
Hausärztin mobilisiert Dorfgemeinschaft Infos zu Hautkrebs, Starkregen und ökologischem Weinbau

Mommenheim liegt südlich von Mainz und hat 3.000 Einwohner. Die Straßen wirken an diesem Sonntagvormittag verlassen. Doch am Rathausplatz haben sich Dutzende Menschen versammelt: Hier findet die Auftaktveranstaltung der „1. Mommenheimer Klimawoche“ statt. Vor dem Publikum steht Organisatorin Dr. Verena Gall, die eine Praxis in Mommenheim führt. Zusammen mit Vertretern der Feuerwehr, des rheinland-pfälzischen Innenministeriums und der IKK Südwest klärt sie über Klimaschutz und Gesundheit auf. „Für Deutschland sind Hitze und Unwetterereignisse die größten Gefahren für unsere Gesundheit und unser Hab und Gut“, sagt Dr. Gall. Und Daniel Stich, Staatssekretär im Ministerium des Innern und für Sport, betont: „Mit Blick auf klimabedingte Risiken hat das Land ein Gesetz zum Brand- und Katastrophenschutz verabschiedet.“ Das soll helfen, dass „niemand mehr sein Leben verlieren muss, wie wir es z. B. vor vier Jahren auf schreckliche Art und Weise im Ahrtal erlebt haben“.
Die Idee für eine Klimawoche hatte die Fachärztin für Allgemein- und Innere Medizin vor etwa einem Jahr. Ihr Interesse und Engagement für Klimaschutz reicht allerdings weiter zurück. „Vor drei Jahren gab es den ersten bundesweiten Hitzeaktionstag, organisiert von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG)“, erzählt Dr. Gall. In diesem Zusammenhang habe sie zum ersten Mal einen Vortrag zum Thema Hitzeschutz besucht.
Die Informationen rund um den Klimawandel, die sie dort erhielt, erschreckten sie. „Als dann wenig später meine 10-jährige Tochter auf mich zukam und mich fragte, ob sie auf der Erde noch leben können werde, wusste ich, dass ich handeln muss.“
Dr. Gall trat KLUG bei und brachte sich bei der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin in der AG Klima und Gesundheit ein. Sie besuchte den Planetary Health-Kurs bei der Virtuellen Hochschule Bayern und hielt bald selbst Vorträge zum Thema Klimawandel und Hitzeschutz. Seit 2024 bietet ihre Praxis z. B. ein „grünes Wartezimmer“ – Patientinnen und Patienten können im Garten vor der Praxis warten und werden per Pager informiert, wenn sie an der Reihe sind. „Im Garten gibt es über 350 Pflanzenarten, und Tiere wie Zaunkönig, Turmfalke oder Kohlmeise sind zu sehen.“
Klimaschutz wird zu einem Thema in der Sprechstunde
In der Sprechstunde versucht die Ärztin ihre Patientinnen und Patienten über den Klimawandel aufzuklären. Bei einem Interview über ihre Klimasprechstunde sei sie von einer SWR-Reporterin zur Klimawoche in Mommenheim inspiriert worden.
Als Dr. Gall bei der Europawahl im Juni 2024 als Wahlhelferin tätig war, sprach sie mit vielen Akteurinnen und Akteuren aus dem Ort über ihre Idee. Da die Resonanz durchweg positiv war, veranstalteten die Ärztin und ihr Mann, ein Unternehmensberater, Anfang 2025 ein erstes Treffen zum Konzept der Klimawoche. Wer daran interessiert war, selbst eine Veranstaltung zu organisieren, konnte seinen Beitrag bis zum 30. April anmelden. Mithilfe von Dutzenden Privatpersonen, der Freiwilligen Feuerwehr und dem Landfrauenverein von Mommenheim, dem ADFC sowie dank der beiden Sponsoren IKK Südwest und Rheinhessen Sparkasse wurde das Projekt möglich gemacht.
„Bei der Klimawoche wollten wir Menschen und Vereinen die Möglichkeiten geben, sich zu präsentieren und Initiativen sichtbar zu machen.“ Sich mit anderen auszutauschen und gesehen zu werden, gebe Kraft und Motivation. „Außerdem wollten wir Menschen ansprechen, die das Thema noch nicht auf dem Schirm haben und Gespräche ermöglichen jenseits des Heizungsgesetzes und ,Man darf nicht mehr in den Urlaub fahren‘.“
Vom 7. bis 14. Juni 2025 fand die Klimawoche statt. Jeden Tag wurden eine oder mehrere von insgesamt 14 Veranstaltungen ausgerichtet. Die Auswahl reichte von einer Fledermaus-Exkursion über ein Starkregen- und Unwetterseminar der Feuerwehr, eine Führung zu ökologischem Weinbau bis hin zum gemeinsamen Qigong und Singen. „Wir selbst haben vier Veranstaltungen organisiert und geleitet“, berichtet Dr. Gall, die u. a. zum Umgang mit Hitze und Schutz vor Hautkrebs informierte.
Der große Zeitfresser sei allerdings die Vorbereitung gewesen, gibt die Ärztin zu. Doch der Aufwand ist es ihr Wert. „Das ist unsere Chance im Gesundheitswesen: Wir können den Menschen zeigen, dass Gesundheit und Klimawandel unmittelbar zusammenhängen.“
Es werde nicht mehr lange dauern, bis in Deutschland der Sommer regelmäßig Hitzewellen mit 40 Grad bringen und es Menschen deswegen schlecht gehen werde. „Wir haben als Gesellschaft keine Verhaltensweisen eingeübt für solch ein Szenario. Wir wissen aber mittlerweile, dass bei Hitzewellen die Anzahl von akuten Psychosen sowie Panikattacken ansteigt, da Hitze psychische Krankheiten verstärkt.“ Es gehe aber nicht nur um physische und psychische Gesundheit, sondern auch um Artensterben und Ozeanvermüllung.
Bei Ärztinnen und Ärzten habe Klimawandel lange Zeit keine Rolle gespielt. Erst in den letzten fünf Jahren habe das Thema Fahrt aufgenommen, insbesondere durch die Gründung von KLUG, so Dr. Gall. „Es wird im Medizinbereich viel zu wenig über das Thema geschrieben.
Rückblickend ist Dr. Gall mit der Klimawoche sehr zufrieden: „Es ist super gelaufen und die Inanspruchnahme der Veranstaltungen war sehr erfreulich.“ Zur größten Veranstaltung seien fast 100 Leute erschienen. Auf Instagram habe man mit den Beiträgen der Klimawoche mehr als 12.000 Aufrufe erzielt und über 2.000 Konten erreicht. Positives Feedback gab es seitens des Organisationsteams und von Teilnehmenden. „Die Menschen melden uns zurück, dass wir etwas bei ihnen bewirkt haben.“
Noch viele Ideen für weitere Veranstaltungen
Die Ärztin möchte bei künftigen Projekten mehr junge Leute einbinden. „Der Altersdurchschnitt der Teilnehmenden war recht hoch. Das ist auch verständlich. Jüngere Menschen sind beruflich und familiär sehr eingebunden.“ Beim nächsten Mal wolle man gezielt Klima-Veranstaltungen für Familien anbieten und sich Verstärkung bei der Organisation ins Boot holen. „Es gab nach der Klimawoche noch viele Ideen für Veranstaltungen, die man umsetzen könnte. Allein das ist schon ein großer Erfolg – mehr Leute haben Lust bekommen, Projekte zum Klimaschutz zu verwirklichen“, freut sich Dr. Gall.