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Heilberufe Der Kanzler soll seine Richtlinienkompetenz einsetzen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Die Spitzenvertreter der drei Heilberufe fordern vom Kanzler ein Einschreiten, um die Folgen der bisherigen Gesundheitspolitik umzukehren. Die Spitzenvertreter der drei Heilberufe fordern vom Kanzler ein Einschreiten, um die Folgen der bisherigen Gesundheitspolitik umzukehren. © EdNurg – stock.adobe.com
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KBV-Chef Dr. Andreas Gassen, ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening und Martin Hendges, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, fordern schnelle gesundheitspolitische Kurskorrekturen. Stark kritisieren sie das Agieren des Ministers.

Die Spitzenvertreter der drei Heilberufe haben für ihre Forderungen die Bundespresse­konferenz als Bühne gewählt. Der Minister reagiere weder auf Bitten noch auf Forderungen noch auf Zahlen und Fakten, deshalb kläre man jetzt auf diese Weise auf, erklärt der KBV-Vorsitzende. Die Folgen der bisherigen Politik seien ab einem gewissen Kipppunkt unumkehrbar. „Dann werden die Menschen, die es gewohnt sind, in die Praxis und Apotheke zu gehen, an dieser Stelle ein Geschlossen-Schild vorfinden und keine Versorgung mehr erfahren“, mahnt Dr. Gassen. Spätestens im nächsten Frühjahr seien die Veränderungen deutlich spürbar. 

Aus Sicht von Dr. Gassen, Over­wiening und Hendges sind schnelle Kurskorrekturen notwendig. Gemeinsam appellieren sie an den Bundestag, einzuschreiten. Angesprochen wird speziell der Bundeskanzler. Olaf Scholz (SPD) müsse „auf die Bremse treten“ und „seine Richtlinienkompetenz einsetzen, um diese verheerende gesundheitspolitische Entwicklung zu stoppen“.

„Wir erleben im Moment ein Ausmaß an Frust und Wut in den ärztlichen, zahnärztlichen, psychotherapeutischen Praxen und Apotheken sowie ihren Teams, das wir so noch nicht erlebt haben“, berichtet der KBV-Chef. Selbst während der Pandemie sei die Stimmung nicht so angespannt gewesen. 

Weit mehr als die Hälfte der niedergelassenen Kollegen bezeichneten ihre berufliche Situation als schlecht, schildert Dr. Gassen die Lage. Die Gründe seien vielschichtig und es würden immer mehr. Die seit Jahren nicht angepasste Finanzierungsystematik sei ein Faktor. Praxen könnten die enorm gestiegenen Kosten nicht auffangen. Aber auch Bürokratie sei ein Riesenthema. Eine Praxis sei im Durchschnitt an 61 Arbeitstagen pro Jahr mit Bürokratie beschäftigt. „Das ist völlig irrsinnig. Wir stellen fest, dass wir zu wenig Zeit für die Patienten haben, und verbringen wir zwei komplette Monate für diese Dinge.“ 

Arbeitsabläufe in den Praxen werden verlangsamt

Praxen würden auch mit Regressdrohungen überzogen, die letztlich in den überwiegenden Fällen ohne Konsequenz blieben, aber die Praxen lähmten, führt Dr. Gassen an. Dazu komme eine Digitalisierung, die viel Geld koste, die Arbeitsabläufe aber verlangsame und den Patienten keinen wirklichen Nutzen bringe.

Der Ärztechef macht unverblümt deutlich, wer aus seiner Sicht für das Übel verantwortlich ist: der Bundesgesundheitsminister. „Wir erleben einen Minister, der nicht nur für die allermeisten Missstände federführend verantwortlich war und ist. Er verweigert sich auch dem inhaltlichen Diskurs.“ Viele Praxen, bei denen die Babyboomer in den Ruhestand gehen, könnten nicht nachbesetzt werden. Es drohe ein Versorgungsdefizit, das nicht mehr zu kompensieren sei

„Das wird auch der Gesundheitskiosk von Karl Lauterbach nicht rocken.“ 1.000 solcher Kioske plant der SPD-Politiker. Es klinge wie Hohn, wenn der Minister verspreche, unter ihm gäbe es keine Leistungskürzungen. Diese gebe es in der Realität bereits, so Dr. Gassen. Er geht davon aus, dass Praxen aufgrund von Personalmangel oder unzureichendem Honorar ihre Leistungen kürzen müssen. Viele gingen bereits zur Vier-Tage-Woche über.

Petition an den Bundestag

„Rettet die ambulante medizinische Versorgung.“ Unter diesem Titel haben Kollegen im Namen von Haus- und Fachärzten eine Petition an den Deutschen Bundestag gestartet (change.org). „Die ambulante Versorgung stirbt, helfen Sie mit, sie zu retten!“, werden die Abgeordneten aufgefordert. „Mehr als 150.000 Mitzeichner sind es schon. Ziel sind 200.000 Unterstützer.

Wenn niedergelassene Ärzte, Apotheker oder Zahnärzte mit ihren Leistungen in diesem Land nicht mehr erwünscht seien, müsse man es ihnen sagen. Die Leidtragenden seien dann aber „die Menschen in unserem Land, die nicht wissen, was ihnen blüht“. Auch der Minister, der alles an sich abprallen lasse, werde es noch relativ zeitnah merken.

Gefragt nach notwendigen Kurskorrekturen und deren Kosten antwortet der KBV-Chef, dass sich manches relativ leicht und ohne weitere Kos­ten realisieren lasse. Der Regressdruck könne per Halbsatz in einem Omnibusgesetz weggenommen werden. Die Rücknahme der Sanktionsbewährung der Digitalisierung koste erstmal gar kein Geld, bringe aber enorme Entlastung. Dann müsse man einen konstruktiven Dialog führen. 

Dr. Gassen moniert auch zunehmende staatliche Eingriffe, etwa die Beanstandung des BMG zum G-BA-Beschluss für die Patienten-Erst­einschätzung. „Das treibt Blüten, die skurril sind.“ Die Grundfrage sei doch: Sollten wir nicht auf die Leute vertrauen, die Versorgung gestalten und das seit vielen Jahren, oder sollten wir es staatlicher Lenkung überlassen? Ob der Kanzler einschreitet, ist ungewiss. Das Thema Gesundheit für 81 Millionen Menschen sei aber nicht banal. Es sei ein Thema, das den Kanzler interessieren sollte.

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