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Praxiskolumne Ärzte als Opfer mangelnder Fehlerkultur

Autor: Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth

Wenn einmal ein Fehler passiert ist, wird oft nur noch defensiv agiert und versucht, sich nach allen Richtungen abzusichern. (Agenturfoto) Wenn einmal ein Fehler passiert ist, wird oft nur noch defensiv agiert und versucht, sich nach allen Richtungen abzusichern. (Agenturfoto) © Robert Kneschke – stock.adobe.com
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Ein Thema, über das Ärztinnen und Ärzte nach wie vor ungern sprechen, sind eigene Behandlungsfehler. Unsere Kolumnistin erinnert: „Wir sind auch nur Menschen und die machen nun mal Fehler.“ Auch die Umstände sind zu beachten.

Fehler zuzugeben, gilt häufig noch als Tabu, denn schließlich haben wir alle den Anspruch, nur exzellente Medizin zu machen. Der „Tabubruch“ wird allerdings auch durch die rechtliche Situation erschwert. Ärzt*innen müssen mit Schadensersatzklagen rechnen, wenn sie über eigene Fehler sprechen. Nach Zahlen der Bundesärztekammer sind 2019 über 11.000 Patientenvorwürfe zu ärztlichen Behandlungsfehlern eingegangen, die meisten betreffen den fachärztlichen Bereich.

Der Druck auf die Praxisteams im hausärztlichen Bereich ist in der letzten Zeit durch die pandemiebedingte Arbeitsverdichtung und den realen Hausärzte- und Fachkräftemangel stark angestiegen. Dazu kommt die zunehmende bürokratische Belastung. Dieser steigende Druck birgt ein höheres Risiko für Fehler, die nicht nur der Patientensicherheit schaden, sondern auch den Behandelnden.

Infolge von Behandlungsfehlern kann es zum sogenannten Second-Victim-Phänomen kommen – ein Ausdruck, der mir zumindest bisher nicht geläufig war. Primäre Opfer sind Patient*innen, die durch einen ärztlichen Kunstfehler zu Schaden kommen. Zum sekundären Opfer kann aber auch derjenige werden, der den Fehler begangen hat – die Ärztin oder der Arzt. Da ein offener Umgang mit dem eigenen „Versagen“ oft nicht möglich ist, kommt es zur Scham und der Angst davor, in Zukunft weitere Fehler zu begehen. Es droht ein Teufelskreis, da oft nur noch defensiv agiert wird und man versucht, sich nach allen Richtungen abzusichern.

Bei Betroffenen kann es zu dysfunktionalen Symptomen wie Schlafstörungen, Verlust des Glaubens an die eigenen Fähigkeiten, Schuldgefühlen, Isolation und Depressionen aber auch Medikamenten- oder erhöhten Alkoholkonsum kommen. Diese Folgen sind individuell gravierend und führen mitunter zu posttraumatischer Belastungsstörung, Berufsaufgabe und im schlimmsten Fall zum Suizid. Internationale Studien zeigen, dass die Traumatisierung Behandelnder ein länderübergreifendes und flächendeckendes Phänomen ist und selbst innerhalb der Weiterbildungszeit schon über 50 % der befragten Kolleginnen und Kollegen betreffen kann.

Second victims benötigen Hilfe, vor allem aber brauchen wir Ärzte mehr Empathie füreinander und müssen gegenseitig mehr Verständnis für Fehler aufbringen. Eine Veränderung unserer Fehlerkultur ist also wichtig. Traditionell herrschen in der Medizin oft noch hierarchische Strukturen vor, in denen Vorgesetzte eher mit Tadel als mit Unterstützung auf Fehler reagieren. Das muss sich ändern.

Auch die Politik sollte ihren Teil dazu beitragen, den medizinischen Sektor endlich von Bürokratie entlasten und Strukturen schaffen, die verhindern, dass die Belastungsgrenzen aller regelmäßig überschritten werden. Wir brauchen ausreichend Zeit für die Behandlung unserer Patient*innen, zudem muss nicht nur die invasive und Gerätemedizin entsprechend vergütet werden, sondern auch die allgemeine Behandlung und Beratung. In der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) sind diese Überlegungen bereits berücksichtigt. Dies führt zu einer veränderten Arbeitsweise und somit auch zu mehr Patientensicherheit. Die HZV ist einmal mehr das bessere System.

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