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Cannabis-Dunst lichtet sich

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Kiffen auf Rezept und Kassenkosten ist für viele Schwerkranke eine große Hilfe. Die Nachfrage ist groß. Kiffen auf Rezept und Kassenkosten ist für viele Schwerkranke eine große Hilfe. Die Nachfrage ist groß. © iStock/satamedia
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Seit März 2017 können schwer kranke Patienten unter bestimmten Voraussetzungen Cannabis-Blüten und -Zubereitungen vom Arzt verordnet und von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt bekommen. Die Regelung funktioniert – mit Anlaufschwierigkeiten. Nachweise über die Wirksamkeit fehlen jedoch vielfach.

Seit die Regelungen zur Versorgung von schwer kranken Patienten mit Cannabisarzneimitteln in Kraft traten, gingen nach Angaben des AOK-Bundesverbandes bei den Ortskrankenkassen 7600 Anträge zur Verordnung von medizinischem Cannabis ein. Die Ablehnungsquote beträgt 36 %. Dass Anträge nicht positiv beschieden werden können, liege vielfach daran, dass diese formell unvollständig seien, erklärt die Pressereferentin des AOK-Verbandes, Christine Göpner-Reinecke. Arzt und Patient hätten aber die Möglichkeit, den Antrag erneut einzureichen.

Laut Göpner-Reinecke fehlen oft die gesetzlich vorgeschriebene medizinische Begründung des Antrags oder Ausführungen zu den bisherigen Therapien. „Immer wieder erreichen die AOK auch Anträge von Patienten, bei denen keine Erkrankungen im Sinne des Gesetzes vorliegen oder bei denen die Standardtherapien nicht ausgeschöpft wurden.“ Das sei z.B. beim Bandscheibenvorfall so, der bislang nur mit Wärmetherapie behandelt wurde.

Bei der Barmer wurden ca. 2900 Anträge eingereicht; 1730 wurden nach Begutachtung durch den MDK bewilligt, knapp 1130 abgelehnt. „Medizinisches Cannabis ist aus der Versorgung schwer kranker Menschen heute nicht mehr wegzudenken. Es ist aber kein Allheilmittel. Daher bleibt es immer eine individuelle Entscheidung, bei der für jeden Patienten Nutzen und Risiken möglicher Alternativen gegeneinander abgewogen werden müssen“, so der Barmerchef und Arzt, Professor Dr. Christoph Straub.

Richtig verordnen

Patienten müssen vor der erstmaligen Verordnung eines Cannabispräparats die Genehmigung ihrer Krankenkasse einholen, teilt die KBV mit. Ob dies auch gelte, wenn bei gleicher Indikation auf eine andere Cannabistherapie umgestellt werden soll, sei noch nicht abschließend geklärt. Die KBV empfiehlt diese Vorgehensweise dennoch, da die Genehmigung des konkreten Cannabisprodukts durch die Krankenkasse eine größere Verordnungssicherheit für den Arzt mit sich bringt.

Nutzen und Risiken sind gegeneinander abzuwägen

Die Techniker Krankenkasse zählte seit März letzten Jahres 2200 Anträge auf Kostenerstattung von Medizinalcannabis. 64 % davon wurden bewilligt. Unvollständige sowie nicht ausreichend begründete Anträge auf Kostenübernahme waren auch hier die häufigsten Gründe für negative Prüfergebnisse des MDK. Vor Inkrafttreten der Neuregelung durften Ärzte cannabishaltige Arzneimittel nur in Ausnahmefällen auf Kassenkos­ten verordnen, z.B. bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Andere schwer kranke Patienten mussten vorab eine Ausnahmegenehmigung zur Anwendung von Cannabis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einholen. 1061 dieser Genehmigungen wurden in den letzten zehn Jahren erteilt. Die Neuregelung in § 31 Absatz 6 SGB V, Cannabis ohne Voraberlaubnis verordnen lassen zu können, ist somit als großer Fortschritt für die Patienten zu sehen – trotz der Anfangsschwierigkeiten. Probleme beim Zugang zum sog. Medizinalhanf resultieren zurzeit oft aus Unkenntnis über den notwendigen Umfang eines Antrags bei der Kasse oder aus der Schwierigkeit, einen verordnungswilligen Arzt zu finden. Anfangs kam es deswegen zu zahlreichen Erkundigungen und Beschwerden bei der Patientenbeauftragten der Bundesregierung. Jetzt gebe es kaum noch Fragen zur Verordnung von Cannabis, sagt ihr Sprecher Bernd Kronauer, „einzig zu Lieferschwierigkeiten erreichen uns wenige Anfragen“. Ein ähnlich nachlassendes Anfrageverhalten bemerkt auch die Unabhängige Patientenberatung (UPD). Sie lieferte schon im Juli 2017 auf ihrer Webseite Informationen zur Antragstellung.

Erwartetes Finanzvolumen bereits weit überschritten

Bettina Dubbick, Referentin im AOK-Bundesverband, machte in der Dezemberausgabe des AOK-Magazins „G+G Gesundheit und Gesellschaft“ auf weitere Probleme bei der Verordnung von Cannabisprodukten aufmerksam. So habe der Gesetzgeber bei der Vorbereitung der Neuregelung mit 647 Patienten pro Jahr gerechnet und mit jährlichen Kosten für die GKV in Höhe von 155.280 Euro. Diese Grenze sei längst deutlich überschritten. Die beim BfArM angesiedelte Cannabisagentur habe für die Jahre 2021 und 2022 nur einen Cannabisbedarf für 5500 Patienten ausgeschrieben. „Das wird bei der sich abzeichnenden Nachfrage und Verordnungspraxis bei Weitem nicht ausreichen“, so die Arzneimittelexpertin. Auch bezüglich der Erkenntnisse zu Wirkungen und Nebenwirkungen von Cannabis in den potenziellen medizinischen Anwendungsgebieten sieht sie Nachbesserungsbedarf. Es gebe zwar eine Begleit­erhebung über fünf Jahre, diese werde aber wenig dazu beitragen können, den Mangel an Evidenz zu beheben. „Um den Stellenwert von Cannabis in der Medizin objektiv bewerten zu können, sind dringend hochwertige und aussagekräftige Studien erforderlich.“
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