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Klimaresiliente Versorgung Honorarzuschlag in Baden-Württemberg

Praxismanagement , Praxisführung Autor: Angela Monecke

Den Honorarzuschlag klimaresiliente Versorgung gibt es ab Oktober 2023 im Hausarztprogramm der AOK Baden-Württemberg. Den Honorarzuschlag klimaresiliente Versorgung gibt es ab Oktober 2023 im Hausarztprogramm der AOK Baden-Württemberg. © Bro Vector – stock.adobe.com
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Es sind vor allem die vulnerablen Gruppen, die unter der Hitze leiden. Einen ersten Hitzeschutzplan hat die Regierung vorgelegt. Zu spät, zu unkonkret, sagen Kritiker. Anders die Situation im Ländle: Dort wird ab Oktober die klimaresiliente Versorgung über den HzV-Vertrag mit der AOK Baden-Württemberg abgerechnet. Über einen Vorreiter in Deutschland.

Hitzewellen in Deutschland werden künftig noch häufiger, länger und intensiver sein, warnen Experten. Mehrere Tausend Hitzetote sind schon heute jährlich zu beklagen. Ein beachtliches Tempo beim Hitzeschutz legt Baden-Württemberg vor. Schon ab Oktober kann dort die klimaresiliente Versorgung über den HzV-Vertrag mit der AOK abgerechnet werden. Damit sollen vor allem chronisch kranke Patienten strukturiert für die Gesundheitsrisiken durch Hitze sensibilisiert und beraten werden, heißt es. Nach einer qualifizierenden 90-minütigen Schulung des Hausarztpraxisteams zum Thema „Klima und Gesundheit“ wird die klimaresiliente Versorgung dann einmal jährlich mit einem Zuschlag von 8 Euro auf die Chronikerpauschale vergütet (Kasten). 

Zuschlagsfähig: klimaresiliente Versorgung in der HzV

Ab Oktober 2023 gibt es den Honorarzuschlag klimaresiliente Versorgung im Hausarztprogramm der AOK Baden-Württemberg. Damit ist die Aufgabe verbunden, die Patienten über den Zusammenhang des Klimawandels und der Gesundheit zu informieren sowie sie zu Klima- und Gesundheitsschutz zu motivieren. Vor allem chronisch kranke Menschen mit erhöhter Klimavulnerabilität stehen dabei im Fokus.

Voraussetzung für den Zuschlag ist die Teilnahme des Hausarztes und eines Mitglieds des Praxisteams (mind. 19 Stunden Wochenarbeitszeit) an einer mindestens 90-minütigen Fortbildung mit dem Schwerpunkt „Klima und Gesundheit“. Die erlangte Schulungsqualifikation muss danach an die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG) gemeldet werden. Für die Qualifikation gibt es 8 Euro pro Kalenderjahr auf die Chronikerpauschale P3 (hausarzt-bw.de/klima-versorgung).

Über 2.000 der knapp 3.930 HzV-Ärzte in Baden-Württemberg und ihr Praxispersonal sind für die Schulungen inzwischen gemeldet, 1.800 Personen bereits geschult. Die zuschlagsfähige Fortbildung „Gesundheitliche Auswirkungen der Klimakrise in der Hausarztpraxis“ moderiert u.a. der Hausarzt Dr. Hans Bürger für den Hausärzteverband Baden-Württemberg. Er setzt sich schon lange für den Klimaschutz ein, etwa im Rahmen einer Kampagne der Stadt Ravensburg zu den Folgen des Klimawandels für die Gesundheit (ravensburg.de/teamklima). 

Sein ständiger Begleiter seit vielen Monaten: die WarnWetter-App des Deutschen Wetterdienstes. Bis zu 36 Grad zeigt sie für die nächsten drei Tage in seiner Gemeinde an, in Vogt im oberschwäbischen Landkreis Ravensburg. „Wir als Hausärzte sind ja sehr nah an diesen vulnerablen Gruppen, wir behandeln Ältere und auch Kleinkinder“, erklärt Dr. Bürger, der seit 2008 in der Hausarztzentrierten Versorgung mitmacht. „Das Ziel muss die Motivation fürs Klima und für den Gesundheitsschutz sein. Dabei geht es auch um die Anpassung der eigenen Lebensweise zum Wohle des Klimas – natürlich immer im Rahmen der individuellen Möglichkeiten, aber jeder kleine Beitrag hilft!“

Mehr trinken, im Schatten aufhalten – alles bekannt?!

Doch seine Kollegen für den Klimaschutz zu begeistern, sei nicht so einfach. Oft höre er vor der Schulung: „Mensch, das kenne ich doch schon alles!“ Am Ende zeigten sich die meisten von der Vielseitigkeit des Themas doch überrascht. Die Fortbildung richte sich nicht nur an Ärzte, sondern ans komplette Praxisteam, also auch an die MFA, die einen hohen Stellenwert in der Beratung hätten. Sie könnten die Patienten sensibilisieren, etwa an heißen Tagen mehr Gemüse zu essen, ausreichend zu trinken und sich an kühlen Orten aufzuhalten. Es geht um Eigenverantwortung

Seine eigenen Praxis- und Behandlungsabläufe passt Dr. Bürger an jede Hitzeperiode an, bietet dann Früh- und Abendsprechstunden und versucht, die Wartezeiten seiner Patienten kurz zu halten. Eine Klimaanlage hat seine Praxis nicht, dafür wurden an allen Fenstern dichte Jalousien angebracht und kleine Bodenventilatoren aufgestellt, die bei großer Hitze in Betrieb gehen. Bevor der Praxisbetrieb morgens startet, wird zudem gut gelüftet und die Raumtemperatur auch tagsüber immer wieder kontrolliert.  

Checkliste bei Hitze – Praxisabläufe anpassen

  • Praxis kühl halten, Hitzeaktionspläne aktivieren. Lüftung und Verschattung nach festen Plänen

  • Getränke anbieten

  • Sprechzeiten zu kühleren Tageszeiten (am Morgen oder am Abend, bei gefährdete Patienten ggf. für Begleitung sorgen)

  • Tag mit Hitzewarnung: möglichst keine anstrengenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, wie z. B. ein Belastungs-EKG

  • Liste der Risko-Patienten in Praxis erstellen, nach Möglichkeit Markierung und Identifikationssystem im Arztinformationssystem

  • Betroffene Patienten wachsam begleiten; achten auf: Dehydratationszeichen, erhöhter/erniedrigter Blutdruck , erhöhte Körpertemperatur, Elektrolyte und Nierenwerte, relevante Vitalparameter, Exsikkosezeichen

  • Kontaktaufnahme bei gefährdeten Patienten, ggf. Hausbesuche durch MFA/Verah

  • individuelle Beratung zu präventiven Maßnahmen und Verhalten während Hitzeperioden

  • Medikamentenpläne vor dem Sommer kontrollieren und ggf. an Hitze anpassen

  • Nutzung der DWD-Hitze-Warn-App (Deutscher Wetterdienst)

Quelle: Deutscher Hausärzteverband Landesverband Baden-Württemberg e. V.

Hitzeschäden zeigen sich vielfältig – es muss also nicht immer der akute Hitzekollaps oder die Hitzeohnmacht sein. In der Praxis sind es oft die „dicken Beine“, über die Patienten klagen, so Dr. Bürger. Häufig würden sie dann in Eigenregie ihre Diuretika erhöhen und in der Folge dehydrieren. Die Kontrolle und Anpassung des Medikationsplans sei deshalb so wichtig. Dies und mehr im Umgang mit dem Thema Hitze vermittelt er seinen Kollegen und deren Teams innerhalb der Fortbildung zur klimaresilienten Versorgung. „Wir müssen eine Sensibilität für die Hitzegefahr entwickeln, ob Ärzte oder Patienten“, betont er. Im Hausarztvertrag der AOK Baden-Württemberg sind rund 1,8 Millionen Patienten eingeschrieben. Knapp 60 % von ihnen sind älter, chronisch krank und von den Klimafolgen besonders bedroht. Um diese Gruppen strukturiert zu stärken, haben die Vertragspartner Hausärzteverband, AOK und MEDI die klimaresiliente Versorgung entwickelt. In der HzV ließen sich neue Versorgungsansätze deutlich schneller umsetzen als in der Regelversorgung, so die Vertragspartner.

Kampagne von BMG, Hausärzteverband und KLUG

Dieser HzV-Vertrag zur klimaresilienten Versorgung diente auch als Vorbild für eine bundesweite Präventionskampagne, die das Bundesgesundheitsministerium und der Deutsche Hausärzteverband – unterstützt durch die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) – als gemeinsame Initiative vor kurzem gestartet hat. Die Kampagne sieht eine Hitzeberatung sowie Informationsmaterialien vor. 

Die Aktion entstand im Rahmen des ersten bundesweiten Hitzeschutzplans, den Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach für diesen Sommer vorgelegt hat. Über langfristige Maßnahmen werde im Herbst beraten, kündigte der Minister an. Beim Schutz vulnerabler Gruppen will das BMG u.a. mit dem Haus­ärzteverband und niedergelassenen Allgemeinmedizinern ins Gespräch kommen. Das Warnsystem vor Hitzewellen will man zudem verbessern. Über den Deutschen Wetterdienst ließen sich künftig Menschen z. B. über Apps oder per SMS gezielter erreichen. Daneben bietet das Robert Koch-Institut seit Juni und noch bis September einen Wochenbericht zur hitzebedingten Mortalität an. Laut Analyse des RKI zeigte sich vom 11. April bis 26. Juni 2022 eine hitzebedingte Übersterblichkeit: Rund 4.500 Menschen starben durch Hitze. Das seien „deutlich mehr Hitze­tote als Tote im Verkehr“, gibt Dr. Bürger zu bedenken.  

Faktenwissen zu den Gesundheitsgefahren durch die Klimakrise müsse in bundesweiten Fortbildungen nun dringend vermittelt werden, sagt er.

Quelle: Medical Tribune-Bericht

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