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Desaströses Krankenhaus Ärztekammer kritisiert Zustände im Berliner Maßregelvollzug

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Ärzt:innen und Pflegekräfte kündigen wegen der schwierigen Bedingungen. Ärzt:innen und Pflegekräfte kündigen wegen der schwierigen Bedingungen. © sudok1 – stock.adobe.com
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Überbelegung, untragbare Arbeitsbedingungen, zahlreiche unbesetzte Planstellen. Die Situation im Berliner Maßregelvollzug ist sowohl für die Patienten als auch für die Mitarbeitenden untragbar. Auch die Ärztekammer hat die Gesundheitssenatorin zum Handeln aufgefordert.

Kettensägen- und Machetenmassaker kennt man vor allem aus Splattermovies oder aus Berichten aus den USA. Deshalb überraschten kürzlich entsprechende Medienmeldungen für die Hauptstadt: „Frau mit Kettensäge zerstückelt, Polizist schwer verletzt“, titelte die Berliner Zeitung. Für den 34-jährigen Tatverdächtigen wurde laut Medienberichten die Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet. 

Grundsätzlich muss einer solchen Unterbringung laut Generalstaatsanwaltschaft eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorausgegangen sein. Und es drohen aufgrund der psychischen Erkrankung weitere erhebliche rechtswidrige Taten zum Schaden der Allgemeinheit (sog. Gefahrenprognose). In der Hauptstadt werden psychisch erkrankte Straftäter in der Regel im Krankenhaus des Maßregelvollzugs untergebracht. 

Adäquate Versorgung ist längst nicht mehr möglich

Dieses Krankenhaus hat zwei Standorte. Speziell der Standort in Berlin-Reinickendorf steht seit Jahren in der Kritik. Denn Überbelegung und fehlendes Personal führen dazu, dass es keine adäquate Versorgung mehr gibt. Zuletzt schaltete sich die Berliner Ärztekammer mit einer Presseerklärung ein. „Die Zustände im Krankenhaus des Maßregelvollzugs sind erschreckend und nicht länger hinnehmbar“, mahnt Kammerpräsident PD Dr. Peter Bobbert. Er hatte das Krankenhaus besucht, um sich persönlich ein Bild von der Lage zu machen. „Die Unterbringung der Patient:innen ist zum Teil menschenunwürdig und die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden sind untragbar“, so sein öffentliches Fazit. Zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte hätten wegen der schwierigen Bedingungen gekündigt, berichtet Dr. Bobbert, auch weil die Gefahr für körperliche Übergriffe durch Patienten zugenommen habe. Es sei „ein Teufelskreis, da sich die Lage immer weiter zuspitzt“. 

Selbst wenn die aktuell offenen ärztlichen Stellen besetzt werden, würde dies nach Ansicht des Ärztlichen Leiters nicht ausreichen. „Die Menschen können im Maßregelvollzug eigentlich nur noch verwahrt werden, dabei benötigen sie eine gute Versorgung“, ergänzt Kammer-Vizepräsident Dr. Matthias Blöchle. Die Ärztekammer fordert die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung dazu auf, endlich Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation zu verbessern. Konkret eingefordert wird:

  • Sanierung eines auf dem Klinikgelände befindlichen Hauses, um dort zusätzliche 50 Patienten unterzubringen
  • Schaffen von Ausweichquartieren zur kurzfristigen Entlastung
  • Modernisieren der alten Klinikgebäude
  • adäquate Bezahlung des ärztlichen Personals

Dass die ärztliche Kritik Gehör findet, ist allerdings fraglich, denn ähnlich lautende ältere Forderungen sind dem Senat seit Längerem bekannt. Der „Tagesspiegel“ berichtete mehrfach. Im November wandte sich demnach die Beschäftigtenvertretung des Maßregelvollzugs mit einem „Hilferuf“ an Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne). Wie die Zeitung aus dem Schreiben zitiert, müssten sich Insassen sogar „zu fünft ein Zweibettzimmer teilen“, drei Bewohner pro Zweibettzimmer seien „alltäglich“, wegen fehlender Betten schliefen Insassen zuweilen auf Matratzen auf dem Boden. Der Personalrat moniert 84 unbesetzte Planstellen. 

Das Geld reicht nicht

Wie beurteilt die Berliner Senatorin die Lage? Was plant sie zur Verbesserung der Situation? Medical Tribune fragte bei Ulrike Gote an. Sie sagt, das Problem müsse durch den gesamten Berliner Senat angegangen werden, denn viele Fragen zu Finanzierung, Räumlichkeiten und Immobilien sowie der Personalausstattung hingen zusammen und seien nicht allein durch die Gesundheitsverwaltung zu beantworten. Und ohne ausreichende und zusätzliche finanzielle Mittel sei eine Planung und Umsetzung dringend nötiger Maßnahmen auch nicht möglich.

DGPPN-Umfrage zeigt: Es gibt bundesweit Probleme

Probleme im Maßregelvollzug gibt es allerdings nicht nur in Berlin. Schon 2022 hatte eine Umfrage unter den 78 deutschen Kliniken für Maßregelvollzug erhebliche Defizite zutage gebracht. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) als Initiatorin der Umfrage zeigte sich ernüchtert angesichts der Ergebnisse: Der Großteil der Kliniken beklagt eine deutliche Überbelegung. Zu wenig Personal und mangelhafte Räumlichkeiten verhindern, dass Patienten eine optimale Behandlung erhalten. 

Zu viele Patienten, zu wenig Ressourcen, unter den derzeitigen Umständen ist es, trotz des enormen Engagements der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sehr schwer geworden, den gesetzlichen Auftrag der Kliniken für den Maßregelvollzug dauerhaft sach- und fachgerecht zu erfüllen“, kommentierte Prof. Dr. Jürgen Müller, DGPPN-Vorstand,  die Situation. 

Medical-Tribune-Bericht

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