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Kritik an Schiedsentscheidung Pharmazeutische Dienstleistungen: Hilfe oder Hindernis für die ärztliche Arbeit?

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Insbesondere Menschen mit Typ-2-Diabetes, die weitere (Begleit-)Erkrankungen haben und deshalb fünf oder mehr Arzneimittel einnehmen, können von einer erweiterten Medikationsberatung profitieren. Insbesondere Menschen mit Typ-2-Diabetes, die weitere (Begleit-)Erkrankungen haben und deshalb fünf oder mehr Arzneimittel einnehmen, können von einer erweiterten Medikationsberatung profitieren. © megaflopp – stock.adobe.com
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Die Schiedsentscheidung zu den pharmazeutischen Dienstleistungen stößt bei Vertreter*innen von Ärzteverbänden, -kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen auf teilweise heftige Kritik. Dabei verstehen die Apotheken ihr Angebot als Unterstützung – auch für die Diabetologie.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus ­­Reinhardt, glaubt, dass die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) „ohne echten Mehrwert für die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten bleiben und eher zu Reibungsverlusten und Abstimmungsstörungen führen“. Der Gesetzgeber soll das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz nachbessern. Ähnliche Bedenken sind z.B. vonseiten des Hausärzteverbandes und einzelner KV-Vorstände zu hören. Der GKV-Spitzenverband klagt gegen die Schiedsentscheidung, was aber keine aufschiebende Wirkung hat.

In Sachsen und Thüringen haben Praxen und Apotheken Erfahrung mit der Arzneimittel­initiative ­ARMIN. Dementsprechend hat Dr. Tobias Wiesner beim Thema pDL Ruhepuls. Er ist als Internist mit dem Schwerpunkt Diabetologie am MVZ Stoffwechselmedizin in Leipzig tätig und Vorstandsmitglied der DDG. Gerade bei der Behandlung chronisch Kranker hält es Dr. Wiesner für wichtig, dass Mediziner*innen und Apotheker*innen miteinander reden und kooperieren. 

Es gehe bei der erweiterten Medikationsberatung doch nicht um Fehlerdetektion, sondern um eine verbesserte Versorgung. Solange es kein kluges digitales Management für den Medikationsplan gebe, sei es hilfreich, wenn in der Apotheke die diversen Verordnungen zusammengeführt, pharmazeutisch betrachtet und die Ergebnisse den behandelnden Ärzt*innen rückgemeldet werden. Auch das Blutdruckmessen in der Apotheke stört den niedergelassenen Arzt nicht: „Das wurde schon bisher gemacht, jetzt gibt es dafür einen finanziellen Ausgleich. Wie gerecht das im Vergleich Arzt/Apotheker ist, sei dahingestellt.“

Insbesondere Menschen mit Typ-2-Diabetes, die weitere (Begleit-)Erkrankungen haben und deshalb fünf oder mehr Arzneimittel einnehmen, profitieren von der „Erweiterten Medikationsberatung“, sagt Dr. Ann Kathrin Strunz, Referentin Wissenschaftliche Entwicklung bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). So machten z.B. Patient*innen Fehler beim Lagern und Anwenden ihrer Insuline; die fehlende Rotation der Injektionsstelle oder das Mehrfachverwenden der Injektionsnadeln könnten zu einer unzureichenden Blutzuckersenkung führen.

Eine Tüte voller Schachteln, Tuben und Fläschchen

Die Medikationsberatung wird ausschließlich von approbierten Apotheker*innen erbracht. Diese haben dafür ein achtstündiges Seminar absolviert. Die Leistung umfasst ein „Brown-Bag-Gespräch“, für das der/die Patient*in seine/ihre verschreibungspflichtigen Präparate, Selbstmedikation und Nahrungsergänzungsmittel mitbringt. Es folgen die pharmazeutische Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit samt „Lösungsfindung“ und der Medikationsplan. Ein zweites Gespräch und der Versand eines Berichts an denArzt/die Ärztin schließen die Betreuung ab. Im Schnitt dauert eine solche Analyse 80 Minuten. Sie wird mit 90 Euro vergütet.

Haben Patient*innen Arzneimittel eigenmächtig abgesetzt oder nehmen ihre Dauermedikation nur unregelmäßig ein, könnten beim Erstgespräch solche Abweichungen zur ärztlich angeordneten Dosierung erkannt werden, erklärt Dr. Strunz. In der Apotheke werden potenzielle und manifeste arzneimittelbezogene Probleme ins Visier genommen. Das betrifft Interaktionen, aber auch Doppelmedikationen und ungeeignete Anwendungszeitpunkte. Die Selbstmedikation wird u.a. dahingehend überprüft, ob sie für die von den Patient*innen genannten Beschwerden geeignet ist und ob Kontraindikationen zur verschreibungspflichtigen Präparaten bestehen. 

Fünf Betreuungsleistungen

Seit Verkündung des Schiedsspruchs am10. Juni 2022 durch die Gemeinsame Schiedsstelle können Apotheken fünf finanzierte Betreuungsangebote für gesetzlich und privat Krankenversicherte machen:

  • Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation (einmal im Jahr)
  • Standardisierte Risikoerfassung hoher Blutdruck (einmal im Jahr)
  • Erweiterte Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung mit Üben der Inhalationstechnik
  • Pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten
  • Pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie

Grundlage ist das 2020 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken. Das Jahresvolumen beträgt etwa 150 Mio. Euro, fi nanziert durch die Krankenversicherer mit 20 Cent pro abgebener Rx-Packung.

Mit Zustimmung der Patient*innen erhalten die hauptbetreuenden Ärzt*innen den aktualisierten Medikationsplan sowie Informationen zu Problemen mit Arzneimitteln, bei denen medizinischer Handlungsbedarf bestehen könnte. „Die therapeutischen Entscheidungen liegen natürlich weiterhin bei den behandelnden Ärzt*innen“, betont Dr. Strunz.
Aus verschiedenen Untersuchungen zum „bundeseinheitlichen Medikationsplan“ sei bekannt, dass Patient*innen vielfach unvollständig oder veraltete Pläne mit sich führten. „Auch hier kann die Medikationsberatung einen wertvollen Beitrag leisten, und die Qualität der Medikationspläne verbessern“, so Dr. Strunz. Für die Ärzt*innen stecke darin ein Informationsgewinn, insbesondere zu Verordnungen mitbehandelnder Kolleg*innen und zur Selbstmedikation (OTC-Produkte machen ca. 35 % der in den Apotheken abgegebenen Arzneipackungen aus).

Dr. Dorothea Reichert ist nicht so optimistisch. Die Internistin führt eine diabetologische Gemeinschafts­praxis in Landau in der Pfalz und ist Vorstandsmitglied der DDG. Es sei eine wichtige Aufgabe ihrer Praxis, die diversen Medikationspläne, die ihre Patient*innen etwa von Kardiolog*innen und weiteren Fachärzt*innen erhielten, zusammenzuführen. Nun kämen noch die Apotheker*innen dazu. Eine direkte Absprache mit dem/der Apotheker*in im selben Haus oder Dorf sei möglich. Doch wenn sich zahlreiche Apotheken aus dem Praxis­einzugsgebiet mit Schreiben oder via verunsicherten Patient*innen bemerkbar machen, werde die Versorgung nicht einfacher.

Dr. Reichert vermisst einen „geregelten Weg“, wie Patient*innen effektiv informiert werden. Da die Verordnung unstrittig eine hoheitlich ärztliche Aufgabe sei, sollte die zentrale Medikationsprüfung und -zusammenführung bei der Ärztin /dem Arzt des Vertrauens erfolgen, meint die Internistin. 

Skepsis an der Verordnung tut der Adhärenz nicht gut

Bei Diabetespatient*innen mit weiteren Erkrankungen seien immer „jede Menge, dabei auch mittelschwer wiegende Interaktionen“ bei der Medikation festzustellen. Nur die/der behandelnde Ärztin/Arzt könne die Lage adäquat einschätzen und abwägen, wie eine Therapie fortgeführt werden soll. Wenn die/der Patient*in aber in der Apotheke über potenzielle Probleme informiert werde, verhalte sie/er sich gegenüber den Verordnern möglicherweise skeptisch – was die Compliance nicht fördere. 

Auch bei der standardisierten dreifachen Blutdruckmessung (Honorar: 11,20 Euro netto) ist Dr. Reichert gespannt, wie die Apotheken das hinbekommen. Es sei durchaus eine Herausforderung, den Blutdruck von Patient*innen in Alltagssituationen korrekt zu bestimmen und zu bewerten.

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