Anzeige

Mehr Zivilcourage – auch im Sprechzimmer!

Autor: Dr. Günther Gerhardt

Rassismus hat auch in Arztpraxen nichts verloren. Rassismus hat auch in Arztpraxen nichts verloren. © iStock/vadimguzhva
Anzeige

Das Thema in unserer Praxiskolumne: Die vermehrte Fremdenfeindlichkeit in deutschen Arztpraxen und wie man mit Rassismus im Arbeitsleben umgehen sollte.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So beginnt der Artikel 1 unseres Grundgesetzes, der wie ein Großteil des Grundgesetzes eine Reaktion auf die menschenverachtenden Ereignisse vor und im Zweiten Weltkrieg war. Das unfassbare Unrecht, das 1933 bis 1945 von Deutschland ausgegangen war, sollte sich nie wiederholen.

Jeder von Ihnen, liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege, weiß, warum ich das heute schreibe. Und die meisten von Ihnen werden, genau wie ich, schon hetzerische und ausländerfeindliche Kommentare von Patienten gehört haben, die wir auch mit Blick ins volle Wartezimmer absichtlich überhört haben. Doch diese Bemerkungen spitzen sich zu, das Verhalten einiger Menschen – auch in den Praxen – ist mehr und mehr von Aggressivität geprägt. Ich musste mir Sätze anhören wie „In Ausschwitz sind noch Zimmer frei“ oder „Sie werden noch froh sein, dass Sie mich kennen!“ Das hat mich zutiefst erschrocken und wachgerüttelt.

Wir müssen uns – das ist mir angesichts der Ereignisse in Chemnitz, wo Jagd auf Flüchtlinge und ausländische Mitbürger gemacht wurde, mehr als deutlich geworden – im Sinne unseres Grundgesetzes engagieren. Wir sind gefragt, auch als Ärztinnen und Ärzte. Unsere Demokratie ist das beste politische System auf deutschem Boden. Wir leben in einem der freiesten Länder dieser Welt. Mit unserem Personalausweis bzw. Pass können wir in fast alle Länder dieser Erde problemlos reisen. Niemand darf per Grundgesetz wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.Das ist übrigens auch die Grundlage, auf der in unserem Land alle Menschen Zugang zu unserem Gesundheitssys­tem haben. Das alles darf nicht aufs Spiel gesetzt werden! Nein, diese Grundwerte müssen von uns, gerade auch in unseren Sprechzimmern verteidigt und vertreten werden. Für Rassenhass und Gewalt darf es keinen Platz geben.

Ich erlaube mir einen kurzen Rückblick auf das wenig rühmliche Verhalten der Ärzte zurzeit des NS-Regimes. Im Jahr 1936 forderte Reichsärzteführer und DGIM-Mitglied Gerhard Wagner auf dem Internistenkongress: „Staatsbürgerpflicht geht vor Berufspflicht.“ Er transportiere damit erfolgreich nationalsozialistische Propaganda: In Hessen gehörten beispielsweise 53 % der Ärzte der NSDAP an (inklusive Anwärter sogar 64 %) und die deutsche Ärzteschaft ließ sich durch die NS-Ideologen erschreckenderweise zur tragenden Funktionselite der Erb- und Rassenideologie machen und zu Handlangern von Euthanasie und Judenvernichtung.

Was müssen wir tun, um die offene Gesellschaft zu verteidigen? Wir brauchen innerhalb unserer Ärzteschaft ein klares Bekenntnis zu den Werten unseres Grundgesetzes, mit der klaren Aufforderung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Hier gilt es, keine uns entgegengebrachte Äußerung von Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit unkommentiert zu lassen, sondern dem deutlich entgegenzutreten. Wir sind gefordert, Position zu beziehen, um Rechtstaatlichkeit und Frieden in unserem Land auch für die kommenden Generationen erhalten zu können.

Ich schließe mit einem bemerkenswerten, leider wieder sehr aktuell gewordenen Zitat des deutschen evangelischen Theologen Martin Niemöller (1938–45 in KZ-Haft): „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Anzeige