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Facharzttermine Druck und Tricks für Taler

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Michael Reischmann

Praxen sind am Limit, sie schaffen keine zusätz­lichen Patienten mehr. Praxen sind am Limit, sie schaffen keine zusätz­lichen Patienten mehr. © Janina_PLD – stock.adobe.com
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„Wir können keine neuen Patienten mehr aufnehmen“, sagen die einen. „Wir können nur noch Patienten mit Überweisung des Hausarztes aufnehmen“, behaupten andere. Stets schwingt die Frage mit: Wie lassen sich durch Umstellungen die gestiegenen Kosten decken?

In Hessen haben Vertragsärzte wegen einer „verfehlten Gesundheitspolitik“, die die ambulante Versorgung schwächt, statt sie zu stärken, erneut ihre Praxen an einem Mittwoch geschlossen. Die KV-Chefs HNO-Arzt Frank Dastych und Hausarzt Armin Beck kündigen an: „Die Proteste werden so lange weitergehen und auch intensiviert, bis es verlässliche Zusagen und tatsächliche Veränderungen seitens der Politik gibt.“ Sie klagen: „Anstatt die Leistungen der Niedergelassenen angemessen zu honorieren, war und ist Geld immer nur für die Kliniken vorhanden.“ Die MFA seien beim Corona-Bonus sogar bewusst vergessen worden.

Die Führungen des Virchow­bundes sowie des Spitzenverbandes Fachärzte (SpiFa) schlagen vor, den Praxisbetrieb grundsätzlich auf eine Vier-Tage-Woche umzustellen, um dem Kostendruck und der MFA-Abwanderung entgegenzuwirken. Ihr Credo lautet: „Wenn Leistungen nicht bezahlt werden, müssen diese eben eingeschränkt werden.“

Offene Sprechstunde

Bei Augenärzten, Chirurgen, Gynäkologen, Hautärzten, HNO-Ärzten, Psychiatern, Neurologen, Nervenärzten, Orthopäden und Urologen, die fünf Stunden pro Woche als offene Sprechzeiten ohne vorherige Terminvereinbarung anzubieten haben (bei vollem Versorgungsauftrag, sonst anteilig), ist es ausgeschlossen, dass eine Behandlung zwingend an einen Überweisungsschein geknüpft wird. Das stellt die KV Schleswig-Holstein klar. Die Leistungen werden extrabudgetär bezahlt – maximal 17,5 % der Arztgruppenfälle. 

Mehr Zeit schaffen für Selbstzahlerleistungen

Der Bayerische Facharztverband empfiehlt Praxisinhabern, Abläufe zu überprüfen: Lassen sich durch Konzentration und Reduktion der Kassensprechstunden auf das mindestgeforderte Maß Freiräume für Familie, Freizeit oder Selbstzahlersprechstunden schaffen sowie Kos­ten senken? Um eine „Erweiterung des ohnehin schon ungeliebten Bereitschaftsdienstes“ zu vermeiden, sei es sinnvoll, „sich fachspezifisch regional abzusprechen und gegenseitige Vertretungsangebote für GKV-Patienten zu organisieren“, rät  Vorsitzender Dr. Wolfgang Bärtl. 

Vertragsärzte haben die Anforderungen der Zulassungsverordnung und des Bundesmantelvertrages zu beachten. Demnach hat ein Arzt mit vollem Versorgungsauftrag an allen zuge­lassenen Tätigkeitsorten persönlich mindestens 25 Stunden wöchentlich zur Verfügung zu stehen. Das schließt z.B. Haus- und Heimbesuche ein. „Wie diese Stunden auf die einzelnen Wochentage zu verteilen sind, wird allerdings nicht genauer vorgegeben“, erklärt Detlef Haffke, Pressesprecher der KV Niedersachsen. Es seien die Besonderheiten des Praxisbereichs und die Bedürfnisse der Versicherten, etwa durch Sprechstunden am Abend oder an Samstagen, zu berücksichtigen.

Die vertragsärztliche Tätigkeit bestimmt sich nicht nach Tagen, unterstreicht Martin Eulitz, Pressesprecher der KV Bayerns. Vielmehr bestehe eine Präsenzverpflichtung (Erreichbarkeit) zu den Zeiten, in denen kein Ärztlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet ist. 

Das ist ein wesentlicher Punkt. Ein komplett freier Mittwoch oder Freitag würde den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst vor Belastungen stellen, gibt Haffke zu bedenken. „Wir müssten Ärztinnen und Ärzte auch tagsüber einteilen. Diese Ärztinnen und Ärzte haben wir nicht.“ Die KV Hessen geht dagegen davon aus, dass ein freier Tag vom Bereitschaftsdienst zu bewältigen wäre. 

Ärzte, die von Medien zum Vorstoß des Virchowbundes befragt wurden, zeigen Sympathien für die Protestidee, weisen aber auch darauf hin, dass sie ihr Arbeitspensum mit einem Tag weniger nicht packen.

So sieht das auch Reimo Kuckel, Praxisberater im niedersächsischen Gehrden. „20 % weniger Arbeit bedeutet 20 % weniger Umsatz.“ Das lasse sich mit geringeren Kosten für Strom und Wärme nicht kompensieren. Fixkosten wie Miete, Kreditzinsen oder Versicherungsbeiträge laufen unverändert weiter. Da viele MFA bereits in Teilzeit arbeiten, bezweifelt er, dass ein Praxisöffnungstag weniger pro Woche den Beruf für sie entscheidend attraktiver machen würde.

Er glaubt auch nicht, dass die Patienten für kollektiv verkürzte Praxiszeiten Verständnis zeigen würden. Schließlich sind Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr auf einen Facharzttermin keine Seltenheit.

Kuckel analysiert Honorarabrechnungen. Deutliche Abweichungen vom Fachgruppendurchschnitt sind für ihn Anlass, nach den Ursachen zu suchen und Verbesserungsvorschläge zu machen, z.B. zu einem optimierten Terminmanagement.

Er bestätigt das neue Interesse von Fachärzten an dringlichen Überweisungen, nachdem der Gesetzgeber höhere Zuschläge bei Terminvermittlungen als Kompensation für die gestrichene Neupatientenregelung gewährt hat.

Honoraranreize für die Terminvermittlung

Ein Hausarzt, der für einen Patienten einen dringenden Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten verbindlich vereinbart, erhält dafür jetzt 15 statt zuvor 10 Euro (GOP 03008 / 04008 mit Angabe der BSNR der Facharztpraxis). Der Facharzt oder Psychotherapeut, der den Termin bereitstellt, bekommt alle Leistungen im Quartal (Arztfall) in voller Höhe vergütet und zusätzlich einen extrabudgetären Zuschlag auf die jeweilige Grundpauschale von 100 % (Termin spätestens am 4. Tag), 80 % (bis zum 14. Tag) oder 40 % (bis zum 35. Tag). Dies gilt ebenso, wenn eine KV-Terminservicestelle einen Patienten vermittelt hat. Bei einem Termin spätestens am Folgetag (Akut­fall), wenn der Patient die 116117 kontaktiert und die Ers­teinschätzung die Dringlichkeit der Behandlung bestätigt hat, beträgt der Zuschlag 200 % zur Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale.
 

Bislang habe die seit 2019 mögliche Vermittlung durch den Hausarzt in den Praxisabrechnungen kaum Niederschlag gefunden, sagt Kuckel. Ob sich das jetzt ändert, werde man frühestens in einem halben Jahr den Abrechnungsdaten entnehmen können.

Auch KV-Sprecher Eulitz in München mag nicht „über das Verhältnis von Minus und Plus“ spekulieren. „Nur so viel: Sollten die erhöhten Vermittlungszuschläge ihre Anreizwirkung zugunsten von Hausarzt- oder Terminservicestellen-Vermittlungen verfehlen und die Anzahl der so vermittelten Fälle konstant bleiben, so wäre der finanzielle Kompensationseffekt zu vernachlässigen.“

Karl Roth, Pressesprecher der KV Hessen, teilt mit: „Wir weisen das TSVG-Honorar in den Honorar­abrechnungen gesondert aus und haben unseren Mitgliedern mitgeteilt, dass wir von 10 bis 20 % weniger Honorar ausgehen. Der Honorar­zuwachs durch die Vermittlungen dürfte marginal sein.“ 

Die Honorierung der Leistungen bei Neupatienten richtet sich nun wieder nach dem Honorarverteilungsmaßstab der zuständigen KV. In Bayern werden die dafür heranzuziehenden Basisfallzahlen um die damaligen Neupatienten erhöht. Die ärztliche Sorge, dass ab einer bestimmten Fallzahl keine Vergütung mehr erfolgt, sei unbegründet.

400 Mio. Euro, die fehlen

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung beziffert die Zahl der Neupatientenfälle in den Jahren 2018 (vor dem TSVG) bis 2021 mit jährlich rund 100 Mio. (im Coronajahr 2020 nur 93 Mio.). Die extrabudgetären Honoraranteile für deren Behandlung, die nach dem Streichen der TSVG-Regelung wegfallen, beliefen sich auf rund 400 Mio. Euro per anno. Das sind um die 4 Euro pro Fall oder knapp 1 % der Gesamtvergütung. Aus Praxissicht geht es aber um Abstriche bei etwa jedem fünften Patienten/Quartal.

KV erklärt nach Beschwerden noch einmal die Regeln

Unterdessen treiben die neuen Abrechnungsanreize Blüten. Auf einer HNO-Praxis-Homepage heißt es: „Bitte denken Sie ab Januar 2023 daran, dass wir bei Kassenpatienten einmal pro Quartal eine Überweisung Ihres Hausarztes benötigen, diese sollte nicht älter als 4 Tage zum Untersuchungstermin ausgestellt sein. Beispiel: Termin am 20.01.23, Überweisung nicht älter als 16.01.23.“ 

Eine BAG für Orthopädie und Chirurgie schreibt: „Seit 01.01.2023 sehen die Regelungen für gesetzlich Versicherte eine direkte individuelle Vorstellung beim Facharzt nicht mehr vor. Stattdessen soll bei – durch den Hausarzt festgestellter Dringlichkeit – eine Terminvermittlung über den Hausarzt oder durch die Terminservicestelle der KV (Tel. 116117) erfolgen ...“

Offenbar hat die Regierung unbemerkt ein verpflichtendes Primärarztsystem eingeführt! Doch so ist es nicht. Die KV Schleswig-Holstein sieht sich aufgrund „auflaufender Fragen und Beschwerden“ veranlasst klarzustellen: „Es ist nicht zulässig, dass Patienten vonseiten einer Facharztpraxis mit einer bestehenden regulären Überweisung zum Hausarzt zurückgeschickt werden, um diese in einen Hausarzt-Vermittlungsfall eintauschen zu lassen. Ebenfalls ist es nicht zulässig, eine eigene Terminvergabe abseits medizinischer Gründe zu verweigern und einen Hinweis auf einen vermeintlichen Überweisungszwang auszusprechen.“

Die KV in Bad Segeberg warnt davor, dass die haus- und fachärztliche Zusammenarbeit Schaden nehmen könne. Zudem sei zu erwarten, dass die Politik die Handhabung der Vermittlungsregeln sehr genau be­obachten werde. Wie es richtig läuft, erklärt die KV auf ihrer Webseite.

Dass derzeit etliche Praxen mit der Begründung, keine neue Patienten mehr aufnehmen zu können, diese an die 116117 verweisen, bestätigt KV-Pressesprecher Haffke für Niedersachsen. Er sieht die Gründe dafür aber nicht in einer Protestreaktion auf die gestrichene Neupatientenregelung, sondern in einer Überlastung durch die Infektwelle. „Die Praxen arbeiten am Limit. Sie schaffen keine zusätzlichen Patientinnen und Patienten mehr.“ Tatsächlich steige bei der TSS die Nachfrage nach freien Terminen. „Die Meldung von freien Terminen durch die Mitglieder wird aber in den kommenden Wochen und Monaten zunehmen, um den Wegfall der Neupatientenregelung zu kompensieren“, schätzt Haffke.

Medical-Tribune-Bericht

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