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Diskriminiert wegen Diabetes Man muss 150% geben, um ernst genommen zu werden

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Es ist schade, wenn der Weg in einen Beruf gegen Widerstände erkämpft werden muss. Es ist schade, wenn der Weg in einen Beruf gegen Widerstände erkämpft werden muss. © iStock/Feodora Chiosea
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Ärztinnen und Ärzte mit Diabetes haben im Beruf teilweise mit Vorurteilen und Zweifeln von Kollegen zu kämpfen. Eine Diabetologin und Kinderärztin berichtet, was ihr widerfuhr.

Man sollte meinen, dass Menschen mit Typ-1-Diabetes im 21. Jahrhundert keine Diskriminierung am Arbeitsplatz mehr erfahren – schon gar nicht, wenn sie im medizinischen Bereich arbeiten. Dr. Louisa van den Boom, Diabetologin und Kinderärztin, musste leidvoll das Gegenteil feststellen. „Es ist schwer zu glauben, was da immer noch passiert“, berichtet sie. „Ich will das natürlich nicht pauschalisieren. Nicht jeder hat Vorurteile. Aber es gibt sie definitiv noch.“ Die Medizinerin hat sich ihren beruflichen Weg gegen einige Widerstände erkämpft.

Einstellungsuntersuchung mit überraschendem Ergebnis

Ihre Diabetesdiagnose erhielt sie relativ spät, mit Mitte 20. Sie hatte gerade ihr Medizinstudium beendet und ihr Examen gemacht. Sie wollte Fachärztin für Pädiatrie werden. Nach einigem Suchen bekam sie eine Stelle in einer Kinderklinik in der Umgebung von Bonn. Doch bei der Einstellungsuntersuchung waren die Blutzuckerwerte erstaunlich hoch. Wenig später stellte ein Diabetologe fest: Es handelt sich um Typ-1-Diabetes. Der zuständige Mediziner verkündete die Nachricht destruktiv und empathielos. Er meinte: „Das geht nie wieder weg. Suchen sie sich einen anderen Job. Sie werden nie wieder als Ärztin arbeiten können.“ Völlig frustriert verließ Dr. van den Boom die Sprechstunde. Wenig später kündigte ihr die Klinik. „Ich habe mich behandelt gefühlt wie ein Mensch zweiter Klasse.“

Die Ärztin trat daraufhin eine Stelle in einer Kinder- und Jugendpsy­chiatrie an, merkte aber nach einiger Zeit, dass es nicht ihr Wunschgebiet war. Also bewarb sie sich als Assistenzärztin in einem Diabeteszen­trum. „Ich dachte, wenn ich mich sowieso 24 Stunden und sieben Tage die Woche mit Diabetes beschäftige, dann kann ich das auch zu meinem Job machen.“

Im Zentrum machte sie erstmals positive Erfahrungen im Umgang Dritter mit ihrer Erkrankung. So war diese für ihren Vorgesetzten kein Problem. Im Gegenteil: Er habe es sogar zu schätzen gewusst, dass sie für die Patienten als ermutigendes Beispiel dienen konnte, erzählt Dr. van den Boom. „Da habe ich gemerkt: Vielleicht kann ich doch Kinderärztin werden.“

Als die Medizinerin später versuchte, wieder in der Pädiatrie Fuß zu fassen, hallten die schlechten Erinnerungen an 2004 in ihr nach. „Ich hatte Angst, dass mich ohnehin niemand einstellt.“ Ab 2009 arbeitete sie dann erneut in einer Kinderklinik. Dort begegnete ihr zwar keine offene Ablehnung, aber ein ständiger Zweifel: „Nachtdienst? Das geht doch gar nicht. Du hast doch Diabetes.“

Selbstverständlich weiß die Diabetologin ihre Erkrankung routiniert zu managen. „Natürlich kann man seinen Diabetes so einstellen, dass man im Nachtdienst nicht unterzuckert oder überzuckert.“

Fragwürdige Bemerkung seitens einer Betriebsärztin

Wenn es nach Dr. van den Boom ginge, könnte die Erkrankung beruflich einfach im Hintergrund bleiben. Doch leider würden Betroffene maßgeblich über den Diabetes definiert, berichtet sie. „Man muss dann beweisen, dass man gleichwertig ist. 100 % zu geben reicht nicht, es müssen 150 % sein, damit man überhaupt ernst genommen wird.“ Die Ärztin boxte sich trotzdem durch und machte ihren Facharzt für Pädiatrie. Ihre Wege führten sie als Oberärztin in ein weiteres Diabeteszentrum. Dort konnte sie sich dank ihrer Spezialisierungen ausgiebig mit der Kinderdiabetologie beschäftigen und erlangte ihre Zusatzbezeichnung für Diabetologie.

Nach einem erneuten Wechsel an eine Kinderklinik, geriet die Medizinerin in ihre nächste schwere Begegnung mit einer Betriebsärztin. „Sie hat mir ins Gesicht gesagt – wissend, dass ich jahrelang als Diabetologin tätig war – die meisten Menschen mit Diabetes seien intellektuell nicht fähig, ihre Therapie umzusetzen.“ Dr. van den Boom war fassungslos ob dieser Unverschämtheit. „Ich saß da und wusste nicht, was ich machen soll.“ Aus Erfahrung im beruflichen Umfeld könne sie berichten, dass oftmals Äußerungen dahingehend vernommen würden, dass man als „empfindlich“ charakterisiert werde, bis hin zu man „solle sich nicht so anstellen“

Andere Mediziner mit Diabetes reagieren verwundert und erschüttert

Viele Ärztinnen und Ärzte mit Diabetes können ihren Beruf erfolgreich ausüben, ohne dabei diskriminiert zu werden. So etwa Dr. Hildgund Schmidt, die als Kinderärztin über Jahrzehnte hinweg die Kinderdiabetologie der Universitätsmedizin Heidelberg geleitet hat. In den 1960ern wurde ihr Typ-1-Diabetes diagnostiziert. „Ich habe mich beruflich aber nie beeinträchtigt gefühlt“, erzählt sie. Obwohl es damals deutlich weniger technische Unterstützung im Umgang mit der Erkrankung gab, leistete sie Nachtdienste, ohne dass jemand an ihr gezweifelt hätte. Unter Kollegen habe sie auch nie von ähnlichen Vorfällen gehört. Wenn Mediziner wegen ihres Dia­betes von Kollegen diskriminiert würden, sei dies erschütternd – insbesondere wenn Betriebsärzte der Meinung seien, Betroffene könnten nicht als Ärzte arbeiten. „Da liegt das Problem nicht auf Seite der Kollegen mit Diabetes, sondern auf der der diskriminierenden Ärzte.“ Diese hätten möglicherweise Wissenslücken hinsichtlich der Erkrankung.

Zukünftig möchte Dr. van den Boom neue Wege gehen und wird als Chefärztin der Pädiatrie an einer anderen Klinik beginnen. Statt Aussagen wie: „Das können Sie doch bestimmt nicht mit Diabetes“ hätte sie sich häufiger ein „was können wir gemeinsam erreichen, um Sie zu unterstützen?“ gewünscht. Die Ärztin hat sich vorgenommen, als Vorgesetzte im Umgang mit chronisch kranken Mitarbeitenden sensibel zu sein. „Ich werde Betroffene fragen, was sie sich im Umgang mit ihrer Erkrankung wünschen.“ Was sie besonders traurig macht, ist die Diskriminierung von Kindern mit Diabetes. „Ich bin erwachsen, ich kann mich durchbeißen. Aber ein Vierjähriger kann nicht für sich selbst kämpfen.“ Dr. van den Boom wünscht sich daher, dass die Inte­ressen betroffener Kinder politisch mehr Gehör finden. Es brauche eine entsprechende Lobby. Ihre eigene Botschaft an die Kinder und ihre Familien ist klar: „Lasst euch nicht unterkriegen! Ihr definiert euch nicht über den Diabetes und ihr könnt tolle Berufe ausüben. Ich habe das geschafft, ihr schafft das auch!“
Dr. Louisa van den Boom, Diabetologin und Kinderärztin Dr. Louisa van den Boom, Diabetologin und Kinderärztin © zVg
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