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Im Zweifel gegen die Niederlassung

Autor: Dr. Günter Gerhardt

Bürokratie, Rechtfertigungszwang und mangelnde Wertschätzung verleiden die Aussicht auf die eigene Praxis. Bürokratie, Rechtfertigungszwang und mangelnde Wertschätzung verleiden die Aussicht auf die eigene Praxis. © RioPatuca Images – stock.adobe.com
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Die Zeiten, in denen der ärztliche Nachwuchs sich für die eigene Praxis begeistern konnte, sind vorbei. Die Gründe dafür sieht unser Kolumnist in überbordender Bürokratie, im Rechtfertigungszwang und in mangelnder Wertschätzung.

All die Jahre habe ich mich mit angehenden Kolleginnen und Kollegen in der Universität und der Praxis über ihre berufliche Zukunft unterhalten. Der Trend Niederlassung in eigener Praxis scheint dabei eindeutig gebrochen. Und es ist leider gar nicht schwer, die Ursachen dafür zu finden. Es gibt einige Dinge, die schon beim Gedanken daran, in einer Praxis zu arbeiten, Unzufriedenheit erzeugen.

Da ist natürlich an erster Stelle die Bürokratie in der Arztpraxis. Wenn man glaubt, das ließe sich nicht mehr steigern, hat man sich getäuscht. Natürlich hält das Ärztinnen und Ärzte von einer Niederlassung ab. Auch die zeitintensiven Streitigkeiten mit den Kostenträgern nehmen ständig zu. Und das ist Zeit, um die die Patienten betrogen werden.

Ärzte wollen sich mit aller Kraft um ihre Patienten kümmern. Stattdessen werden sie aber von den Gutachtern des Medizinischen Dienstes (prägnantes Beispiel: die Cannabisverordnung), von den Prüfärzten der PKV, der Deutschen Rentenversicherung, von Amtsärzten und allen möglichen Stellen und Ämtern in die Zange genommen und müssen zunehmend Arbeitszeit zulasten ihrer Patienten opfern, um den permanenten Rechtfertigungszwängen zu genügen. Im Krankenhaus ist es auch schlimm – es verteilt sich aber meist auf mehrere Schultern.

Auch die mangelnde Wertschätzung der ärztlichen Arbeit in den Praxen, was gerade in der Coronakrise überdeutlich zum Ausdruck kommt, erschreckt viele Kolleginnen und Kollegen. Und spätestens, wenn diese Ärzte mitbekommen, dass jetzt in Apotheken gegen Grippe geimpft werden darf, was einer Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliches Personal ohne entsprechende Aufsicht entspricht, reiben sie sich die Augen.

Völlig unverständlich ist dabei die deutlich bessere Honorierung der Impfleistung. Dass der weniger qualifizierte Apotheker rund 50 % mehr für die gleiche Leistung erhält, löst nur noch Kopfschütteln aus und zeigt den Niederlassungswilligen, wohin die politische Reise der ambulanten Medizin geht.

Und dann gibt es da noch „Kleinigkeiten“, über die man sich ärgern kann. So ist es zum Beispiel vor allem in Landpraxen vielerorts üblich, dass Blut- und Urinproben vormittags von Fahrdiensten der Labore abgeholt werden. Wird anschließend noch ein wichtiger Laborwert gebraucht, geht das allein über die Trockenchemie, was nur wenige Praxen anbieten, weil dafür keine Vergütung vorgesehen ist. In Städten kann oft eine MFA oder ein Kurierdienst die Blutprobe noch ins Labor bringen. Eine Lösung wäre hier ein honoriertes Notfalllabor, damit Ärztinnen und Ärzte auch auf dem Land Freude an ihrem Beruf haben, indem sie evidenzbasierte Medizin anbieten können.

Genauso ärgerlich ist das Thema Erstattung von Kosten für Fahrten zur ambulanten Diagnostik und Therapie ohne vorherige Genehmigung in besonderen Ausnahmefällen. Ein Patient auf dem Land hat keine Chance, schnell nach einem Sturz ambulant geröntgt zu werden! Es sei denn, er hat einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen aG, Bl oder H oder er ist pflegebedürftig mit dem Pflegegrad 3, 4 oder 5. Bei Pflegegrad 3 muss zusätzlich eine dauerhafte Mobilitätsbeeinträchtigung vorliegen.

Ein Patient in der Stadt bekommt die Fahrtkosten auch nicht erstattet. Aber das wiegt für ihn weniger schwer, seine Wege sind kürzer und damit auch seine Fahrtkosten. Zudem ist das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs in Städten besser, was von manchen Patienten – je nach gesundheitlicher Verfassung – genutzt werden kann.

In diesen Fällen bleibt der Ärztin bzw. dem Arzt nichts übrig, als die Patienten stationär einzuweisen. Das verursacht nicht nur höhere Kosten, sondern macht auch unzufrieden. Ich habe noch Zeiten erlebt, wo Taxischeine großzügig ausgestellt und die Kosten von der GKV übernommen wurden. Klar, das wurde auch mal überstrapaziert und ausgenutzt, beispielsweise für Einkäufe im Supermarkt auf der Rückfahrt von der Praxis. Klare Regeln und Vorgaben braucht es überall, um Missbrauch zu verhindern.

Sicher ist, die Entscheidung „Krankenhaus versus Praxis“ wird von diesen und ähnlich gelagerten Themen maßgeblich beeinflusst. Und ich vermute mal: zuungunsten der Niederlassung.

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