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Gen Z Welche Erfahrungen machen Arztpraxen mit der jungen Generation?

Praxismanagement , Team Autor: Isabel Aulehla

Entgegen vieler Vorurteile zeigt die Generation Z keine geringere Leistungsbereitschaft. Entgegen vieler Vorurteile zeigt die Generation Z keine geringere Leistungsbereitschaft. © ra2 studio – stock.adobe.com
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Jungen Menschen wird gerne unterstellt, eine schlechtere Arbeitsmoral zu haben. Besonders stark wird das diskutiert, seit Millenials und die Generation Z in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Was berichten Ärzte und MFA? Medical Tribune hat sich umgehört. 

Engagiert und leistungsstark

In einem sind sich alle Interview­partner einig: Von einer niedrigeren Leistungsbereitschaft junger Menschen kann keine Rede sein. „Sie reißen sich für die Praxis ein Bein aus“, betont Hausärztin Dr. ­Ulrike Koock im hessischen Büdingen. Und pauschalisieren lasse sich sowieso nichts. Unterschiede in der Arbeitseinstellung beobachten alle Befragten zwar durchaus. Aber sie werten diese nicht negativ, sondern nur als Zeichen eines veränderten Zeitgeists. „Jede Generation darf und muss sich verändern“, bekräftigt Dr. Ivo Grebe. Der 70-Jährige ist seit 35 Jahren als hausärztlicher Internist in Aachen tätig. 

Unangenehme Aufgaben nicht selbstverständlich

Von jüngeren Generationen werde insgesamt seltener erwartet, unangenehme Tätigkeiten zu übernehmen, beobachtet Dr. Koock. Wenn die Situation mal eintrete, seien sie vielleicht etwas weniger dazu bereit. Sie selbst ist Mitte 40 und hat früh angefangen, in der Pflege zu arbeiten, erzählt sie. Damals sei es noch üblich gewesen, zu tun, was der Chef sagt – „und wenn es darum ging, zu putzen oder Kaffee zu kochen“. Heute würden solche Weisungen zum Glück seltener erteilt. 

Auch für zusätzliche Nachtdienste in Kliniken finden sich kaum noch Freiwillige, hört Dr. Grebe immer wieder von Kollegen. Den Grund dieser Entwicklung sieht er aber in wirtschaftlichen Faktoren. Zu seiner Zeit als Assistenzarzt habe man die besser bezahlten Dienste schlicht gebraucht, um die eigene Familie abzusichern. „Heute haben junge Leute das nicht nötig, weil mehr Geld im Umlauf ist.“ Trotzdem müsse man das Schichtsys­tem personell abbilden können. 

Junge Menschen sind seit jeher die Faulen

Es ist kein neues Phänomen, dass ältere Generationen den nachkommenden eine geringere Leis­tungsbereitschaft vorhalten. Die Interview­partner berichten, was sie sich selbst in ihrer Weiterbildung anhören durften: „Uns wurde aufs Brot geschmiert, dass früher noch 36-Stunden-Schichten normal waren“, erinnert sich Dr. Koock. Ebendiese langen Schichten hat Dr. Philipp Lettau absolviert. Der Hausarzt ist Mitte 50 und leitet eine Praxis sowie ein MVZ in Altenberge bei Münster. Ihm wiederum erzählten Dienst­ältere, sie hätten während der Weiterbildung noch für drei Monate in die Klinik einziehen müssen, um jederzeit abrufbar zu sein. Und Dr. Grebe bekam zu hören, vorige Jahrgänge hätten als „Medizinal­assistenten“ geschuftet, ohne dafür etwas zu bekommen. So stark wie heute habe man Generationen­unterschiede jedoch nie thematisiert. 

Achtung, Klischee: von Boomer bis Alpha

Trennlinien zwischen den Generationen zu ziehen, ist kaum möglich und pauschalisierend. Dennoch wird oft folgende Einteilung herangezogen. Es bleibt zu bedenken, dass Einstellungen individuell entstehen und sich verändern.

Stille Generation (1928–1945): geprägt durch Weltkrieg und Entbehrungen; in der Jugend gelernt, Gedanken nicht laut auszusprechen

Baby Boomer (1946–1964): Berufseinstieg bei hoher Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, angeblich besonders ehrgeizig, fleißig und unbeholfen mit technischen Neuerungen.

Generation X (1965–1980): Wandel von analog zu digital aktiv miterlebt, höherer Fokus auf Individualität und Lebensqulität, angeblich eher unpolitisch

Generation Y (Millenials, 1981–1995): mit digitalen Neuerungen seit der Jugend vertraut, angeblich hohes Streben nach Freiheit, Sinn und Selbstverwirklichung

Generation Z (1995–2009): im digitalen Zeitalter geboren, aufgewachsen in einer wieder instabileren Welt voller Krisen, angeblich konsumorientiert, fordernd und politisch

Generation Alpha (ab 2010): bislang noch wenig stereotypisiert

Betreute Eigenständigkeit

Es liege auch an didaktischen Anpassungen der Lehre, dass sich Arbeitsweisen ändern, gibt Dr. Koock zu bedenken. Ihr Jahrgang habe nur wenige Hilfestellungen ­bekommen. Es sei meist erwartet worden, Aufgaben allein zu bewältigen. Die Haus­ärztin findet es begrüßenswert, dass unerfahrene Ärzte und MFA heute klar kommunizieren, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Eine weitere Erklärung sei kein Thema – bevor es fünf werden, würde sie sich manchmal allerdings etwas mehr Eigeninitiative wünschen, ergänzt sie. 

Auf Eigeninitiative setzt auch Dr. Lettau. Er schult in seiner Praxis Medizinstudierende im Praktischen Jahr und Famulanten der Uni Müns­ter. Er legt Wert darauf, dass sie selbst Anamnese, Befundung und Therapievorschläge machen. Dabei stehen sie aber immer in Eins-zu-eins-Betreuung mit einem Arzt. „Hausarztmedizin ist Erfahrungsmedizin“, betont er. Nach und nach schärfe sich der Blick für wichtige Details. 

Die Mischung aus Begleitung und Freiraum komme bei den Studierenden gut an, resümiert der Mediziner. Viele von ihnen überrasche die Vielfalt des Fachs. Bei einem weniger aktiven Einblick entstehe eher ein langweiliges Bild der hausärztlichen Tätigkeit, weiß Dr. Lettau aus eigener Erfahrung. Zu seiner Zeit saß er bloß neben einem Arzt und sah ihm beim Behandeln zu. 

Dr. Grebe beobachtet, dass vieles, was früher den Kern der Medizin ausgemacht hat, nicht mehr von jungen Ärzten gelernt werde: etwas abzutasten, abzuhören, anzusehen. „Das Stethoskop verkommt zum Symbol.“ Stattdessen werde ein großer Teil der Diagnostik digital gemacht. Das sei keineswegs schlechter, nur anders. 

Pünktlich nach Hause 

Als eines der prägendsten Merkmale der jüngeren Generation nennen alle Gesprächspartner den Fokus auf eine gute Work-Life-Balance. Sie verübeln es ihren jüngeren Kollegen aber nicht – ganz im Gegenteil. Ältere sollten es sich sogar abgucken, meint die Medizinische Fachangestellte Barbara ­Kronfeldner. Sie hat die Referatsleitung für MFA im Verband medizinischer Fachberufe und arbeitet in einem MVZ im bayerischen Straubing. In ihrer Ausbildung sei noch erwartet worden, weiterzuarbeiten, bis alles erledigt ist, erzählt sie. „Aber es ist eben nie alles erledigt.“ 

Bei der Suche nach Auszubildenden zahlt es sich offenbar aus, dem Wunsch nach der Vereinbarkeit entgegenzukommen. In Straubing ist die Ausbildung in Teilzeit möglich, es gibt kostenloses Mittagessen, bezahlte Fortbildungen und eine Betreuung durch eine Ausbildungsbeauftragte. Entgegen der allgemeinen Tendenz konnte der Betrieb zuletzt alle Ausbildungsplätze besetzen. Die Azubis der letzten Jahre seien hochengagiert und fleißig, betont Kronfeldner. „Ich höre überall das Jammern über die Generation Z. Aber nachvollziehen kann ich es nicht.“

Im MVZ von Dr. Lettau fragen junge Ärzte manchmal auch nach Sabbaticals. „Das kann ich in meiner gedanklichen Welt erstmal nicht verstehen, aber der Zeitgeist ändert sich eben.“ Dennoch hält er es für sinnvoll, nach dem Berufseinstieg zunächst einige Jahre durchgehend zu arbeiten

Um Familie und Beruf vereinbaren zu können, hat Dr. Koock die Arbeit in Anstellung gewählt. Bis heute locke sie eine eigene Praxis auch wegen des wirtschaftlichen Risikos und der im Vergleich zur erbrachten Leistung unangemessenen Vergütung nicht. Für frisch ausgebildete Ärzte sei dies erst recht kein Modell mehr. Unter älteren Niedergelassenen kurz vor dem Ruhestand herrsche teils noch die Einstellung, eine 60-Stunden-Woche sei selbstverständlich.

Wechsel von Job zu Job 

Zum Unbehagen vieler Unternehmen sind häufige Wechsel des Arbeitgebers normal geworden. Auch unter jungen MFA sei die Bereitschaft, die Praxis zu wechseln, derzeit sehr hoch, berichtet ­Jeranan Rösch. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei für die Fachkräfte vorteilhaft. Rösch ist Mitte 30 und arbeitet in einer kardiologischen Praxis in Bad Homburg. Einige der Azubis dort nutzen die Ausbildung bloß als Übergang in andere Gesundheitsberufe. Die Medizinische Fachangestellte sieht darin aber kein Problem, sie kann den Wunsch nach Entwicklung gut nachvollziehen. Sie selbst hat sich zur Praxismanagerin weitergebildet. 

Auch Dr. Koock empfindet es als positiv, dass Menschen sich beruflich freier entfalten. „Es steht jedem zu, das Beste aus seinem Leben zu machen, da müssen sich Arbeitgeber anpassen und flexibel sein.“ Gelegentliche Wechsel würden den Teams nicht schaden, sie können verhindern, dass sich festgefahrene Strukturen entwickeln. 

Immer diese schwerfälligen Alten 

Wenn es um neue Strukturen geht, bringen junge Kolleginnen oft mehr Offenheit mit, findet Rösch. „Ältere sind da manchmal etwas verschlossen.“ Das könne ein neues Terminkalenderprogramm betreffen, aber auch den Social-Media-Auftritt der Praxis. Man brauche einfach Geduld, ver­sichert die MFA. Irgendwann werde aus einem „das haben wir aber schon immer so gemacht“ ein „das klappt ja doch ganz gut, machen wir das so“. 

Bei jungen MFA treffe großer Elan auf geringe Erfahrung. Oft wolle man alles gleichzeitig machen, erzählt Rösch lachend. Dass das nicht immer zielführend ist, habe sie in ihrer Ausbildung selbst erst lernen müssen. Im Lauf der Zeit gucke man sich die „innere Ruhe“ der erfahreneren Kollegen ab, plane einen Schritt nach dem anderen und gehe souveräner mit Patienten um. 

Auch junge Ärzte wissen die Unerschütterlichkeit berufserfahrener MFA zu schätzen. „Sie sind dankbar, wenn sie sich durch die Abläufe leiten lassen können“, meint Rösch. Es sei schön, wenn man verlässlichen Rückhalt habe, bestätigt auch Dr. Koock. Vor einer Weile habe sie eine unerfreuliche Konfrontation mit einem Patienten gehabt. Es war eine erfahrene MFA, die sie danach wieder aufbaute.

Medical-Tribune-Bericht

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