Zwangsstörungen

Definition

Patienten mit Zwangsstörungen berichten typischerweise über unangenehme Gedanken, Vorstellungen und Handlungsimpulse (Zwangsgedanken oder -vorstellungen), die sich dem Bewusstsein aufdrängen. Quasi als Gegenmaßnahme kommt es zu ritualisierten Gedanken-und Handlungsketten (Zwangshandlungen), die zumeist mit dem Ziel ausgeführt werden, die aversiven Gedanken abzuwehren oder zu neutralisieren.

Obwohl Menschen mit einer Zwangsstörung die sich aufdrängenden Gedanken oder Handlungsimpulse als unsinnig erkennen und versuchen, Widerstand dagegen zu leisten, können sie ihr Auftreten nicht verhindern: Geben sie dem Zwang nicht nach, empfinden sie meist unerträgliche Anspannung und Angst.

Im Unterschied zu krankhaftem Zwangsverhalten, beeinträchtigt die Zwangsstörung den gesamten Alltag der Patienten.

Die Erkrankung beginnt häufig in der Kindheit oder Adoleszenz. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 20 Jahre. – die Erkrankung kann aber in jedem Alter auftreten. Es dauert oft viele Jahre, bis Patienten professionelle Hilfe aufsuchen. Bei ca. 50-70 % der Patienten findet man Lebensereignisse oder Stressoren (z.B. Schwangerschaft, Hausbau, sexuelle Probleme, Tod eines Angehörigen) im Vorfeld der Erkrankung.

Es besteht häufig eine Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Panikstörungen, soziale Phobie, Essstörungen, Alkoholabhängigkeit und körperdysmorphen Störungen. Auch im Rahmen bestimmter Hirnerkrankungen (z.B. M. Parkinson, Chorea Huntington) können Zwangsstörungen auftreten.

Der Verlauf ist meist chronisch, wobei die Symptomatik fluktuierend oder konstant verlaufen kann. Unter Stress nehmen die Beschwerden häufig zu.

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Symptomatik

Patienten berichten typischerweise über sich aufdrängende Zwangsgedanken, die sie zwar als übertrieben oder unsinnig erkennen, aber nicht abstellen können. Häufig bestehen mehrere Zwangsvorstellungen gleichzeitig. Typische Themen solcher Zwangsgedanken sind:

  •  Ansteckung
  •  Vergiftung
  •  Verschmutzung
  •  Zweifel (z.B. ob der Herd ausgeschaltet wurde)
  •  Krankheit
  •  Streben nach Symmetrie
  •  Ordnung
  •  Aggression
  •  Sexualität
  •   Religion

Abwehr oder Neutralisation dieser Gedanken werden Zwangshandlungen durchgeführt. Bei Verzicht auf diese Handlungen, wird eine meist unerträgliche Anspannung oder Angst empfunden.

Häufige Zwangshandlungen sind:

  • Kontrollzwänge
  • Waschzwang
  • Zählzwang
  • Zwanghaftes Fragen

Für die Diagnose einer Zwangsstörung wird gefordert, dass

  • die Zwangsvorstellungen und/oder Zwangshandlungen mindestens zwei Wochen lang an den meisten Tagen bestehen
  • die Betroffenen sie als zur eigenen Person gehörig (also nicht von anderen eingegeben) und als übertrieben und sinnlos empfinden, weshalb sie sich zumindest teilweise dagegen wehren.

Im Unterschied zu krankhaftem Zwangsverhalten, beeinträchtigt die Zwangsstörung den gesamten Alltag der Patienten.

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Untersuchung

Eine nicht geringer Teil der Patienten mit Zwangsstörungen stellt sich zuerst beim Dermatologen vor – meist wegen Ekzemen und Hautveränderungen die durch einen Waschzwang bedingt sind.

Labor

Die Diagnose wird aufgrund der typischen Symptomatik gestellt.

Bei entsprechendem klinischem Verdacht können fünf Fragen weiterhelfen

  1. Waschen und putzen Sie sehr viel?
  2. Kontrollieren Sie sehr viel?
  3. Haben Sie quälende Gedanken, die Sie loswerden möchten, aber nicht können?
  4. Brauchen Sie für Alltagstätigkeiten sehr lange?
  5. Machen Sie sich Gedanken um Ordnung und Symmetrie?

Wenn die Möglichkeit besteht, kann das symptomatische Verhalten (z.B. Waschzwang) auch beobachtet werden, was wichtige zusätzliche Informationen über die Problematik liefert.

Darüber hinaus stehen verschiedene Fragebögen zur Verfügung, mit denen sich der Verlauf der Zwänge erfassen und beurteilen lässt. Bei Patienten, bei denen die Zwangsstörung erstmalig nach dem 50. Lebensjahr aufgetreten ist, sollte zusätzlich eine hirnorganische Abklärung erfolgen.

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Differenzialdiagnostik

Vor der Diagnose einer Zwangsstörung müssen andere Ursachen ausgeschlossen werden. Dazu gehören z.B.

  • depressive Störungen
  • Angststörungen
  • hypochondrische Störungen
  • beginnende Schizophrenie
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Pharmakotherapie und nichtinvasive Therapie

Therapie der ersten Wahl ist eine störungsspezifische kognitive Verhaltenstherapie einschließlich Exposition und Reaktionsmanagement.

Dabei werden die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen sowie die Situationen, in denen sie auftreten, zuerst analysiert. Dann leitet der Therapeut die Patienten an, sich den angstauslösenden Situationen (z.B. das Anfassen schmutziger Gegenstände) bewusst auszusetzen, ohne danach die Zwangshandlungen durchzuführen. So soll die Erfahrung gemacht werden, dass die befürchteten Folgen ausbleiben.

Diese Konfrontationstherapie erfolgt stufenweise, d.h. man bedingt mit der am wenigsten angstauslösenden Situation und steigert sich dann langsam bis zur problematischsten Situation.

Psychopharmakotherapie

Eine Monotherapie mit Medikamenten ist nur indiziert, wenn

  • wenn die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) abgelehnt wird oder wegen der Schwere der Erkrankung nicht durchgeführt werden kann
  • die KVT wegen langer Wartezeiten oder mangelnder Ressourcen nicht zur Verfügung steht
  • damit die Bereitschaft des Patienten, sich auf weitere Therapiemaßnahmen (KVT) einzulassen, erhöht werden kann

Mittel der Wahl sind SSRI wie Citalopram (in Deutschland nicht zur Behandlung von Zwangsstörungen zugelassen), Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin. Clomipramin ist ähnlich gut wirksam, hat aber ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil.

Die Behandlungsdauer mit SSRI/Clomipramin sollte mindestens 12 Wochen betragen (spätestens ab Woche 6-8 mit maximal zugelassener Dosis). Eine erfolgreiche Pharmakotherapie sollte zur Vermeidung von Rückfällen 1-2 Jahre fortgesetzt werden. Das Absetzen erfolgt langsam über einen Zeitraum von mehreren Monaten unter kontinuierlicher Symptombeobachtung.

In der Regel sollte die psychopharmakologische Therapie einer Zwangsstörung mit SSRI/Clomipramin mit einer KVT mit Expositionen und Reaktionsmanagement kombiniert werden. Vorteil der Kombination im Vergleich zur alleinigen KVT ist vor allem der schnellere Wirkungseintritt.

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