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Belastungen durch Antibiotika Multiresistent durch Industrieabwasser

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Verfärbt, verschmutzt, vermüllt – teils sah das Abwasser schon von fern bedenklich aus. Verfärbt, verschmutzt, vermüllt – teils sah das Abwasser schon von fern bedenklich aus. © IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung
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Ein Projekt der AOK Baden-Württemberg gibt Einblick in die Antibiotikabelastung von Industrieabwässern der Pharmafirmen. Teils waren Grenzwerte um 11.000 % überschritten. Die Kasse will mehr tun, um Resistenzen zu verhindern. Sie fordert ein Durchgreifen auf EU-Ebene. 

Bisher erfahren Krankenkassen wenig darüber, unter welchen Bedingungen die Pharmafirmen, mit denen sie Verträge schließen, Arzneimittel produzieren. Insbesondere bleibt im Dunkeln, ob die Produktionsbedingungen in Ländern wie Indien oder China der lokalen Bevölkerung oder der Umwelt schaden. Das spielt nicht nur vor Ort eine Rolle, sondern ist global bedeutsam. So können Antibiotikarückstände in Produktionsabwässern zur weltweiten Verbreitung von Antibiotikaresistenzen beitragen. 

Die AOK Baden-Württemberg hat sich die Produktionsbedingungen einiger Antibiotikahersteller in einer Pilotstudie genauer angesehen. Unterstützt wurde sie dabei vom Umweltbundesamt und dem IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung.

Seit 2020 gewährte die Krankenkasse bei der Vergabe von Rabattverträgen einen höheren Bonus bei der Preisbildung, wenn die Konzerne sich freiwillig verpflichteten, vereinbarte Grenzwerte für Antibiotikarückstände im Industrieabwasser einzuhalten. Man sei bereit, auch höhere Kosten in Kauf zu nehmen, wenn sozial und ökologisch verantwortungsbewusst produziert werde, so Johannes ­Bauernfeind, Vorsitzender der AOK in Baden-Württemberg bei der Pressekonferenz zur Ergebnisvorstellung.

Von Aufbereitung bis Außenmauer alles geprüft

Die Kontrolle der Grenzwerte übernahm das IWW. Die Experten besuchten acht Produktionsstätten in Indien, außerdem je eine in Italien und Spanien. Sie begingen die Anlagen, begutachteten die Abwasseraufbereitung und nahmen Proben. Auch abseits der offiziellen Beteuerungen wurde geprüft. Man habe etwa Satellitenbilder daraufhin ausgewertet, wo umliegende Gewässer verschmutzt werden könnten, erklärte Dr. Tim aus der Beek, Bereichsleiter Wasserressourcen-Management beim IWW. Auch die Außenmauern der quadratkilometergroßen Gelände schritten die Experten ab, um zu beobachten, ob Wasser austritt. 

Bei 40 % der Stätten stellten die Experten eine deutliche Überschreitung der Maximalwerte fest. In einem Fall überstieg die Konzentration von Ciprofloxacin im Abwasser den vertraglich vereinbarten Schwellenwert sogar um 11.000 %. Auch andere Grenzwertüberschreitungen betrugen mehrere tausend Prozent.

In der Umwelt der Produktionsanlagen stellten die Prüfer gravierende Folgen fest. In einem Gewässer in Indien überstieg die gemessene Konzentration des Antibiotikums Azithromycin den ökotoxikologisch relevanten Schwellenwert um mindestens 1,6 Mio. %, berichtete Dr. aus der Beek. Dies lasse schädliche Effekte im Ökosystem und Resistenzbildungen erwarten. Doch das Problem trete nicht nur in Indien auf: Die Umweltprobe mit den meisten gemessenen Antibiotikafunden entstammte einem europäischen Bach.

Durch die Rückstände im Wasser können die Medikamente ihre Wirksamkeit verlieren irgendwann nicht mehr

Die Möglichkeiten, die Firmen zu sanktionieren, sind begrenzt. Das IWW meldete die Grenzwertüberschreitungen der AOK, dann folgten vor Ort weitere Messungen und Gespräche mit den Produzenten. Derzeit ermögliche das Vergaberecht es der Krankenkasse nicht, in die für zwei Jahre laufenden Rabattverträge einzugreifen, betonte Bauernfeind. Man könne die Hersteller lediglich bei der nächsten Ausschreibung nicht mehr berücksichtigen. Doch in vielen Fällen besserte sich die Situation an den Produktionsstätten nach der Kritik des IWW bereits. In zwei Fällen seien bei späteren Kontrollen keine Mängel mehr festgestellt worden, erzählte Dr. aus der Beek. Er schließt daraus, dass die Pilotstudie schon jetzt positiv wirke.

Die Einhaltung der Werte diene letztlich auch dem ökonomischen Interesse der Firmen, gab Bauern­feind zu bedenken. „Teils war den Produzenten nicht klar, dass sie durch die Ableitung der Produktionsabwässer in die Umwelt das Produkt, das sie produzieren, nicht mehr verkaufen können, weil es nicht mehr wirkt.“

Einzelne Staaten sind global machtlos

In einem kommenden Schritt werden die Abwasserprüfungen auf 21 weitere Standorte ausgeweitet, auch auf chinesische. Doch die AOK allein könne trotz all ihrer Bemühungen global nicht viel bewegen, stellt der Vorsitzende der Krankenkasse in Baden-Württemberg klar. Wirksamer seien Änderungen im EU-Arzneimittelrecht. Denn die Europäische Union decke rund 25 % der globalen Arzneimittelnachfrage ab. Konkret fordert die AOK-Gemeinschaft

  • die Aufnahme verbindlicher Umweltkriterien in das EU-Arzneimittelrecht,
  • einheitliche Kontrollsysteme, um die Einhaltung bei Zulassung und laufender Produktion zu prüfen,
  • einen Wissenstransfer durch Partnerprojekte insbesondere im asia­tischen Raum,
  • eine Verkürzung der Lieferketten durch Änderungen des EU-Vergaberechts,
  • das Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen weiter auszubauen und die Bevorratung weiter zu stärken.

Anreize für Umstellung auf grüne Wirkstoffe gefordert

Derzeit sei es der EU-Politik nur sehr begrenzt möglich, einzelne staatliche Gesundheitssysteme zu beeinflussen, erklärte Bauernfeind. Die Sinnhaftigkeit dessen müsse man infrage stellen, da es bei der Arzneimittelversorgung um weltweite Mechanismen gehe. Die Regelungen zu Antibiotika sind in Europa derzeit sehr verschieden. In einigen Ländern gibt es die Präparate in beliebigen Mengen frei in Drogerien zu kaufen.

Das Umweltbundesamt fordert gesetzliche Anreize für die Pharma­industrie, auf grüne Wirkstoffe umzustellen. „Die Entwicklung eines Wirkstoffs dauert zehn bis zwölf Jahre“, bezifferte Dr. Malgorzata Debiak, Leiterin des Fachgebiets Arzneimittel. Ökologische Kriterien müssten frühzeitig berücksichtigt werden. Sie zitierte eine Studie der OECD von 2023, laut der Antibiotikaresistenzen bei Ausbleiben von Gegenmaßnahmen jährlich Kosten in Höhe von 1,2 Mrd. Euro verursachen.

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