Praxiskolumne Facharzt für Wald und Wiese oder Steuermann der Medizin?

Kolumnen Autor: Sebastian Alsleben

In der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin werden durch die sogenannte Rotation verschiedene Fachbereiche kennengelernt. In der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin werden durch die sogenannte Rotation verschiedene Fachbereiche kennengelernt. © Nanci – stock.adobe.com

Facharztprüfung geschafft – und dann sitzt man erst einmal da und lässt die letzten Jahre nochmal Revue passieren. Vieles war richtig gut, manches anstrengend, einiges widersprüchlich.

Als Facharzt für Allgemeinmedizin muss man aktuell in NRW mindestens zwölf Monate in der Inneren Medizin verbringen. Ob das ausreicht, ist fraglich. Hinzu kommen Rotationen nach Wahl, zum Beispiel in der Pädiatrie, Neurologie oder Orthopädie. Ein Teil der Weiterbildung findet in der hausärztlichen Praxis statt. Begleitet wird das Ganze von Pflichtveranstaltungen wie der Weiterbildung in Psychosomatischer Grundversorgung. Diese Aufteilung liefert ein breites Fundament. An der Stelle muss man aber schon kritisieren, dass für die Psychosomatik mehrere tausend Euro aus eigener Tasche bezahlt werden müssen.

Wenn ich heute auf meine Rotationen zurückblicke, sehe ich, wie wertvoll sie waren: Komplexe Krankheitsbilder strukturiert angehen in der Inneren; in der Orthopädie viel Praxistaugliches für den späteren Alltag als Hausarzt, vor allem in Bezug auf Rücken-, Hüft- und Knieschmerzen.

Trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack: Gerade in Fächer, die für uns Hausärztinnen und Hausärzte besonders wichtig wären, kommt man nur schwer rein. Orthopädie, HNO oder Anästhesie mit Schmerztherapie winken ab, sobald sie hören, dass man nur ein halbes Jahr bleibt. Aus Sicht der Abteilungen verständlich – für uns frustrierend. Zwar gibt es Förderungen, aber kaum jemand kennt sie wirklich, und die laufenden Kosten wie Sozialversicherung und Co. bestehen weiter. So entsteht das Gefühl, dass wir vielleicht grundsätzlich willkommen sind, aber niemand für uns zahlen oder uns ausbilden möchte. (An dieser Stelle möchte ich noch einmal Dr. Antonius Kass danken, der mich in seiner Praxis aufgenommen und mir wirklich viel beigebracht hat!)

Oder die Balintgruppe: Ich halte sie wirklich für sinnvoll. Sie verbessert den Blick für schwierige Begegnungen und für die eigene Rolle im Gespräch. Aber warum bleibt es bei einem halben Jahr Pflicht in der Weiterbildung? Sollten solche Treffen nicht auch danach fester Bestandteil des Berufslebens sein? Stattdessen verlassen wir uns auf den Austausch zwischen Tür und Angel – der ist wichtig, ersetzt aber keine strukturierte Gruppe.

Und dann sind da noch die Einschränkungen des Facharztes bei verschiedenen Weiterbildungen. Wir sollen uns auskennen und die große Masse abfangen, wenn es um kardiologische oder diabetologische Themen geht. Machen dürfen wir alles – abrechnen aber nicht. Ich stelle Insulintherapien ein, ich begleite Schulungen, ich überprüfe Blutzuckerprotokolle. Bei der Abrechnung stoße ich jedoch ohne Zusatzbezeichnung schnell an Grenzen. Und das, während gleichzeitig viele Betroffene monatelang auf einen Termin bei der diabetologischen Schwerpunktpraxis warten.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft weist regelmäßig darauf hin, dass die ambulante Diabetologie in Deutschland geschwächt ist und die Weiterbildung zu wenig Gewicht hat. Über acht Millionen Menschen leben hierzulande mit Diabetes, jedes Jahr kommen Zigtausende dazu. Da ergibt es keinen Sinn, dass wir Hausärztinnen und Hausärzte an vorderster Front die Versorgung übernehmen müssen, aber Anerkennung und Abrechnungsmöglichkeiten fehlen.

Warum ist es für mich als Allgemeinmediziner vergleichsweise einfach, Zusatzbezeichnungen wie Ernährungsmedizin oder Sportmedizin zu erwerben, aber die Qualifikation zum Diabetologen ist mit deutlich höheren Hürden und Sonderregelungen verbunden? Hier liegt für mich das eigentliche Problem versteckt: Die Weiterbildung enthält viel Gutes, verfehlt aber an entscheidenden Stellen den Alltag. Wir lernen oft nicht das, was uns draußen in der Praxis am meisten nützt. Wir werden in bürokratische Schleifen gezwungen, die uns später nichts mehr bringen. Übernehmen Verantwortung, aber dürfen sie nicht abrechnen.

Trotz allem: Der Hausarztberuf ist einer der schönsten in der Medizin! Wir sind die erste Anlaufstelle, sind diejenigen, die das System zusammenhalten. Aber um das auch in Zukunft attraktiv zu halten, müssen wir weiterdenken. Weniger Hürden, mehr Praxisnähe, mehr Vertrauen in das, was wir tun. Wie sehen Sie das? 

Ihr 
Sebastian Alsleben

Quelle: Medical-Tribune-Bericht