
Praxiskolumne Noch nicht mal ein Thema fürs Sommerloch?

Ich gestehe Euch und Ihnen: Gerade hat es mich selbst erwischt. In meiner naiven Euphorie über den Frühsommer, die langen Tage und die warmen Temperaturen habe ich ein paar Regeln des gesunden Arzt-, vielleicht sogar Menschenverstandes nicht berücksichtigt. Sagen wir einfach mal, die bekannten Vorsichtsmaßnahmen bei der Behandlung von Infektpatientinnen und -patienten führe ich im Winter deutlich gewissenhafter aus. Die Rechnung kam postwendend: Halsschmerzen, Husten und leichtes Fieber.
So ein Infekt ist für mich – genau wie für die meisten Patientinnen und Patienten – kein großes Drama, man landet damit nicht gleich auf der Intensivstation. Aber es ist eben auch kein Spaß. Ich höre in der Praxis häufig: Warum denn ausgerechnet jetzt, kurz vor meinem so lange geplanten Urlaub? Oder: Was ist jetzt mit meinem teuren Festival- oder Konzertbesuch?
Vor allem Rhinoviren sind im Umlauf
Ein Blick auf die Daten des RKI zeigt, dass das Problem nicht nur in meiner subjektiven Wahrnehmung besteht. Die Surveillanceberichte für respiratorische Erkrankungen zeigen saisonale Spitzen für leichte Atemwegserkrankungen auch im Sommer, selbst wenn diese nicht an die Infektwelle im Winter heranreichen. Im Juni und Juli 2025 zirkulieren vor allem Rhinoviren, aber auch Enteroviren und Adenoviren sowie zu einem gewissen Anteil SARS-CoV-2. Zumindest bei uns in der Praxis haben diese Erreger in letzter Zeit zwar nicht zu gefährlichen Situationen geführt, aber sie sind da. Und sie werden häufig vergessen.
Das fiese an der Sommergrippe ist, dass sie sich tarnt. Oft erscheint sie erst mal nicht dramatisch genug, um ernst genommen zu werden, und die Menschen möchten schließlich den Sommer genießen. So kommt es schnell zur Ansteckung im gesamten Familien- und Freundeskreis. Auch die Kolleginnen und Kollegen auf der Arbeit müssen dann schnell mal dran glauben. Dass vor allem in einem geteilten Büro Handhygiene, Husten- und Niesetikette wichtig sind, wird bei 30 Grad draußen gerne vergessen.
Auf persönlicher Ebene kann das meistens „nur“ den Urlaub versauen, auf den manche so lange hingearbeitet haben. Auf die Bevölkerung gesehen summieren sich aber auch die Krankheitstage, was die Wirtschaft zusätzlich belastet – vor allem, wenn man vor der eigenen AU noch ein paar Tage lang denkt „Ich kann doch noch arbeiten“ und mal eben zwei Kollegen mit ansteckt.
Und dann gibt es natürlich auch Risikogruppen, denen die vermeintlich harmlose Sommergrippe doch gefährlich werden kann. Vor allem bei kleinen Kindern, älteren Menschen, Schwangeren und immunsupprimierten Personen kann auch ein leichter Infekt im Sommer schnell zur Dehydratation führen oder die Exazerbation chronischer Erkrankungen begünstigen. Fieber und Kreislaufprobleme erhöhen bei älteren Patientinnen und Patienten das Risiko für ein Delir oder Stürze deutlich.
Vielleicht sollten wir also im Gesundheitswesen mit gutem Beispiel vorangehen und auch bei bestem Freibadwetter etwas mehr Engagement zeigen, um uns und andere nicht leichtsinnig anzustecken. Meiner Meinung nach wäre das doch durchaus ein Thema fürs Sommerloch – zwar kein dramatisches, aber eines, das mehr Aufmerksamkeit verdient. Was meinen Sie?