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Warum besonders Landärzten Honorarkürzungen drohen

Interview Autor: Dr. Gerd W. Zimmermann

Zu oft auf Hausbesuch? Das kann Honorar kosten. Rechts: Hausarzt Dr. Gerd W. Zimmermann. Zu oft auf Hausbesuch? Das kann Honorar kosten. Rechts: Hausarzt Dr. Gerd W. Zimmermann. © iStock.com/Dean Mitchell
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Die „Hochlandpraxis“ im hessischen Schwalm-Eder-Kreis, deren Honorar wegen zu vieler Hausbesuche gekürzt wurde, hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Der ehemalige KV-Vize und Prüfarzt Dr. Gerd W. Zimmermann erklärt, warum man der KV aber nur bedingt einen Vorwurf machen kann.

Wer ist für die Honorar-Rückforderungen letztlich verantwortlich?
Dr. Zimmermann: Der Gesetzgeber zwingt die KV als Körperschaft öffentlichen Rechts, solche Prüfungen durchzuführen. Allerdings misstraut er der KV auch und schreibt deshalb vor, dass die Prüfgremien völlig unabhängig arbeiten müssen. Die hessische Prüfungsstelle wird von Juristen geleitet, die sich streng ans Gesetz halten, wenn es um die Festsetzung von Regressen geht.

Man kann der KV also keinen Vorwurf machen?
Dr. Zimmermann:
Eine Verantwortlichkeit der KV besteht schon, allerdings auf einer anderen Ebene. Die seit 2017 gültige Prüfvereinbarung wurde von der KV mit den Kassen verhandelt. Deren Inhalte sind es, die in Hessen ziemlich exklusiv zu den kritisierten Vorgängen führen. Darüber hinaus stellt die KV ärztliche Beisitzer in den Prüfgremien, über die sie Einfluss auf das Verfahren nehmen könnte. Insbesondere bei Honorarregressen sind die Kassenvertreter im Prüfgremium nämlich wenig interessiert, da dieses Geld in den Honorartopf der Ärzte zurückfließt. Ein Problem ergibt sich also möglicherweise eher dadurch, dass die ärztlichen Vertreter meinen, die Geprüften würden den anderen Ärzten Honorar wegnehmen.

Was muss Ihrer Meinung nach geändert werden?
Dr. Zimmermann:
Es fällt auf, dass derart massive Regresse wie in der Hochlandpraxis nur Haus­ärzte betreffen. Die Praxis ist kein Einzelfall. Die KV müsste hinterfragen, woran das liegt und Korrekturen in der Prüfvereinbarung treffen. In die Prüfung kommt man, wenn im Vergleich zur Fachgruppe die Gesamtleistungen um 40 %, eine einzelne Leistungsgruppe, wie die Besuche, um 60 % und einzelne Leistungen um 100 % höher sind. Fachärztliche Praxen, die sehr homogene Prüfgruppen haben und ihren Fachgruppenschnitt nach Leitlinien abstimmen können, müssen kaum eine Prüfung fürchten.

Die Prüfgruppe der Hausärzte hingegen ist sehr heterogen. Das sieht man, bezogen auf den Fall der Hochlandpraxis, etwa daran, dass von den 2522 Hausärzten in der Prüfgruppe rund 100 Praxen überhaupt keine Hausbesuche machen. Außerdem sind viele Hausarztpraxen – insbesondere in der Stadt – spezialisiert als diabetologische Schwerpunktpraxen, in der Psychotherapie oder in der Drogensubstitution tätig und gehören deshalb eigentlich nicht in die Vergleichsgruppe. Der für die geprüfte Praxis so wichtige Fachgruppenschnitt wird dadurch verfälscht. Früher, als es noch die KV-Bezirksstellen gab und regional geprüft wurde, fand mehr oder weniger automatisch eine Differenzierung nach Stadt- und Landpraxen statt. Jetzt wird alles in einen Topf geworfen!

Wie müsste die Prüfvereinbarung geändert werden?
Dr. Zimmermann:
Die hausärztliche Prüfgruppe müsste ähnlich differenziert werden wie die der Fachärzte. Ein Beispiel: Kürzlich wurden HNO-Ärzte und Phoniater vonein­ander getrennt. Bei den Hausärzten müssten regionale Besonderheiten berücksichtigt werden sowie die Fallzahl und deren Zusammensetzung. Es gibt Praxen mit vielen jungen und gesunden Patienten, die aufgrund hoher Fallzahlen statis­tisch nicht auffallen, auch wenn sie im Sinne des SGB V unwirtschaftlich arbeiten. Früher haben wir sie als „Scheinsammler“ bezeichnet, weil sie grundsätzlich ganze Familien einsammeln.

Große Praxen auf dem Land mit vielen älteren Patienten, die nicht in die Praxis kommen können, fallen dagegen chronisch auf. Man müsste auch wieder zu dem Prinzip zurückkehren, dass Praxen nur von Prüfärzten geprüft werden, die selbst eine vergleichbare Praxis führen. Das scheint nicht mehr der Fall zu sein.

Würde dann so etwas wie bei der Hochlandpraxis nicht mehr passieren?
Dr. Zimmermann:
Mittelfristig wären weitere Änderungen notwendig. Das Prüfgremium arbeitet im Moment sehr langsam. Nach eigenen Angaben stammt die Regressforderung, die 2015 geltend gemacht wurde, aus dem Jahr 2013. Die betroffene Praxis konnte deshalb überhaupt nicht zeitnah reagieren. Da die Regresse den Prüfzeitraum eines Jahres betreffen, kommt es kumulativ zu so hohen Forderungen. Zudem erfolgte fürs Folgejahr erneut ein Regress. Wenn – wie vom hessischen Prüfgremium mitgeteilt – nur 286 Praxen in die Prüfung kommen und 220 einen Regress erhalten, stellt sich schon die Frage, warum man dazu fast zwei Jahre gebraucht hat.

Haben die Kollegen in der Hochlandpraxis eine Chance, den Regress noch abzuwenden?
Dr. Zimmermann:
Leider nein. Nach der aktuellen Prüfvereinbarung besteht bei deren Zahl an Hausbesuchen gegenüber der Vergleichsgruppe ein „offensichtliches Missverhältnis“. Das Prüfgremium kann sich deshalb auf ein Urteil des Bundessozialgerichts stützen – und tut das auch –, wonach eine Beweisumkehr stattfindet. Das bedeutet: Das Prüfgremium muss nichts beweisen und die Praxis kann praktisch nichts beweisen. Selbst der Gang zum Sozialgericht wird hier nichts ändern, denn dieses wird ein BSG-Urteil nicht aufheben. Im Hinblick auf den größer werdenden Hausärztemangel ist das natürlich politisch gesehen katastrophal. Der Hausärzteverband, der auch in der KV-Führung gut vertreten ist, müsste sich um das Thema kümmern und eine Weiterentwicklung der Prüfvereinbarung anstoßen.

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