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Innovationsfondsprojekt AdAM Per Software Interaktionen von Arzneimitteln identifizieren

Verordnungen Autor: Cornelia Kolbeck

Digitale Lösungen können Ärzt:innen helfen, den Überblick über die verschiedenen Medikamente einer Person zu behalten. Digitale Lösungen können Ärzt:innen helfen, den Überblick über die verschiedenen Medikamente einer Person zu behalten. © Oleg Elkov/gettyimages
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Vertragsärzte schenken möglichen Wechselwirkungen von Medikamenten zu wenig Beachtung. Oft fehlt ihnen der Überblick über alle Verordnungen. Und sie wissen nicht über sich gegenseitig beeinflussende Arzneimittel ­Bescheid. Digitale Lösungen können für Besserung sorgen.

Wie Maike Below, Leiterin des Fachbereichs Verordnungsdaten beim Zentral­institut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) von KBV und KVen, berichtet, erhielten nach Zi-Analysen 2021 19 % aller Patienten mit Verordnungen in mindestens zwei Quartalen fünf oder mehr verschiedene Wirkstoffe verschrieben. 8 % der Patienten erhielten in allen vier Quartalen jeweils fünf oder mehr Wirkstoffe. 

Ausreichende Aufklärung bei Dauermedikation nötig

Besonders betroffen sind Menschen in der Altersgruppe ab 65 Jahren (44 bzw. 21 %). Im Schnitt wurden 8,3 verschiedene Wirkstoffe pro Quartal verordnet – von jeweils zwei Praxen. Die 10 % der Patienten mit den meisten unterschiedlichen Verordnungen erhielten sogar zwölf Wirkstoffe im Quartal. 

Das Problem ist laut Below, dass sich bei acht verschiedenen Wirkstoffen bereits 28 mögliche Interaktionen zwischen den Arzneimitteln ergeben können, bei zwölf Wirkstoffen sogar 66: „Wir sind also in einem Bereich, der ohne digitale Unterstützung faktisch nicht mehr beherrschbar ist und auch für die Ärzte und Ärztinnen eine sehr große Herausforderung darstellt.“

Verbesserung der Versorgung reicht noch nicht

Hausärztliche Praxen können bei Verordnungen auf die Priscus-Liste setzen. Das bringt inzwischen laut Zi-Daten eine deutliche Verbesserung der Versorgung. Während 2009 noch 25 % der medikamentös behandelten Patienten ab 65 eine potenziell inadäquate Verordnung bekamen, waren es zehn Jahre später nur noch knapp 16 %, so Below. Doch das reiche noch nicht. 

Haus­ärzte seien auf einem guten Weg, trotzdem müsse dauerhaft auf Interaktionen geachtet werden, besonders bei Dauermedikation. Die Expertin des Zi verweist ferner auf die Notwendigkeit der ausreichenden Aufklärung bei Dauermedikation. 2020 bekamen rund 135.000 Patienten ab 65 Jahren gleichzeitig ein SSRI-Präparat und einen Thrombozytenaggregationshemmer mit Blutungsrisiko verordnet – in 80 % der Fälle sogar von derselben Praxis. 

Abhängig vom Hospitalisierungsgrund sind laut Below auch die Verschreibungen nach einem Krankenhausaufenthalt problematisch. So erhielten Patienten nach einem Myokardinfarkt durchschnittlich doppelt so viele Wirkstoffe verordnet wie vor dem Klinikaufenthalt.

AdAM: Ergebnisse der Evaluation liegen vor

Die Betreuung der Patienten durch unterschiedliche Fachgruppen kann ebenfalls Fehler hervorrufen. So erhielten 2020 2 % der Patienten mit Metformin zugleich Trimethoprim. 41 % von ihnen aus unterschiedlichen Praxen. 

Dass die Übersicht über Interaktionen mithilfe technischer Lösungen gut gelingen kann, verdeutlicht das Innovationsfondsprojekt AdAM – Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management – aus Westfalen-Lippe. Konsortialführer sind die Barmer und die KV in Dortmund. 

Ziel ist, wie Julia Jachmich, beratende Apothekerin im KV-Bereich Verordnungsmanagement, erläutert, die Sicherheit, die Kosteneffizienz, die Koordination und die Qualität der Arzneimitteltherapie bei Patienten mit Polypharmazie zu verbessern. Im März letzten Jahres wurde das 2017 erst mit einigen Testärzten und schließlich ab 2018 endgültig laufende Projekt abgeschlossen. Die Ergebnisse der Evaluation liegen inzwischen vor. 

Hausarzt erhält Krankenkassendaten

Die Fördersumme aus dem Innovationsfonds für das Projekt: 16,35 Mio. Euro – 6,9 Mio. davon als Honorar an die beteiligten Allgemeinmediziner, praktische Ärzte und hausärztlichen Internisten. Der Hausarzt bekommt durch die AdAM-Software Krankenkassendaten zur Verfügung gestellt, nicht nur seine eigene Patientenbehandlungen betreffend, sondern auch zu Dia­gnosen und Besuchen von Fachkollegen im ambulanten Bereich. 

Er erhält zudem Zugang zu Informationen über stationäre Aufenthalte eines Patienten sowie über sämtliche Verordnungen im ambulanten Bereich, also auch für Hilfs- und Heilmittel. „Mit der Nutzung der Krankenkrankendaten hat der Arzt hier eine Möglichkeit und eine Transparenz­informationen zur Verfügung, die er bisher nicht hatte“, so Jachmich. 

Elektronische Unterstützung für die AMTS-Prüfung

Der Arzt bekomme außerdem eine elektronische Unterstützung zur der Prüfung Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) in Form eines Medikamenten-Reviews bereitgestellt. Er könne somit jederzeit Medikamenten­interaktionen identifizieren, Doppelmedikation erkennen und Dosisanpassungen sehr einfach vornehmen. Voraussetzung für die Teilnehme eines Patienten ist: Dieser muss bei der Barmer ver­sichert sein und fünf und mehr Medikamente über mindest zwei aufeinanderfolgende Quartale verordnet bekommen haben.

Hausarzt Dirk Wilmers aus Borken im Münsterland ist froh über die digitale Unterstützung. Die Praxis habe während des Projektes über 100 Patienten eingeschrieben. Da seien bestimmt zehn Leute dabei gewesen mit relevanten Verordnungen, die geändert werden mussten, wo einfach etwas nicht aufgefallen sei. Auch die Patienten hätten das Prüfangebot sehr gut aufgenommen. „Sie waren teilweise verwundert, dass es dieses Angebot erst jetzt gibt und dass es nicht sowieso immer schon so passiert.“ Jeder habe eigentlich auch verstanden, dass man bei diesen Medikamenten und den ganzen Wechselwirkungen digitale Unterstützung brauche.

Jedes Jahr ver­ordnen Niedergelassene 1.860 verschiedene Arzneien

Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Klinikum Saarbrücken, begleitet die Evaluation von AdAM. Die Ergebnisse sollen in Kürze vorliegen. Er zeigt sich sehr zufrieden über die elektronische Unterstützung für den Hausarzt. „Wir haben auf Basis der Arzneitherapie der Barmer-Versicherten analysiert, dass niedergelassene Ärzte jedes Jahr 1.860 verschiedene Arzneimittel den Versicherten verschreiben und das in 145.000 verschiedenen Kombinationen. Das ist, wie schon gesagt, mehr als der Einzelne tatsächlich dann auch ohne elektronische Unterstützung beurteilen kann.“ 

Signifikante Reduktion der Mortalität

Insgesamt wurden 12.185 Patienten von 958 Ärzten über die ganzen vier Jahre hinweg bei AdAM eingeschrieben. Konkrete Details aus der Evaluation nannte Prof. Grandt nicht, er verriet jedoch schon im Vorfeld der Veröffentlichung der Daten, dass die AdAM-Intervention im Vergleich zu den Routine-versorgten Patienten zu einer signifikanten Reduktion der Mortalität geführt hat. AdAM sei das erste Projekt weltweit, das bei unselektierten Patienten mit Polypharmazie so etwas bewirken konnte, „und ich glaube das ist ein toller Erfolg“.

Laut Jachmich gab es durchweg ein positives Feedback. Es gebe auch Anfragen von Fachärzten, ob sie das Programm ebenfalls nutzen könnten.

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