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Alle Jahre wieder werden die IGeL durchs Dorf getrieben

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Ärzte wehren sich: Viele Leistungen seien in Studien erprobt und sinnvoll. Ärzte wehren sich: Viele Leistungen seien in Studien erprobt und sinnvoll. © Fotolia/HNFOTO
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Der IGeL-Monitor 2018 stellt den Ärzten kein gutes Zeugnis aus: Niedergelassene böten vielfach Leistungen an, deren Nutzen nicht belegt ist, und drängen Patienten, diese Leistungen anzunehmen. KBV und Verbände widerspechen.

Die zehn bestverkauften IGeL machen 53 % aller individuellen Gesundheitsleistungen aus. Die Augeninnendruckmessung – auf Platz 1 dieser Hitliste – wurde jedem fünften Patienten angeboten, der mit IGeL in Kontakt kam. Platz 2 wird vom Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung belegt. Jede dritte Frau erhielt ein Angebot dazu.

Die Kritik des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS): Die Top Ten werden von Leistungen angeführt, die von den Wissenschaftlern des IGeL-Monitors als „negativ“ oder „tendenziell negativ“ bewertet worden sind. Beim Ultraschall der Eierstöcke handele es sich sogar um eine Leistung, von der die Fachgesellschaft der Frauenärzte abrate, da in Studien kein Nutzen gezeigt werden konnte und es durch Überdiagnosen zu erheblichen Schäden kommen könne.

Viele Ärzte verhökern die Leistungen – trotz Kritik

Für Dr. Peter Pick, Geschäftsführer MDS, zeigt die Bilanz: „IGeL-Angebote orientieren sich nicht am medizinischen Nutzen, sondern eher an den Vorlieben einzelner Arztgruppen – und wohl auch an den Umsatzinteressen der Ärzteschaft.“ Profitgier gehe vor Gesundheit, schlussfolgert noch drastischer die Linke im Bundestag. „Trotz massiver gesundheitlicher Risiken verhökern viele Ärzte weiterhin sogenannte individuelle Gesundheitsleistungen. Sie verspielen so nicht nur das Vertrauen der Patienten, sondern letzten Endes auch deren Gesundheit“, meint Achim Kessler, Sprecher der Linken für Gesundheitsökonomie. „Alle Jahre wieder wird die IGeL-Sau durchs Dorf getrieben“, kommentiert die KV Baden-Württemberg die Aussagen. Die KBV hatte bereits nach ähnlich lautendem IGeL-Monitor 2017 gefordert, Selbstzahlerleistungen nicht zu verteufeln. Sie stellten eine der wenigen Optionen dar, durch die medizinischer Fortschritt und Innovationen in die Gesetzliche Krankenversicherung gelange. „Die Krankenkassen sind hier scheinheilig unterwegs. Einerseits verteufeln sie IGeL, andererseits bieten einige Kassen als Satzungsleistung selber Leistungen aus dem IGeL-Katalog an oder finanzieren bedenkenlos homöopathische Verfahren, für die es überhaupt keinen evidenzbasierten Nachweis gibt“, sagt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Selbstzahlerleistungen in der Arztpraxis sind ein relevantes Thema für Patienten, stellt der MDS fest. Die Aussage basiert auf einer repräsentativen Onlinebefragung von gut 2000 Versicherten durch das Marktforschungsinstitut Aserto für den IGeL-Monitor.
Das Ergebnis:
  • Drei von vier Befragten (75 %)kennen individuelle Gesundheitsleistungen (2016: 82 %). Je älter die Patienten sind, des­to eher kennen sie den Begriff „IGeL“. Im Alter von 20 und 29 Jahren sind 29 % der Befragten informiert. Bei den 60- bis 69-Jährigen sind es 80 %.
  • Fast jeder Zweite (48 %) hat in den vergangenen drei Jahren ein IGeL-Angebot erhalten oder selbst danach gefragt (2016: 63 %).
  • Sieben von zehn dieser Befragten (73 %) nahmen die Leistung in Anspruch (2016: 54 %).
  • Trotz der hohen Inanspruchnahme stehen 59 % der IGeL-nutzenden Befragten Selbstzahlerleis­tungen kritisch gegenüber (2016: 67 %). Die Zufriedenheit der Patienten über IGeL-Angebot und Erbringung hängt vom Verhalten der Ärzte und von den bereitgestellten Informationen ab.
  • Jeder zweite Patient findet nicht, dass sich das Vertrauensverhältnis zur Ärzteschaft verbessert.
  • Vier von zehn Patienten fühlen sich durch IGeL-Angebote bedrängt.
  • Jeder zehnte Patient wird über Schäden durch IGeL gar nicht informiert, nur jeder zweite Patient ist mit der Informationsversorgung zu möglichen Schäden zufrieden.
Ingesamt wurden von den Befragten 131 individuelle Gesundheitsleis­tungen genannt, die von Ärzten angeboten oder bei ihnen nachgefragt wurden. „Wären mehr Versicherte befragt worden, wäre höchstwahrscheinlich auch die Anzahl der unterschiedlichen IGeL gestiegen“, vermuten die Autoren. Sie schätzen die Zahl aller individuellen Gesundheitsleistungen auf „bestenfalls mehrere Hundert“. Die genaue Zahl lasse sich praktisch nicht ermitteln.

Gynäkologen IGeLn laut Report am häufigsten

Frauenärzte sind beim IGeLn am fleißigsten. So wird jede dritte Selbstzahlerleistung von Gynäkologen angeboten. „Viele davon sind so sinnvoll, in Studien erprobt und in Leitlinien empfohlen, dass sie eigentlich Kassenleistungen sein sollten“, erklärt Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Der Verband unterstellt den Krankenkassen, mit dem IGeL-Monitor ein Instrument des Medizinischen Dienstes geschaffen zu haben, das IGeL vielfach in Misskredit bringt und gleichzeitig tiefes Misstrauen gegen die Ärztinnen und Ärzte sät, die diese Leistungen erbringen. Der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands kontert in Bezug auf die Glaukom-Früherkennung die Kritik an IGeL im gleichen Tenor.
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