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Alternativmedizin Kaffee-Einlauf statt Leitlinie? „Das ist eben nicht egal!“

Praxismanagement , Patientenmanagement Autor: Anouschka Wasner

Alternativmedizin hat im schlimmsten Fall ein hohes Schadenspotenzial. Alternativmedizin hat im schlimmsten Fall ein hohes Schadenspotenzial. © Sonja Birkelbach – stock.adobe.com
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Ganzheitlich, sanft, integrativ – die Alternativmedizin, die harmlos und freundlich, aber ohne Evidenz daherkommt, lässt sich auch aus streitbarerer Perspektive betrachten. Ein Arztehepaar aus Sachsen hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit vollem Einsatz dagegen aufzuklären. Wir haben mit ihnen gesprochen: Was treibt sie an?

Wenn es um Alternativmedizin geht, ist für Dr. Janos Hegedüs klar: Die Grenze der Toleranz ist längst überschritten. Im Internet wimmle es von Schlangenölverkäufern, die für alles ein Wundermittel parat haben. Und quasi in jedem Bundesland finde man heute eine alternativmedizinische Klinik, die fragwürdige Therapien ohne jegliche wissenschaftliche Evidenz anbietet. 

„Unsere Krankenkassen zahlen aus unseren Beiträgen Globuli, und die Politik und die Ärzteschaft tun nichts dagegen“, sagt er. „Und dann kommt eine Pandemie – und statt zu einer Impfung greifen Menschen zu homöopathischer Grippeprophylaxe oder sogar Ivermectin.“ Aber das sei eben die Konsequenz, wenn eine Gesellschaft den Boden der faktenbasierten Realität verlässt, so der Internist. Seiner Meinung nach ist es  deswegen grundfalsch, Patienten ganz unkommentiert „ihre Globulis“ schlucken zu lassen. Manche Ärztinnen und  Ärzte würden vielleicht denken, es sei ja nicht wichtig, ob der Placeboeffekt wirkt oder die zigfache Verdünnung von Katzenhaaren. „Aber das ist eben nicht egal.“ 

Je mehr Schadenspotenzial, desto wichtiger das Debunking

Gemeinsam mit seiner Frau Dr. Franziska Hegedüs, Assistenzärztin in einem MVZ, hat der Internist deswegen 2017 damit begonnen, Aufklärungsvideos zu produzieren. Fast 200 Videos stehen mittlerweile auf seinem Kanal auf YouTube, rund 1,5 Millionen Aufrufe haben die Doktores erreicht. Es geht bei ihnen auch um evidenzbasierte Therapien, aber vor allem um nachweislose „Quatsch“-Therapien und Scharlatane. Themen der letzten Monate waren zum Beispiel ketogene Ernährung bei Krebs, „Leberreinigung“ und Electro-“Cancer-Therapie“. 

Je höher das Schadenspotenzial, desto wichtiger den Dres. Hegedüs die Aufklärung. Gerade Krebstherapien gebe es etliche,  die man auf den ersten Blick sogar lustig finden kann. „Wer gibt denn Geld für ein Gerät aus, das die Luft energetisieren soll, um Krebs vorzubeugen?“, fragt Dr. Hegedüs. „Die Antwort darauf ist aber sehr traurig: Es sind verzweifelte Menschen, die sich in ihrer Not an jeden Strohhalm klammern.“ Genau hier setze ihre Arbeit an: „Wir möchten Menschen eine fundierte und evidenzbasierte Perspektive bieten und sie vor den Gefahren der Scharlatanerie schützen.“

Gleichzeitig sei es auch wichtig, den Scharlatanen selbst zu zeigen, „dass das, was sie machen, so nicht geht.“ Deswegen entlarvt das Ärztepaar auch Mediziner, wenn es sein muss, wie etwa den Verschwörungsmythen verbreitenden Mikrobiologen Prof. Dr. Sucharit Bhakdi oder auch den Krankenpfleger und „Krebsflüsterer“ Lothar Hirneise. Es gebe zwar immer mal einzelne Berichte darüber, dass jemand für den Verkauf von wirkungslosen oder gefährlichen Heilpraktiken zur Rechenschaft gezogen wird – aber eben nur selten. „Das macht die Schlangenölverkäufer übermütig“, sagt Dr. Hegedüs. „Und viele, die die Situation ähnlich einschätzen wie wir, trauen sich aus Angst vor Rechtsstreitigkeiten und persönlichen Angriffen nicht, laut etwas zu sagen.“ 

Fehlt aber der Widerspruch, so legitimiert das die Vorstellung, dass etwas wirken kann, das wissenschaftlich gar nicht erklärbar ist, betont Dr. Janos Hegedüs. „Und dann – warum soll ich dann nicht auch einen Quantenstein für 800 Euro kaufen?“ Oder, führt er weiter aus, daran glauben, dass die Pharmaindustrie Medikamente verkauft, die nicht heilen, sondern nur Umsatz generieren? Und dass Ärzte die Sklaven einer übermächtigen Pharmamafia sind und Teil einer Weltverschwörung, an deren Spitze die Elite die neue Weltordnung einfädelt? „Und wenn man dann im Alltag Menschen begegnet, die an eine flache Erde und die Adrenochrom-Theorien glauben, hat es vielleicht mit dem Glauben an harmlos erscheinende Zuckerkügelchen begonnen. Deswegen bin ich für eine Nulltoleranz“, betont Dr. Janos Hegedüs. 

Auch Dr. Franziska Hegedüs hätte es am liebsten, wenn niemand mehr Fehlinformationen dulden würde, denn: „Unsere Patienten leben in einer Welt, in der evidenzbasierte und Alternativmedizin quasi gleichberechtigt nebeneinander existieren.“ Heute gebe es in ihrer Region durch diese „Züchtung von Wissenschaftsskepsis“ sehr viele langjährig geprägte Anhänger der Alternativmedizin. „Die Patienten können – verständlicherweise – gar nicht mehr unterscheiden, was wahr ist und was nicht.“ Nach ihrer Auffassung dürften Ärztinnen und Ärzte deswegen keine Zusatzbezeichnungen aus der Alternativmedizin tragen und auch keine Leistungen aus diesem Gebiet anbieten. 

„Ich habe mich oft gefragt, warum meine ehemalige Weiterbildungspraxis, in der quasi ausschließlich Alternativmedizin angeboten wurde, nie angezeigt wurde, weder von Patienten noch von früheren Weiterbildungsassistenten.“ Sie selbst hatte versucht, etwas gegen die Situation zu unternehmen – konnte damit aber bisher nicht viel erreichen.    

Verstöße gegen Richtlinien sollten Konsequenzen haben

Vor zwei Jahren, in der Hochzeit von Corona, hat das Arztehepaar in einem Interview mit dem Präsidenten der Sächsischen Landesärztekammer, Dr. Eric Bodendieck, unter anderem danach gefragt, welche Handlungsmöglichkeiten Ärztekammern bei Verstößen gegen wissenschaftliche und ethische Richtlinien haben. „Ich verstehe sehr gut, wie knifflig die Lage für die Ärztekammern ist. Und trotzdem wünsche ich mir, dass die Kammern sich geschlossen gegen Fehlinformation stellen und auch proaktiv dagegen ankämpfen,“ sagt Dr. Janos Hegedüs. Denn die Gefahr, die von der Querdenkerbewegung und ihren prominenten Köpfe symbolisiert werde, werde unterschätzt. Es habe einige Kolleginnen und Kollegen gegeben, die in ihren Praxen die Pandemie geleugnet und Impfungen abgelehnt haben – ohne jede Konsequenz.

Er wünscht sich, dass von den Ärztekammern mehr hinterfragt und kontrolliert wird, welche Leistungen angeboten werden. Denn: „Ich verstehe nicht, warum wir zulassen, dass manche Hausärzte auf ihrer Webseite Therapieansätze bewerben, die jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren.“ Dann könne man kaum erwarten, dass Patienten „den Unterschied zwischen einem Facharzt und einer Kräuterhexe oder zwischen einer leitlinienkonformen medikamentösen Therapie und Kaffee-Einläufen kennen“. 

Es braucht Respekt und Demut vor wissenschaftlicher Evidenz

„Evidenz sollte immer unser Leitstern sein“, sagt Dr. Janos Hegedüs. Für ihn habe Evidenz eine weitreichende Bedeutung. Es ginge dabei nämlich auch um Respekt und Demut. „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die durch die harte Arbeit vieler kluger Köpfe über viele Jahrzehnte hinweg gesammelt wurden, sollten uns immer daran erinnern, wie relativ und wie klein die Bedeutung unserer eigenen Erfahrungen und Meinungen ist.“

Dr. Franziska Hegedüs wünscht sich, dass nicht nur in der Medizin, sondern in allen Lebensbereichen mehr gegen falsche Informationen vorgegangen wird – privat, unter Freundinnen und Freunden, im Bekanntenkreis, aber auch unter Kolleginnen und Kollegen. Je öfter falsche Informationen benannt und widerlegt würden, desto weniger würden sie als wahr erscheinen. „Das darf nicht nur Aufgabe von Spezialisten in den einzelnen Bereichen sein: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das kann keiner allein schaffen.“

Wenn Sie hören wollen, wie sich die Situation der Dres. Hegedüs in Klinik und Praxis konkret darstellt und was die beiden sich von ihren Kolleginnen und Kollegen wünschen und erwarten würden zu diesem Thema, dann hören Sie jetzt unseren Podcast (siehe Kasten).

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