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Suizid-Beihilfe Ein seltenes Thema für Onkologen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck 

Niedergelassene Ärzte betreuen jährlich 600.000 Krebs­patient:innen. (Agenturfoto) Niedergelassene Ärzte betreuen jährlich 600.000 Krebs­patient:innen. (Agenturfoto) © Ridofranz/gettyimages
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Die Frage, wie Mediziner mit dem Thema ärztlich assistierte Sterbehilfe umgehen können, wird aktuell auch in der Onkologie diskutiert. Manche Kolleginnen und Kollegen waren schon mit einer konkreten Anfrage konfrontiert.  

Schon 2015 hatte die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) ihre Mitglieder zum Thema assistierte Sterbehilfe befragt. Angesichts aktueller politischer Vorschläge für eine Gesetzesregelung zum assistierten Suizid erfolgte 2021 eine weitere Befragung – anonym und online. In der Umfrage ging es laut Prof. Dr. Jan Schildmann vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg um drei Aspekte: Erfahrungen mit (Anfragen zu) assistierter Selbsttötung, Einstellungen gegenüber assistierter Selbsttötung und Anforderungen an die Gestaltung der Praxis. 

Aussagen im Einklang mit Ansichten in der Ärzteschaft

754 Mitglieder beantworteten die Fragen, alle haben mindestens zehn Jahre in der Onkologie gearbeitet und 344 (46 %) besitzen eine Zusatzbezeichnung Palliativmedizin. Es zeigt sich: 702 Befragte haben noch nie bei einer Selbsttötung assistiert, 22 haben es getan. 425 sind schon einmal von einem Patienten wegen einer Assistenz angesprochen worden. Darunter waren nach den Angaben von 220 Befragten 64 Menschen in kritischer Situation während der Tumortherapie, 112 mit Option auf eine Tumortherapie und 117 palliativ ohne Tumortherapie. 

Befragte, die ärztlich assistierte Selbsttötung nicht ablehnen, sehen als wichtigste Bedingung dafür die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung des Patienten und/oder ein unkontrollierbares Leiden an. Besonders wichtig ist es vielen dieser Kollegen, über palliative (93 %) und psychologische Angebote (86 %) zu informieren. 58 % befürworten eine formale Prüfung der Selbstbestimmungsfähigkeit der Patienten durch einen  Experten. Ein Drittel der Befragten hält eine Dauer von 14 Tagen zwischen Beratung und Verschreibung einer Substanz zur Selbsttötung für richtig. „Die Bedenkzeit ist angesichts der Fluktuation des Sterbewunsches ganz wichtig“, so Prof. Schildmann.

„Obwohl die Daten aufgrund der nicht repräsentativen Stichprobe nicht verallgemeinert werden können, stehen unsere Ergebnisse im Einklang mit Forschungsergebnissen, die eine geteilte persönliche Haltung innerhalb der Ärzteschaft zeigen“, heißt es in Band 20 der ­DGHO-Schriftenreihe. Die Untersuchung bietet auch Einblicke in Praktiken und Ansichten, die für die anstehende Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens sowie Empfehlungen genutzt werden könnten. 

Viele Krebspatienten hätten eine Chance zu überleben und sie äußerten den „ ausgeprägten Wunsch, auch experimentelle Therapien mitzumachen, um letztendlich ihr Leben zu verlängern“, sagt Prof. Dr. Hermann Einsele, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums Würzburg. Betreut würden aber auch Patienten, die gerade in der Endphase der Krebserkrankung mit dem Wunsch nach assistierter Selbsttötung auf die Behandelnden zukommen. „Daher ist es für die Onkologen sehr wichtig, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.“

Niedergelassene Ärzte betreuen jährlich 600.000 Krebs­patienten

Die Umfrage zeige sehr differenziert die Lebensumstände der Patienten, betont der niedergelassene Arzt Dr. Carsten-Oliver Schulz. In den Praxen würden ungefähr 600.000 Krebspatienten pro Jahr betreut. „Das Besondere ist: Häufig haben wir Patienten ab dem Anfang ihrer Diagnose, über das Rezidiv und eine metastasierte Erkrankung bis teilweise zur palliativmedizinischen Betreuung.“ Die frühe Einbeziehung der Palliativmedizin könne helfen, den Suizidwunsch zu verhindern. Wenn man die Zahlen der jährlich behandelten Patienten anschaue und bedenke, dass viele Kollegen noch nie nach assistiertem Suizid gefragt worden seien, dann zeige das auch, wie selten das Thema im Alltag sei. 

Bisher im Bundestag noch keine Anhörungstermine

Indirekte Sterbehilfe habe in der Klinik und Palliativmedizin Einzug gehalten. „Wir verweigern Patienten keine hoch dosierten Schmerzmittel mehr. Wir haben die Möglichkeit der palliativen Sedierung.“ Es gebe Hospize und eine sehr gute psychosoziale Betreuung, so Dr. Schulz.
Prof. Einsele verwies auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. Februar 2020 und die hierbei getroffene Feststellun g, dass das im Grundgesetz verankerte Recht auch einen selbstbestimmten Tod umfasse und dass dieses Recht die Freiheit einschließe, sich selbst zu töten und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. 

Das BVerfG habe aber auch gesagt, dass der Gesetzgeber Schutzvorschriften einbauen könne, damit es keinen Missbrauch gebe, ergänzt Renate Künast, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Mitinitiatorin eines von drei vorliegenden Gesetzentwürfen. Man dürfe durch Schutzvorschriften das Recht auf Selbstbestimmung nicht torpedieren oder unmöglich machen. Ärzte fragten sich aber, was jetzt der richtige Weg sei, um strafrechtlichen Konsequenzen zu entgehen. Künast bedauert, dass es derzeit keine festen Anhörungstermine im Bundestag zu den Gesetzentwürfen gibt. Eine Regulierung allein über das ärztliche Berufsrecht könne dazu führen, dass in jedem Bundesland eine andere Regelung gelte.


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