunen die Finanzierung zumindest für das laufende Jahr übernommen haben. 

Beckmann sieht die Politik „in der Pflicht, die notwendigen Bedingungen zu schaffen und ein professionelles Schulgesundheitsmanagement mit dafür ausgebildeten Fachkräften zu etablieren und zu finanzieren“. Die DDG, diabetesDE und Vereinigungen der Jugendmedizin sowie Kinderkrankenpflege forderten schon 2021 die flächendeckende Einführung von Schulgesundheitsfachkräften – zunächst für Kinder im Grundschulalter. Trotz der ersten Erfolge in Modellprojekten fehle es am politischen Willen, dieses Angebot zu ermöglichen.

Fachkräfte sind sinnvoll, mach- und finanzierbar

Die Technische Hochschule Mittelhessen hat den Einsatz der an 37 Schulen in Brandenburg und Hessen eingesetzten Gesundheitsfachkräfte evaluiert. Mit eindeutigem Ergebnis: Das Implementieren erwies sich als sinnvoll, mach- und finanzierbar. Die Kräfte fördern die Inklusion von Kindern mit chronischen Erkrankungen, entlasten das Schulsystem und tragen zur finanziellen Sicherheit von Familien bei. Durch Projekte zur Gesundheitsförderung ergeben sich auch Effekte bei Ernährung, Bewegung und Mundhygiene. In Brandenburg gaben z.B. rund 70 % der befragten Schüler an, sich häufiger die Zähne zu putzen. Und über die Hälfte bewegte sich auch mehr, seitdem eine Schulgesundheitsfachkraft vor Ort war.

Quelle: Pressekonferenz DDG, diabetesDE, VBE

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