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Praxiskolumne Wir sind wohl zum Abschuss freigegeben

Autor: Dr. Cornelia Werner

In den Hausarztpraxen wird der Löwenanteil der Pandemieversorgung geleistet – trotzdem mangelt es an der nötigen Wertschätzung. In den Hausarztpraxen wird der Löwenanteil der Pandemieversorgung geleistet – trotzdem mangelt es an der nötigen Wertschätzung. © iStock/doble-d; MT
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Während der Pandemie ruhen alle Augen auf der Belastung der Kliniken. Niemand scheint sich für die besonderen Herausforderungen in den Arztpraxen zu interessieren. Ein Fehler, meint unsere Kolumnistin.

„Es k**zt mich an“ – das schrieb neulich ein hochgeschätzter Kollege auf Twitter. Er wollte damit seinem Frust Luft machen, dass alle Welt nur die Krankenhausbelastung im Auge hat, während bei uns im ambulanten Bereich Land unter ist. Und ich gebe ihm recht. 

Wir alle wollen die Arbeit und Anstrengung im stationären Bereich nicht kleinreden. Doch seit Anfang der Pandemie wird der Hauptanteil der COVID-19-Patienten ambulant diagnostiziert und betreut. Unsere Strukturen in den Praxen sind nicht wie in den Krankenhäusern, wo nun regelhaft vor geplanten Patientenkontakten ein negativer Test gefordert wird. Nein, wir wissen nicht, ob der Patient geimpft/genesen/getestet oder gar aktuell infiziert ist. 

Aber unser ganzer Praxisablauf hat sich grundlegend verändert. Im Vordergrund steht immer der Infektionsschutz (und ich stehe voll hinter diesen notwendigen Maßnahmen). Die Vorschriften kamen und gingen. Gefühlt änderten sie sich im Minutentakt. Mal sinnvoll, mal weniger sinnvoll. Bürokratie hier, Anbindung dort. Eine Teststrategie folgte der nächsten. Mal darf man asymptomatische Patienten abstreichen, mal nicht. Melden hier, melden dort. Gerne auch doppelt, denn eigentlich wurden die positiven Befunde ja schon vom Labor ans Gesundheitsamt gemeldet. Anfangs fehlte Schutzmaterial, dann musste man ständig nachbestellen, da man Kittel und FFP-Masken nur in 10er-Päckchen bekam. 

Abrechnungsziffern und ICD-10-Codes wurden geschaffen, die Impfkampagne startete. Alles immer mit viel Kommunikationsbedarf. Denn leider wurde ja kaum etwas „von oben“ richtig kommuniziert. 

Mich hat jüngst eine Reporterin gefragt, wie viele meiner Patienten außerhalb der Heime denn an COVID gestorben seien. Es waren „nur“ drei. Denn nein, unsere Last ist nicht, dass uns die Patienten unter den Händen wegsterben. Unsere Last ist alles, was wegen der Pandemie on top zur bisherigen Versorgungssituation – bei bestehendem Hausärztemangel – noch dazugekommen ist. Das Testen, das Sich-informieren und das Weitergeben von Informationen. Der ständige Infektionsschutz für alle Mitarbeiter, Patienten und sich selbst. Die Sorge um die Infizierten und der Wunsch, sie bestmöglich versorgen zu können. 

Das Organisieren der Antikörpertherapie (ganze zwei Mal ist mir das gelungen), das Aufklären zum Impfen und das Impfen selbst. Neuerdings das Versorgen von immer mehr Long-COVID-Erkrankten.

Die hausärztliche Versorgung wurde dabei immer aufrechterhalten. Wir haben manche Therapien ambulant durchgezogen – auf Wunsch von Patienten, die Angst hatten vor einer Infektion im Krankenhaus oder weil die Krankenhäuser überlastet waren. Das Aufrechterhalten der medizinischen Grundversorgung wurde dabei immer schwieriger. 

In den letzten Wochen sind wir allerdings offenbar zum Abschuss freigegeben worden. Es interessiert niemanden mehr, bis auf die KV, ob wir noch handlungsfähig sind. Bei Inzidenzen um die 2.000 hier vor Ort. Die KV fragt nun wöchentlich ab, wie der Krankenstand ist – definitiv mit Grund, denn wir hatten noch nie so viele Anfragen von Fremdpatienten wegen eines Sprechstundentermins. Ihre eigenen Hausärzte seien nicht mehr voll arbeitsfähig aufgrund von Personalengpässen bei ­Erkrankung. 

Unsere Sprechstunde läuft voll. In der Infektsprechstunde werden aktuell bis zu 40 Patienten abgestrichen. Anrufe dazu gibt es noch viel mehr. Das Telefon steht nicht still.  Still sind aber bisher die Medien. Es scheint niemanden zu stören, wenn der Grundpfeiler der medizinischen Versorgung massiv ins Wanken gerät. Ein MFA-Bonus wurde immer noch nicht beschlossen.

Uns Ärzten wird unterstellt, mit so vielen Impfungen steinreich geworden zu sein. Wir haben aber auch bis über unser Limit und das unserer MFA gearbeitet. Wir haben neues Personal eingestellt und Überstunden ausbezahlt. Mir wäre wirklich ein präpandemischer Zustand lieber. Doch aktuell warten wir nur ab, bis es unser Team trifft. Es kann täglich so weit sein. Ob wir dann noch handlungsfähig sind? Mal schauen. Und das k**zt mich auch an.

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